: Mit Allah zur Revolution
Bernhard Falk sitzt als mutmaßliches Mitglied der „Antiimperialistischen Zelle“ seit einem Jahr in U-Haft. Der 29jährige trat zum Islam über ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Wer Bernhard Falk besuchen möchte, muß einige Hürden überwinden. Eine Besuchsgenehmigung des Bundesgerichtshofes ist erforderlich, umfangreiche Sicherheitskontrollen in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf wollen passiert sein. Das Gespräch mit ihm ist auch dann nur im Beisein eines Beamten des Landeskriminalamtes möglich. Zusammen mit seinem ein Jahr älteren Freund Michael Steinau wurde der heute 29jährige Falk am 26. Februar letzten Jahres in Witzhave bei Hamburg festgenommen. Beide sollen sie Mitglieder der „Antiimperialistischen Zelle“ (AIZ) sein – einer militanten Truppe, der von einem Brandanschlag auf das Rechtshaus der Hamburger Universität am 21.November 1992 bis zu einem Sprengstoffattentat auf das Haus des peruanischen Honorarkonsuls in Düsseldorf am 23. Dezember 1995 insgesamt neun Anschläge zugerechnet werden.
Bis zum Tag der Festnahme von Falk und Steinau hatte der Name AIZ Politiker und Fahnder in tiefe Verunsicherung gestürzt. Nach dem Ende der Roten Armee Fraktion galt die „Zelle“ als die gefährlichste terroristische Vereinigung in der Bundesrepublik. Nach der Verhaftung der beiden sind keine Aktivitäten der AIZ mehr bekanntgeworden. Die Ermittler spekulieren mittlerweile, daß die „Zelle“ möglicherweise nur aus Falk und Steinau bestanden hat.
Bernhard Falk ist ein ruhiger, ein höflicher Mann. Er wirkt besonnen, er zieht, anders als es in seiner früheren Szene üblich ist, das „Sie“ dem „Du“ vor. Auch im Umgang mit seiner Rechtsanwältin. 1986 schloß er in Schleswig- Holstein mit einer Traumnote von 0,72 als Jahrgangsbester das Abitur ab. Er studierte anschließend Chemie und Physik, las Bücher von Lenin, Trotzki und Marx. Der Bart und die Haare sind im Vergleich zu Fotos aus früheren Tagen ein wenig zurückgestutzt. Auf dem Tisch im Besuchszimmer der Haftanstalt im Kölner Stadteil Ossendorf liegt vor ihm ein Ordner, seine Knastkorrespondenz, das Handgeschriebene penibel in Druckbuchstaben.
Der Untersuchungshäftling ist wie sein Freund Steinau dem Islam beigetreten – per Unterschrift und Paßbild. Er wird seither vom Islamischen Zentrum Hamburg betreut, in religiösen Fragen, wie Falk sagt.
Zum Vorwurf AIZ möchte sich Falk eigentlich nicht äußern. Schließlich ist ein LKA-Beamter zugegen, und der schreibt fleißig mit. Nur soviel, daß die Fahnder offensichtlich weiterhin in Sachen AIZ rätseln. Ansonsten hätten sie ihm im Anschluß an eine Gegenüberstellung Mitte August wohl kaum die Kronzeugenregelung in Aussicht gestellt. Er habe abgelehnt. Ihm sei angedeutet worden, daß er nun mit einer Anklage wegen sechs der AIZ zugeschriebenen Anschläge rechnen müsse.
Die politischen Aussagen des Schiiten Bernhard Falk sind harte Kost, auch wenn sie leise gesprochen und ohne missionarischen Gestus daherkommen. Sich und seinen Freund Michael, der in Lübeck inhaftiert ist, nennt er „die ersten muslimischen politischen Gefangenen deutscher Nationalität“ – ein sperriger Begriff, von dem Falk selber sagt, daß er in „linksautonomen Zusammenhängen zu Irritationen führen muß“. Er meine damit aber „nicht mehr und nicht weniger als die Zugehörigkeit von Michael und mir zur Schia“. Die Schia, das ist die Staatsreligion im Iran.
