: "Für Askese gibt es keine Zustimmung"
■ Interview mit Umweltsenator Peter Strieder (SPD): Großprojekte überdenken, ökologischen und ökonomischen Unsinn verhindern
taz: Herr Strieder, die größten Erfolge in Ihrem ersten Jahr als Umweltsenator waren die Verzögerungen bei Großprojekten wie der Müllverbrennung und dem Havelausbau. Vorangekommen bei Weichenstellungen für die Zukunft sind Sie dagegen nicht. Ist Umweltpolitik nur eine Bremse?
Peter Strieder: Nein. Zuerst kommt es darauf an, Umweltpolitik als integrativen Bestandteil von Politik zu verstehen. Das hat in der Vergangenheit ein Schattendasein gefristet. Ich glaube zum Beispiel, daß im Bereich der Stadtenwicklung viel zu wenig auf ökologische Parameter geachtet worden ist. Natürlich ist die Reparatur von Fehlentscheidungen ein wesentlicher Teil von Umweltpolitik. Beispiel Müllverbrennungspolitik: Es war ziemlich schwer, den Senat davon zu überzeugen, daß der alte Vertrag mit Bewag und BSR nicht ratifiziert werden darf. Es gibt eine paraphierte Vereinbarung mit Bewag und BSR, daß sie die Anlagen zur thermischen Behandlung bauen können und daß Berlin ihnen eine Auslastung von 90 Prozent zusagt. Inzwischen hat der Senat beschlossen, diesen Vertrag nicht wirksam werden zu lassen. Damit sind die Planungen der beteiligten Unternehmen obsolet.
Es bleibt also bei einer Müllverbrennungsanlage?
Es gibt ab Januar ein Mediationsverfahren mit einer neuen Abfallwirtschaftsprognose. Diese Prognose wird Aufschluß geben darüber, ob und in welchem Umfang wir zusätzliche Behandlungskapazitäten brauchen.
Auch beim Havelausbau hat Ihre Verwaltung die Notbremse gezogen. Wird Ihre Verwaltung ein Raumordnungsverfahren für den Berliner Abschnitt des Projektes 17 durchführen?
Unser Vorschlag ist es, das Einvernehmen für die Planfeststellung für den Ausbau der Schleuse Charlottenburg nicht zu erteilen und ein Raumordnungsverfahren einzuleiten. Ich bin nicht bereit, einmal beschlossene Großprojekte durchzuziehen, nur weil sie einmal beschlossen worden sind. Mit solcher Art von Projekten hat der Landesetat genug zu kämpfen. Deswegen verfolge ich die Idee, auf den Ausbau des Teltowkanals im Zuge des Projekts 17 zu verzichten und die 600 Millionen, die dafür vorgesehen sind, beim Havelkanal zu investieren und über die Nordumfahrung den Westhafen zu erreichen.
Senator Klemann hat Schwierigkeiten mit dieser Position.
Das kann man wohl sagen. Aber ich setze darauf, daß wirtschaftlich sinnvolle Argumente selbst im ehemaligen West-Berlin nicht ganz ungehört verhallen. Natürlich hat der Kollege Klemann in vielen Punkten eine andere Position, Hauptsache, der Verkehr rollt, und Hauptsache, die Investitionen laufen, egal, ob sie gebraucht werden oder nicht. Es geht mir aber nicht darum, das Projekt 17 insgesamt zu behindern, sondern darüber nachzudenken, was sinnvoll ist.
Im übrigen hat sich die Genehmigungsfähigkeit dieses Projekts dramatisch verändert durch eine Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes. Dort heißt es jetzt ausdrücklich, daß eine wesentliche Funktion der Gewässer der Lebensraum von Pflanzen und Tieren ist und daß die Nutzungen so verträglich wie möglich sein müssen.
Mit Ihnen wird es also kein grünes Licht für den Ausbau der Schleuse Charlottenburg geben?
Jedenfalls nicht jetzt. Ein Raumordnungsverfahren ist eine offene Untersuchung. Daraus sollte sich eine gemeinsame Haltung des Landes Berlin ergeben.
Das heißt zwei Jahre Verzögerung.
