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Nonkonformist, Saboteur und Unternehmer

■ Hans Deichmann, Mann der I.G. Farben in Italien, war ein Vaterlandsverräter

Der Mailänder Unternehmer Hans Deichmann erhielt eben den Geschwister-Scholl-Preis für sein Buch „Gegenstände“. Der Preis wird von der Stadt München und dem Bayerischen Verleger- und Buchhändler-Verband verliehen. Der Preisträger, 1907 in Köln geboren, ist ebenso ungewöhnlich und bemerkenswert wie sein Buch.

„Es war im vorletzten Jahre des Ersten Weltkriegs, die einzige Fliegerbombe war auf Köln noch nicht gefallen, aber Deutschland hatte schon damit begonnen, den Krieg verdientermaßen zu verlieren“: So beginnt das erste Erzählstück „Das Raumschiff“ in Hans Deichmanns Lebens- und Jahrhundert-Erinnerungen. Der Autor stammt aus der großbürgerlichen Kölner Kaufmanns- und Bankiersfamilie Deichmann, die unweit des Doms damals ein „Doppelpalais ungeheuren Ausmaßes“ bewohnte. Im „Raumschiff“, einer Kinderschaukel im Treppenhaus, lernte HD, wie sich der Erzähler und Chronist neutral und bescheiden nennt, seine persönliche Unabhängigkeit.

Er versuchte, sie sich unter schwierigen Umständen ein Leben lang zu bewahren. Beim Chemieunternehmen I.G. Farben angestellt, wurde HD während des Zweiten Weltkrieges als Beauftragter des NS-Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung ins faschistische Italien dienstverpflichtet. Nach mehreren Dienstaufenthalten auf der Baustelle der I.G. Farben im KZ Auschwitz während der Jahre 1942 bis 1944 sah er nicht nur die Verbrechen von SS und Wirtschaft, sondern faßte auch den Entschluß, mit dem italienischen Widerstand zusammenzuarbeiten.

Er blieb Mitarbeiter der I.G. Farben und trat in die Widerstandsbewegung „giustizia e libertà“ ein. Er wurde bewußt „Verräter“ und arbeitete für die möglichst schnelle Niederlage seines „Vaterlandes“.

HD ist kein Schriftsteller, sondern Kaufmann. Erst im hohen Alter verfaßte er seinen literarischen Rückblick unter dem Titel „Oggetti – Gegenstände“. Das Buch erschien zunächst 1995 als zweisprachige Ausgabe in einem kleinen Mailänder Verlag. Der Titel verdankt sich dem Erzählstil HDs, nicht sich als Person, sondern bedeutsame oder symbolische, meist alltägliche Gegenstände (Brille, Gummifinger, Nachttopf, Fahrräder, Arbeitsfrontmütze) in den Vordergrund zu stellen. Die einsprachige Ausgabe erschien vor einigen Wochen.

Ein ebenso ironischer wie liebevoller Ton bestimmt den einfachen Stil des Buches. Das Erzählstück über HDs Zusammenarbeit mit dem italienischen Widerstand heißt „Augusta und Topolino“, weil er mit diesen von Lancia und Fiat hergestellten Autotypen nicht nur seine Dienstreisen unternahm, sondern auch Mitglieder von „giustizia e libertà“ vor der Verfolgung rettete. HDs enttäuschende Erfahrungen als Vorsitzender der Spruchkammer Obertaunus („Entnazifizierung“) werden im Erzählstück „Kennkarten“ verarbeitet. Seine Ausreise aus dem lernunwilligen Deutschland 1948 und die Gründung eines eigenen Chemieunternehmens in Mailand – wo HD seitdem lebt – erscheinen in der Episode „Der silberne Becher“. Der wehmütige Besuch 1992 im „Haus Hombusch“ (Eifel), dem ehemaligen, weitläufigen Landhaus der Familie Deichmann, wo HD sieben Jahrzehnte früher mit Pferden gespielt und seinen ersten Schnaps getrunken hatte, erhielt den Titel „Pferderollen“.

HD merkt zwar insgesamt an, das Überleben habe er „auf fast rechtschaffene Weise“ geschafft, aber die damit angedeuteten dunklen Seiten bleiben dem Leser verborgen. Deichmann ordnet sich noch heute den Ideen des „Kreisauer Kreises“ zu. In Italien sorgte er für die Veröffentlichung von Briefen James von Moltkes, eines führenden Kopfes des Kreises und Organisators des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944.

Deichmann eröffnet in seinem Buch eine bisher kaum bekannte Facette des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Sein Leben kann als Praxis demokratischer Beziehungen in Europa gelten. Einer der mutigsten und interessantesten Menschen, den Köln im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, bleibt in seiner Heimatstadt gegen den selbstgefälligen Muff der heutigen tonangebenden Kölner Kreise noch zu entdecken – und zu ehren. Werner Rügemer

Hans Deichmann: „Gegenstände“. dtv 30592, München 1996. 244 S., 16,90 DM. Zweisprachige Ausgabe (Pesce d'Or Vlg. 36 DM) beim: Berliner Literaturversand Ph. Wendland, Postfach 151423, 10676 Berlin

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