Falk sieht sich zwar „nicht als Vertreter des Staates Iran“, aber doch als einer des „schiitischen Islams“. Seine Aufgabe sieht er darin, den Menschen die neue revolutionäre Idee und die aus seiner Sicht stattfindende „Renaissance des Islam“ zu erklären. Die schiitische Glaubensrichtung, das ist für Falk die Einheit von „Religion und Politik“ – ein „Alternativmodell“, das nach dem Scheitern des Kommunismus und dem ungebändigten Agieren des Kapitalismus wenigstens auf die drängendsten Uberlebensfragen der Menschheit Antworten zu geben sucht. Das Katastrophale sei, sagt Falk, „daß das Scheitern des Realsozialismus suggeriert, daß es keine Alternativen zum Kapitalismus gibt“. Der Islam, und da spricht der 29jahrige mit den Worten des früheren Imam am Hamburger Islamischen Zentrum, das ist „eine revolutionäre Natur, die die Menschen massenweise dazu bringt, sich gegen die Tyrannei zu erheben und zur Verwirklichung einer sozialen Gerechtigkeit zu gelangen“. Warum Islam und nicht die Bergpredigt? Falk: „Für bekennende Christen ist, wenn die christlichen Prinzipien mit den staatlichen kollidieren, maximal Verweigerungshaltung möglich, nicht aber aktive Opposition.“ Diese aktive Opposition ist für Falk offensichtlich ein sehr weitgehender Begriff. Die Selbstmordattentate der schiischen Hisbollah in Israel, denen im Frühjahr vergangenen Jahres Dutzende Passagiere in öffentlichen Bussen in Jerusalem und Tel Aviv zum Opfer fielen, rechtfertigt er ebenso wie die Ermordung von vier irakisch-kurdischen Oppositionellen 1992 in der Berliner Gaststätte „Mykonos“. Die Attentate der Hisbollah verklärt er zu einer „extremen Form des Dschihad“, des heiligen Krieges also. „Wenn es keine andere Möglichkeit gegeben hat, und andere sind offensichtlich nicht gefunden worden, dann sind solche Attentate gerechtfertigt.“ Die jüdische Bevölkerung, schiebt er nach, hätte schließlich die Möglichkeit gehabt, „den Zionisten das Handwerk zu legen“. So einfach ist das.
Der Name „Antiimperialistische Zelle“ taucht erstmals in einem anonymen Schreiben am 22.4.1992 auf, unmittelbar nachdem die Aktivisten der Roten Armee Fraktion (RAF) überraschend erklären, ihren bewaffneten Kampf einstellen zu wollen. Das einseitige Papier trägt den Titel „22 Jahre bewaffneter Kampf in der BRD“, der Inhalt sind die alten Parolen der RAF. Vier Wochen später folgt ein ausführlicher Brief, in dem die AIZ die Aussetzung des bewaffneten Kampfes harsch kritisiert, von der Notwendigkeit des militanten Widerstands in der Bundesrepublik spricht und eine strategische Verbindung der weltweiten Befreiungsbewegungen mit dem „Widerstand in der Bundesrepublik“ fordert. Der erste Anschlag der AIZ geht gegen die Rechtsfakultät der Hamburger Universität. Er wird nicht so richtig wahrgenommen, obwohl dabei ein Sachschaden von rund eineinhalb Millionen Mark entsteht. Akribisch schildern die Autoren des Bekennerschreibens die Rolle der Rechtsfakultät im Dritten Reich, auch deren Beitrag bei der juristischen Verfolgung von Kommunisten in der Nachkriegszeit der alten Bundesrepublik wird angeprangert.
Nach dem katastrophal verlaufenen Antiterroreinsatz der Grenzschutzsondereinheit GSG9 im Juni 1993 in Bad Kleinen folgt Mitte August desselben Jahres die zweite AIZ-Aktion vor dem Wohnhaus eines ehemaligen GSG-9-Beamten. Unbekannte errichten aus Säcken voller mit Benzin getränktem Sägemehl eine Feuerbarrikade. In dem kurz darauf verschickten Bekennerschreiben wird die GSG9 als „Killertruppe“ bezeichnet. Gefordert wird, „den impliziten Rassismus, der die Mehrheit der BRD-Gesellschaft zusammenhält, zum zentralen Angriffspunkt (zu) machen“.
