: Kanzler Kohl will offenbar weitermachen
■ „Ich kenne meine Pflicht“, erklärte der Bundeskanzler, und schon schießen die Spekulationen, ob und wann er sich erklärt, ins Kraut. Schäuble bleibt gelassen
Bonn (Afp/AP) – Bundeskanzler Helmut Kohl will offenbar bei der Bundestagswahl 1998 erneut antreten. „Ich kenne meine Pflicht und brauche dazu keinen Nachhilfeunterricht“, sagte er der FAZ. Er werde „rechtzeitig zu einem Zeitpunkt, den ich für richtig halte“, seine Entscheidung bekanntgeben. Nach Informationen von Bild am Sonntag will sich Kohl nach seiner alljährlichen österlichen Fastenkur im April erklären. Ein CDU-Sprecher nannte dies „Spekulation“. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, sprach gestern im ZDF von einer eher „künstlichen Debatte“. Er warnte seine Parteifreunde vor „Machtspielchen, also wer wird was, welche Koalition, wie die nächsten Wahlen“. Der CDU-Rechtspolitiker Horst Eylmann meinte, Kohl könne die Entscheidung nicht mehr lange offenhalten. „Partei und Bevölkerung ... (wollen) jetzt langsam erfahren“, ob Kohl erneut kandidiere. Trete er nicht mehr an, stehe die Fraktion hinter Schäuble. Der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, Herbert Reul, betonte: „Die CDU braucht Helmut Kohl. In der schweren politischen Lage brauchen wir ihn auch als Kanzler.“
SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping nannte den Kanzler dagegen „kraftlos, orientierungslos und entscheidungsunfähig“. Radio Bremen sagte er, er glaube nicht, daß Kohl noch die Kraft habe, seine Regierung aus den selbstgestellten Fallen und Zwängen zu befreien. „Das schreit nach Änderung. Ich glaube aber, die Bevölkerung und auch die Oppositionsparteien richten sich klugerweise darauf ein, daß diese Regierung sich bis September 1998 durchwürgt und durchfummelt und daß erst danach ein wirklicher Wechsel in der Politik und in der Regierung möglich sein wird.“ Dann sei eine Ablösung der Regierung Kohl „durch eine gestärkte SPD in Zusammenarbeit mit den Grünen“ logisch und realistisch.
Die SPD selbst will noch in diesem Jahr eine Spitzenmannschaft für die Bundestagswahl 1998 präsentieren. Den Lübecker Nachrichten sagte der Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering, die Führung dieser Kerngruppe liege beim SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine. Unterdessen vertrat Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) in Focus die Einschätzung, daß Kohl nicht mehr die treibende Kraft in der Bonner Koalition sei. Schäuble sei „der starke Mann der Union“. Als „zutiefst unökonomischer Mann“ sei Kohl der „falsche Kanzler für diese Zeit und diese Probleme“. Schäuble dagegen könne es schaffen, „Partei- und Koalitionsinteressen noch einmal zusammenzubinden“.
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