Nach unseren Bestimmungen muß es nach sechs Monaten abgeschlossen sein. Andere Verzögerungen betreffen nicht meine Verwaltung.
Die nächste Notbremse hat der Bausenator gezogen: Die Solaranlagenverordnung hängt nun seit anderthalb Jahren im Senat. Gibt es eine Möglichkeit, diese Blockade zu überwinden?
Diese Blockade kann man natürlich in einem Koalitionsausschuß überwinden, weil die Verordnung in der Koalitionsvereinbarung steht. Ich habe davon bisher keinen Gebrauch gemacht, weil ich von der Qualität des Gesetzes nicht überzeugt bin. Erstens: In dieser Solaranlagenverordnung gibt es ein ganz gefährliches Schlupfloch, nämlich den Einbau von dezentraler Warmwasserversorgung, auf deutsch gesagt von elektrischen Durchlauferhitzern. Das ist nun, ökologisch gesehen, das Schlimmste, was man machen kann, und für die Bauherren das Billigste. Der zweite Punkt: Natürlich führen diese Anlagen zu Mehrkosten bei der Investition. Auf der anderen Seite haben wir einen erheblichen Anteil an Amortisierung durch Energieeinsparung. Gegenwärtig ist es wegen Bundesgesetzen nicht möglich, die Grundmiete nicht zu erhöhen, sondern den Vorteil auf die Energiekosten umzulegen. Ich weiß nicht, ob wir der Idee von Solaranlagen einen Gefallen tun, wenn wir von den Mietern mehr Geld verlangen, ohne daß sie erkennen, daß es zu Einsparungen bei der Energie führt. Deswegen gibt es aber kein Abweichen von der Verordung, sondern den Versuch, die Wirtschaft bei ihrer freiwillgen Selbstverpflichtung ernst zu nehmen – mit klar definiertern Schritten und Zeiten. Auf die Verordnung kann nicht verzichtet werden.
Freiwillige Selbstverpflichtungen ohne Sanktionen bringen in der Regel nichts.
Die Sanktion ist das Inkraftsetzen der Solaranlagenverordnung.
Die Sie aber selbst nicht so richtig wollen.
Ich habe keine andere Möglichkeit im Moment, weil die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Ich will das wirtschaftliche Eigeninteresse der Wirtschaft wecken. Wir haben die Chance, hier Ökonomie und Ökologie viel enger zusammenzubringen und dies zu einem Standortvorteil zu entwickeln.
Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie hat die Industrie noch nicht begriffen. Einen vernünftigen Vorschlag für die Selbstverpflichtung zu Solaranlagen gibt es nicht.
Das ist eine einseitige Darstellung. Es gibt Unternehmer, die durchaus sehen, daß man mit den Methoden der sechziger und siebziger Jahre nicht mehr weiterkommt. Zur Versöhnung von Ökonomie und Ökologie: Was wir mit der Energiesparpartnerschaft machen, was wir mit dem Umweltförderungsprogramm und der Zukunftsinitiative ökologisches Wirtschaften an Bestandssicherung für kleine und mittlere Unternehmen finanzieren durch Stoffstromeffizienz und Energieeffizienz, all das ist enorm. Mit dem Öko-Audit erreichen wir die Implementierung von Öko-Management und die Stabilisierung von Arbeitsplätzen.
Das sind alles nicht die großen Weichenstellungen für die Zukunft. Sie reden seit einem Jahr von der Solarhauptsadt Berlin. Bisher haben wir davon noch nichts gesehen.
Umweltschutzpolitik war schon immer Marathonlauf und nicht 50-Meter-Sprint. Sie müssen die Leute überzeugen, und das gelingt immer mehr. Ich bin zuversichtlich, daß die kostendeckende Einspeisevergütung für Solarstrom und die Förderung des Photovoltaik uns mit der Bewag zusammen gelingen wird. Ich bin zuversichtlich, daß wir mit den Verbänden und der Industrie eine Vereinbarung schließen werden über ein Bündnis zum Klimaschutz und für Arbeit. Wir werden mit der IHK, der Handwerkskammer, der Architektenkammer, dem Bauindustrieverband und der Heizungsbauindustrie konkret verabreden, welche Maßnahmen in welchem Umfang ergriffen werden. Das geht von Niedrigenergiehäusern über Solarthermalanlagen bis zur effizienten Energieversorgung. Aber es tut mir leid, in diesen Bereichen gab es wenig politische Vorarbeit, und deswegen ist das zeitaufwendig und anstrengend.
