piwik no script img

Ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl

Das türkische Militär droht der islamistischen Regierung mit einem Putsch. Nach einem „Jerusalem-Abend“ ließ der Generalstab in der Stadt Sincan Panzer auffahren  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der Bürgermeister der 80.000 Einwohner zählenden Stadt Sincan, Bekir Yildiz, konnte beim besten Willen nicht ahnen, daß es soweit kommen würde. Der junge Bürgermeister, der der regierenden Wohlfahrtspartei angehört, hatte vergangenen Freitag einen „Jerusalem-Abend“ organisiert: Große Poster der „Märtyrer“ von Hisbollah und Hamas hingen im Saal. Eine Theatergruppe spielte „Intifada“, blutige Leichen flimmerten auf einer Leinwand, Arafat wurde als „Verräter“ gebrandmarkt, antisemitische Reden geschwungen. Der iranische Botschafter war Ehrengast und machte den türkischen Gesinnungsgenossen Mut: „Fürchtet euch nicht, daß sie euch als Fundamentalisten brandmarken. Fundamentalisten und Hisbollahi sind kluge, gläubige Menschen.“

Schon seit Jahren organisiert der extremistische Flügel der Wohlfahrtspartei Veranstaltungen wie den „Jerusalem-Abend“ ohne großes öffentliches Aufsehen. Doch diesmal kam es anders. Tagelang flimmerte Filmmaterial des „Jerusalem-Abends“ über die türkischen Bildschirme. Bürgermeister Yildiz und der iranische Botschafter wurden zur Zielscheibe. Die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei organisierte eine Kundgebung in Sincan unter dem Motto „Die Türkei ist laizistisch und wird laizistisch bleiben“. Generalsekretär Adnan Keskin nannte Ministerpräsident Erbakan einen „Sklaven Khomeinis“ und „grünen Teufel“. Ein Fausthieb auf eine Fernsehkorrespondentin, die live von dem zentralen Platz Sincans berichtete, brachte schließlich das Faß zum Überlaufen. „Was für eine Niederträchtigkeit!“ kommentierte der sonst eher schweigsame Oberkommandierende der Gendarmerie, General Teoman Koman.

Schließlich rollten am Dienstag Panzer durch die Straßen der 70.000 Einwohner zählenden Stadt, die nur 26 Kilometer von der Hauptstadt Ankara entfernt ist. „Haben die Militärs geputscht?“ fragten Einwohner bei den Zeitungsredaktionen an. Irritiert hetzten Minister durch die Korridore des Parlaments, um sich den Aufmarsch der Panzer in Sincan erklären zu lassen. Aber nicht einmal der Ministerpräsident war informiert. Und der Generalstab selbst hüllte sich lange in Schweigen, um schließlich zu erklären, die Panzer seien im Rahmen einer regulären Übung durch die Stadt gefahren.

Doch die 20 Leopard-Panzer von Sincan sind eine offene Drohgebärde des türkischen Militärs gegenüber der islamistisch-konservativen Regierungskoalition unter Ministerpräsident Erbakan. Bürgermeister Yildiz ist inzwischen seines Amtes enthoben. Die Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichts Ankara stellte einen Haftbefehl gegen ihn aus. Beamte der Abteilung Terrorismusbekämpfung wurden nach Sincan geschickt, um Festnahmen vorzunehmen. Der iranische Botschafter, dessen Amtszeit auf Erbakans persönlichen Wunsch von Teheran verlängert worden war, wurde ins Außenministerium zitiert. Es gilt als sicher, daß der Botschafter zur Persona non grata erklärt wird, falls Teheran ihn nicht vorher abberuft.

Während die Panzer durch Sincan rollten, wurde Verteidigungsminister Turhan Tayan in den Generalstab und Außenministerin Tansu Çiller zu Staatspräsident Süleyman Demirel zitiert. Die Regierung steht unter dem Druck der Militärs. Erbakans Beteuerung, das Militär vertraue der Regierung noch, mag nach den Panzern von Sincan freilich niemand mehr glauben. In den vergangenen Wochen hat Erbakan nämlich Tabus der Militärs angekratzt. Per Gesetzesänderung wollte er Beamtinnen das Tragen des Kopftuches erlauben. Die Projekte zum Neubau zweier Mammutmoscheen nahe dem Staatspräsidentenamt in Ankara und auf dem wichtigsten öffentlichen Platz in Istanbul – Orte mit Symbolcharakter für die säkulare Republik – leiteten eine erzürnte öffentliche Debatte ein. Auch Erbakans Plan, künftig die Landreise für Mekka-Pilgerer, die bislang nur per Flugzeug reisen dürfen, freizugeben, stieß auf erbitterten Widerstand. „Die Situation ist gefährlicher als vor dem 12. September“, sagt der ehemalige Kriegsrechtskoordinator des Generalstabes, Nevzat Bölükgiray. Mit dem 12. September ist der Militärputsch von 1980 gemeint, und Bölükgiray prophezeite schlicht, daß der nächste Putsch blutiger ausfallen werde. General Dogan Beyazit, vor kurzem noch Generalsekretär des allmächtigen Nationalen Sicherheitrates, schließt einen Putsch nicht mehr aus, falls das Parlament nicht „Lösungen aus der Sackgasse“ finde.

Die Politiker in Ankara haben den Wink mit den Zaunpfahl verstanden. Minister der Partei des rechten Weges stellen mittlerweile, teils unter Auflehnung gegen die Parteivorsitzende Çiller, die Koalition mit den Islamisten in Frage. Die Oppositionsparteien, die einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung stellen wollen, hoffen jetzt auf Unterstützung durch die Abweichler aus den Reihen der Partei des rechten Weges.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen