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Lieber Ebenholz als Elfenbein

Von der Straße in die Schule: Wie soll die Jugend der schwarzen Ghettos sprechen? Mit dem Streit um die Einführung von „Ebonics“ als eigener afroamerikanischer Sprache hat Amerika seinen neuen rassenpolitischen Rummel  ■ Von Steffan Heuer

Es fing alles mit der Sorge um schlechte Noten an. Toni Cook, Mitglied der Schulverwaltung von Oakland, östlich von San Francisco, saß über den Statistiken und sah ein Problem: Warum schneiden die 28.000 schwarzen Schüler in ihrem Distrikt Jahr um Jahr schlechter ab als Latinos, Weiße und Asiaten? Warum machen sie die Mehrheit aller Sonderschüler und Sitzenbleiber aus? Ein Expertengremium nahm sich der Sache an und empfahl, schwarzes Englisch als eigenständige Sprache im Klassenzimmer anzuerkennen. Was das School Board kurz vor Jahresende tat und damit eine Welle der Entrüstung losgetreten hat, wie sie Amerika seit O.J. Simpsons Freispruch nicht mehr erlebt hat. Die Muttersprache der Afroamerikaner, tönte es aus Oakland, sei „Ebonics“, eine Kombination aus ebony (für Ebenholz) und Phonics. Für dieses schwarze Englisch gibt es eine eigene Grammatik, in der die meisten Verben nicht dekliniert werden und das Endungs-„g“ wegfällt; „th“ wird zu „d“, doppelte Verneinung ist normal. So wird aus „I can trust everyone“ der Satz „It ain't nobody I can't trust“ oder „During the civil right crisis, we worked hard“ zu „Doin the civil right crisis, we work hard“.

In Zukunft sollten Lehrer in dieser Sprache geschult werden oder besser noch unterrichten, um sich auf die Nachzügler in ihren Klassen einstellen zu können. Die Idee ist weder neu noch revolutionär, trotzdem haben sich US-amerikanische Medien und Professoren auf die Entscheidung gestürzt, um sie als einen Akt der weiteren Zersplitterung des Traums von einer multikulturellen Gesellschaft zu brandmarken. Bürgerrechtler Jesse Jackson griff den Oakland-Fall als „Schande“ im Fernsehen an, weil die Regelung „Unterricht von oben herab“ bedeuten würde.

Linguisten liegen sich in den Haaren, ob Ebonics Humbug ist und falsches Englisch aus politischen Gründen in den Rang einer Fremdsprache hebt. Selbst Schüler in Oakland können sich keinen Reim darauf machen. „Wir reden Englisch, basta“, erklärten sie einem New York Times-Reporter.

Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob ein Dialekt Sonderstatus bekommt, sondern darum, die katastrophalen Zustände an Amerikas öffentlichen Schulen zu beheben. Wenn soziale Herkunft im Vokabular hörbar wird, verpufft die Idee von Chancengleichheit mit dem ersten Satz. Das Problem läßt sich mit gutgemeinten Extrawürsten nicht lösen, darin sind sich Experten einig. „Das Ganze ist Blödsinn, eine rein politische Entscheidung“, wettert George Bond, Sozialanthropologe und Direktor am Institut für Afrikastudien der Columbia-Universität New York. „Es gibt kein schwarzes Englisch. Dann könnte ich auch Ivoronics propagieren – Englisch, so weiß wie Elfenbein.“ Was als Ebonics verkauft wird, so der Professor, finde man als Slang auch in Nordengland. Der schwarze Harvard-Soziologe Henry Louis Gates nennt die Entscheidung „dumm und lächerlich“: „Als Afroamerikaner suche ich verzweifelt nach Wegen, um das Analphabetentum in den Griff zu kriegen, aber das ist keine Lösung.“ Zudem haben die Bürokraten in Oakland ein altes Modell wieder hervorgeholt.

