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Türkische Regierungskoalition tappt im Dunkeln

■ Immer mehr Menschen protestieren allabendlich gegen die Regierung – sie löschen die Lichter und gehen auf die Straße. Ein Toter bei Polizeiübergriffen

Istanbul (taz) – Seit über zwei Wochen beteiligen sich jeden Abend Millionen Türken an der Aktion „Eine Minute Finsternis für Erleuchtung“: Um 21 Uhr werden die Lichter ausgedreht, Autos hupen, und Passanten klatschen in den Straßen in die Hände. Jetzt haben die Demonstrationen gegen die Verwicklung von Politikern in kriminelle Strukturen ein Todesopfer gefordert. Der pensionierte Bankangestellte Celal Cankoru, der Sonntag abend mit seiner Frau in der Mittelmeerstadt Antalya spazierenging, wurde von Polizisten, die eine Gruppe von Demonstranten einkreisten, festgenommen. Nach Schlägen mit einem Funkgerät auf den Kopf starb er.

Die Aktion „Eine Minute Finsternis für Erleuchtung“, die von der Mehrheit der Medien – Presse, Rundfunk und private Fernsehanstalten – unterstützt wird, fordert Aufklärung über kriminelle Machenschaften, in welche Politiker verwickelt sind. Nach einem Verkehrsunfall Anfang November, bei dem ein wegen mehrfachen Mordes gesuchter Killer, ein hochrangiger Polizeifunktionär und ein Abgeordneter verunglückten, traten ungeheure Details über die Kumpanei von Politik, Mafia, Todesschwadronen und Polizei zutage.

Heroinhändler und Mörder waren mit Polizeiausweisen, Waffenscheinen und Diplomatenpässen ausgestattet worden. Im Zentrum der Vorwürfe stehen der inzwischen zurückgetretene Innenminister Mehmet Agar und Außenministerin Tansu Çiller.

Inzwischen allerdings ist die islamistisch-konservative Koalition insgesamt gemeint. Ministerpräsident Necmettin Erbakan, hat jüngst alle, die sich am friedlichen Bürgerprotest beteiligen, als „Parasiten“ bezeichnet. Er hat sich eindeutig auf die Seite seiner Koalitionspartnerin Tansu Çiller geschlagen.

In dieser Woche stimmt das türkische Parlament über die Berichte von drei Untersuchungsausschüssen ab, die sich mit Korruptions- und Bereicherungsvorwürfen gegen Çiller befaßt hatten. Die islamistisch-konservative Mehrheit in den Auschüssen sprach Çiller von den Vorwürfen frei und befand, daß sie sich nicht vor Gericht verantworten muß.

Aller Voraussicht nach wird das türkische Parlament die Abschlußberichte der Kommissionen mit knapper Mehrheit bestätigen. Die Position Çillers in der Koalition ist somit gestärkt. Ministerpräsident Erbakan, der stets Çiller mit den Untersuchungsausschüssen drohte, falls sie sich in der Koalition nicht gefügig zeige, verliert nach Ansicht vieler Beobachter die Erpressungsgrundlage. Ömer Erzeren

Kommentar Seite 10

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