Gerade haben die Umweltverbände dem Land vorgeworfen, die Ziele der lokalen Agenda 21 zu verpassen.
Ich glaube, daß die Umweltverbände nicht ganz richtig beobachten, was wirklich an lokaler Agenda läuft. Es gibt eine Menge von Bezirken, die sehr aktiv sind. Wenn sie die Hauptverwaltungsebene, also uns, kritisieren, dann kann ich diese Kritik nicht ganz zurückweisen. Ich glaube auch, daß wir noch keinen richtigen Ansatzpunkt gefunden haben für die Fragen des Prozesses der lokalen Agenda. Das hängt damit zusammen, daß mein Amtsvorgänger Volker Hassemer mal eine lokale Agenda diktiert hat. Prozeß heißt aber, Menschen einzubeziehen: Verhaltensänderung durch Bewußtseinsänderung, das geht nicht von oben nach unten.
Warum halten Sie sich beim Thema Grüner Punkt nicht an Ihre eigene Koalitionsvereinbarung? Bei Nichterfüllung der Quoten, wie jetzt geschehen, soll die Freistellung von der Rücknahmepflicht widerrufen werden.
Ich habe die Befürchtung, daß dann auch der Müll mit dem Grünen Punkt in den Restmüll wandert, die Abfallquoten steigen und damit den Nachschub für die Müllverbrennungsanlagen liefern. Zweitens: Wenn die Verpackungsverordnung novelliert wird, werden die Quoten ganz einfach zu erreichen sein. Das heißt, die Rechtslage ändert sich. Ich kann nicht versuchen, das Duale System in Berlin kaputtzumachen, und im nächsten Jahr gibt es das System wieder, weil die Quoten so niedrig sind, daß sie erfüllt werden. Außerdem würde sich das Land heftigen Schadenersatzprozessen aussetzen. Schließlich gibt es das nicht von der Hand zu weisende Argument, daß die Verpackungsverordnung wegen eines Verstoßes gegen europäisches Recht eigentlich nicht existiert. Das ist ein Problem. Wir reden mit der DASS über eine Verbesserung ihres Systems, wie man höhere Quoten erreichen kann. Einer der Punkte ist die dramatisch niedrige Mehrwegquote. Es muß eine Kampagne geben, finanziert vom DASS, getragen vom Einzelhandelsverband, diese Mehrwertquote deutlich zu steigern.
Sie sagen, zur Zeit gebe es eine Möglichkeit für die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Nun ist Wirtschaftswachstum eines der großen Ziele unserer Gesellschaft, widerspricht allerdings dem Umweltschutz. Wie wollen Sie diesen Widerspruch aufheben?
Ich glaube nicht, daß die deutsche Industrie einseitig auf Wachstum setzen muß. Stoffstrom- und Energieeffizienz sind im Interesse von Umwelt und Unternehmen. Das Problem ist, daß die deutsche Industrie auf Verfahrensinnovationen setzt, also mit hohem Kapitaleinsatz rationalisiert. Was wir eigentlich brauchen, sind aber Produktinnovationen. Ich halte überhaupt nichts davon, so zu tun, als ob unsere Gesellschaft Lust hätte und in der Lage wäre, in die Askese zurückzukehrten. Wir müssen über neue Produkte nachdenken, mit denen man nachhaltig wirtschaften kann. Dazu gehören zum Beispiel Demontage- und Recyclingtechnologien, also der Ersatz von Primärstoffen durch gebrauchte Güter. Dazu gehört in den Städten wie Berlin auch die Frage nach der Mobilität. Keiner will auf Mobilität verzichten, die Frage ist nur, wie wir Mobilität organisieren.
Die Demontagetechnologie ist ein gutes Beispiel. Sie widerspricht dem Wachstumsinteresse der heutigen Industrie.