Seit den späten siebziger Jahren experimentieren Schulen in den USA mit Sonderkursen für schwarze Kinder und Jugendliche, um ihren schlechten Notendurchschnitt aufzubessern. Seit der Linguist Robert Williams 1975 den Begriff Ebonics prägte, diskutieren Wissenschaftler über ein Sprachsystem, das sich angeblich unter verschleppten Sklaven entwickelte. Danach wurde das Pidgin-Englisch Westafrikas und der Karibik zu Kreolisch – einer Sprache, die englische Wörter benutzt, aber Satzstrukturen der alten Heimat beibehält. Wer Kinder, die im Ghetto mit dieser Sprache aufwachsen, als ungebildet abstempelt, predige weiße Arroganz, argumentieren Black-Power-Aktivisten. In einem Musterprozeß erhielten Eltern schon 1979 in Michigan das Recht, ihre Sprößlinge in Ebonics zu unterrichten. Die Sonderbehandlung für den Nachwuchs spanischer und asiatischer Einwanderer in den achtziger Jahren war Wasser auf die Mühlen der Bewegung. Wenn Kinder aus Puerto Rico, Kuba und Mexiko Nachhilfe bekommen, warum nicht auch Afroamerikaner?

Als kultureller Schmelztiegel gab Kalifornien den Ton an: San Diego schuf 1989 vier Pilotschulen, und Los Angeles unterrichtet seit Jahren an 31 öffentlichen Schulen African-American English. Selbst Oakland hielt Lehrer an 26 Schulen zum Gebrauch von Ebonics an, lange bevor es zur Sprache „mit genetischer Grundlage“ erklärt wurde. Genetisch als „entstehungsgeschichtlich“ verstanden, nicht als in den Genen verankert, präzisierten die Bildungsbürokraten. Der Erfolg hält sich in Grenzen. Wenn falsche Grammatik und Rechtschreibung als „Kulturerbe“ akzeptiert werden, zeigen die Noten sogar nach unten, ermittelte die Zeitung Sacramento Bee am Beispiel einer Grundschule. Trotzdem gibt Los Angeles jährlich drei Millionen Dollar für das Experiment aus.

Und am Geld hängt letztlich die ganze Debatte: Amerikas öffentliche Schulen in den Ghettos sind überfüllt, pleite und von Gewalttätigkeit geplagt. In den Inner Cities werden ethnische Minderheiten verwahrt statt ausgebildet. Das Chaos weckt Begehrlichkeiten. Für zweisprachige Erziehung gibt es nämlich einen Sondertopf von 262 Millionen Dollar, der dieses Jahr rund 700.000 Schülern zugute kommt. Sie sind jedoch allesamt asiatischer oder hispanischer Herkunft. Wenn Oakland mit seinem Etikettenschwindel auf mehr Geld hoffte, hat es sich geirrt. Bildungsminister Richard Riley war schnell mit der Erklärung bei der Hand, daß ein Dialekt nicht gefördert wird. „Sie sehen, daß Latinokinder Geld kriegen, aber schwarze Kinder nicht“, erklärt sich der schwarze Professor John McWorther an der Universität Berkeley das Hickhack. „Ich weiß, daß Latinos ihre eigene Sprache sprechen – aber nicht meine Neffen. Das Ganze ist eine Beleidigung für ihre Intelligenz.“

Die schwarze Linguistin Hamila Tour, die ein Ebonics-Programm für New York und New Jersey entwickelt hat, ist da anderer Meinung. Aber sie sieht zumindest ein Gutes in der Kontroverse: „Egal, ob man von Sprache oder Dialekt redet – es hat eine Debatte entfacht, wie man die Zustände an den Schulen verbessern kann.“ Wenn der Ebonics-Eifer nicht bestehende Stereotypen verfestigt. Viele Wissenschaftler haben Zweifel, ob sich das Ganze in die Sklavenzeit zurückverfolgen läßt oder vielmehr Produkt der Straße ist – Konsequenz des Aufwachsens in einer isolierten Unterklasse weitab von weißen Vorstädten und guten Schulen. Schließlich will die schwarze Mittel- und Oberschicht nichts von einem eigenen Englisch wissen. „Den Trennstrich zieht nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. Das ist das Erschreckende“, sagt der Linguist William Labov aus Pennsylvania.

In die Popkultur der USA ist schwarzer Slang längst eingesickert: „O.K.“ leitet sich aus einem westafrikanischen Wort ab; Elvis Presley verdiente ein Vermögen mit „You ain't nothin' but a hound dog“; Rapper und TV-Shows machten „You go, girl!“ und „My man“ gesellschaftsfähig. Nur – wer so im Klassenzimmer spricht und sich später um eine Stelle bewirbt, wird im Land der unbegrenzten Möglichkeiten schnell in seine (Klassen-)Schranken verwiesen.

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