Das tut sie nicht. Sie haben damit wirtschaftliche Vorteile, weil sie die Rohstoffe ersetzen können und zu Kostenvorteilen kommen. Ford in Berlin sammelt die Fehlpressungen bei seinen Armaturenbrettern und gibt sie zermahlen wieder in den Kreislauf zurück. Das macht Ford nicht aus Umweltschutzgründen, sondern weil es sich rechnet.
Trotzdem hat Ford ein Interesse, eine zunehmende Zahl von Autos abzusetzen. Wenn man die Demontagetechnologie ernst nimmt, wird Ford keine Autos mehr absetzen, weil die Autos 30, 40 Jahre halten und dieselben Teile wieder zu neuen Autos zusammengebaut werden. So produzieren sie kostengünstiger, aber trotzdem steigen Energieverbrauch und Rohstoffeinsatz. Was hat das mit Ökologie zu tun?
Er wächst nicht in dem Maß, wie er ohne solche Substitutionssysteme wachsen würden.
Aber er wächst und belastet die Umwelt.
Aber wir werden es nicht hinkriegen, den Ostdeutschen zu sagen, eure Motorisierung wird nicht so groß sein wie unsere. Wir haben bei Konsumgütern eine Möglichkeit, ohne Verzicht auf Lebensqualität den Energieverbrauch heftig zu senken. Wir müssen erst einmal über Effizienzsteigerungen nachdenken, weil es für Askese keine Zustimmung gibt. Ernst Ulrich Weizsäckers „Faktor Vier“ ist durchsetzbar.
Das ist die Logik, die immer nur an den Symptomen rumdoktert. Bestes Beispiel ist doch der Grüne Punkt: Es gibt ein Problem mit Verpackungen, aber diese Flut wird nicht reduziert, sondern es wird ein neues System geschaffen, mit dem Milliarden verdient werden. Es wird nichts für Müllvermeidung getan, sondern es entsteht eine neue Industrie.
Das ist ein Problem unserer Gesellschaft, die hat sich verändert. Wir werden auf solche Bequemlichkeitsfortschritte in Zukunft nicht mehr verzichten. Wir müssen versuchen, ökonomisch und ökologisch Unsinniges zu verhindern, zum Beispiel diese kleine Verpackungen für Kaffesahne ... die stehen hier Gott sei Dank nicht auf dem Tisch ... (lacht)
Glück gehabt ...
Nein, angeordnet.
Unter dem Strich haben Sie sich aber als Umweltpolitiker mit dem umweltzerstörenden Wachstum abgefunden.
Nein. Ich versuche, mich in der Logik unseres Systems zu bewegen, weil ich nicht glaube, daß man momentan einen radikalen Systemwechsel hinkriegt.
Hätten Sie einen solchen Wechsel denn gerne?
Wir müssen beim Wachstum zu einem Systemwechsel kommen. Es kann nicht sein, daß der Grad der Motorisierung so weitergeht. Für mich sind das aber alles Maßnahmen, die über Bewußtseinsveränderungen zu Verhaltensveränderungen führen müssen. Außerdem müssen sie mit einem öffentlichen Angebot einhergehen.
Sie sind für kleine, dezentrale, umweltschonende Mobilitätsformen. Wie verträgt sich das mit Ihrem Plädoyer für den Transrapid?
Da gebe ich zu, das ist schlicht regionalpolitischer Egoismus. Vom Transrapid verspreche ich mir Arbeitsplätze, Image für Berlin und ein Kompetenzzentrum für Verkehrstechnologie. Das ist einer der wenigen Bereiche, wo wir eine Chance haben, Arbeitsplätze zu halten und auszubauen.
Lokal denken, lokal handeln?
Ich weiß nicht, wie ich abgestimmt hätte, wenn ich Bundestagsabgeordneter gewesen wäre. Der Transrapid ist beschlossen. Als Berliner Verantwortlicher sollte man auf diese Chance für Berlin nicht verzichten, wenn das Geld ohnehin ausgegeben wird.
Sind Sie ein Geldverschwender aus Lokalpatriotismus?
Das glaube ich nicht. Wenn man als Exportnation weiterexistieren will, dann muß man auch neue Projekte ausprobieren können und in der Lage sein, so etwas wie den Transrapid fahren zu lassen. Interview: Hannes Koch,
Bernhard Pötter
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