Erst die folgenden Anschläge sind es, die die AIZ ins Bewußtsein der Bevölkerung bomben. Im November 1993 werden Schüsse auf das Kölner Gebäude des Gesamtverbands der Metallindustrie abgefeuert, zur Tatzeit steht das Gebäude leer. Ein halbes Jahr darauf detonieren Anfang Juni 94 zwei Rohrbomben vor der CDU-Kreisgeschäftsstelle in Düsseldorf. Im Herbst mißglückt ein Sprengstoffanschlag auf das Büro des FDP- Landesvorstandes in Bremen. Drei Monate später explodieren dann am 22. Januar 1995 vor dem Wolfsburger Wohnhaus des ehemaligen Staatssekretärs Vollmar Köhler eine Rohrbombe. Durch die Detonation wird der Zündmechanismus eines zweiten deponierten Sprengsatzes zufällig außer Kraft gesetzt. Die AIZ unterstreicht die von ihr bewußt herbeigeführte „potentiell tödliche Bedrohung“ einzelner Politiker in ihren Bekennerschreiben.
Am 23. April zündet die Gruppe einen Sprengsatz vor dem Haus des CDU-Abgeordneten Theodor Blank im nordrheinwestfälischen Erkrath. Am 17. September geht dann ein zwei Kilogramm schwerer Sprengsatz vor der Haustür des CDU-Wehrexperten Paul Breuer in Siegen in die Luft. Der vorerst letzte Anschlag der mit der AIZ in Verbindung gebracht wird, ereignet sich am 23. Dezember 95. In der Düsseldorfer Innenstadt wird eine Bombe vor dem Gebäude gezündet, in dem sich auch das Büro des peruanischen Honorarkonsuls befindet.
Der Inhalt der Bekennerschreiben ist ein wildes Potpourri. Anfangs wird zu einer neuen Etappe militanter Politik nach dem Beispiel der frühen RAF aufgerufen. Dann folgt eine Abgrenzung zu deren angeblich einseitiger militärischen Umsetzung des „Frontkonzeptes“. Gefordert wird ein „Klärungsprozeß im Bewußtsein gegenseitiger Solidarität“, der auch militante türkische Guerillagruppen wie PKK und palästinensische Befreiungsbewegungen einschließen müsse.
Im September 1994 wird erstmals die Solidarität mit Libyen eingeklagt, dann mit der marokkanischen und der sahraouischen Fundamentalopposition. Mit jedem Bekennerschreiben wird die Hinwendung der AIZ zu islamistischen Bewegungen und zum Iran deutlicher.
Im letzten AIZ-Bekennerschreiben Ende 1995 heißt es dann auch: „Konnte 1979 die islamische Revolution im Iran noch als ,Sonderfall‘ betrachtet werden, wird ihre fundamentale Bedeutung für den antiimperialistischen Kampf der Gegenwart vor dem Hintergrund des sich entwickelnden islamischen Widerstands allmählich klarer – von Marokko bis Ägypten, von Palästina bis Tschetschenien, von Tadschikistan bis zu den Philippinen.“ Kulminationspunkt der AlZ-Schreiber: „Wir haben den Islam als revolutionäre Waffe in voller Schärfe und Schönheit kennenlernen dürfen.“
Im Lager der Linksradikalen in der Bundesrepublik ist die AIZ damit wegen ihres Bezugs auf „eine reaktionäre Form des Islam“ vollends unten durch – Bernhard Falk und Michael Steinau, die als mutmaßliche AlZ-Mitglieder in Untersuchungshaft sitzen und in Briefen an ihre frühere Szenefreunde den Islam verteidigen, auch.
Zuletzt hat eine Hamburger Gruppe Bernhard Falk die Unterstützung entzogen. Mitte Oktober veröffentlichte die „Soligruppe“ eine Erklärung, in der es heißt: „Aktuell werden Bernhard und Michael vom islamischen Zentrum Hamburg betreut. Dieses Zentrum, in dem auch die Union islamischer Studentenvereine organisiert ist, die das direkte Sprachrohr des iranischen Staates ist, stellt für uns auch eine reaktionäre Ausrichtung des Islam dar. Daß sich Bernhard und Michael in einen Zusammenhang mit diesen Kräften stellen, entzieht für uns, auch vor dem Hintergrund einer fehlenden politischen oder persönlichen Geschichte mit beiden, einer politischen Solidarität jeden Boden.“
In der jüngsten Erklärung vom 11. Januar, anläßlich des Beginns des diesjährigen Ramadans, befaßt sich Falk detailliert mit der Verfolgung der islamistischen Opposition in Algerien durch die vor fünf Jahren an die Macht geputschte Militärführung und mit dem in Berlin vor dem Urteil stehenden „Mykonos“-Prozeß. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer die iranische Staatsführung für die Ermordung der kurdischen Dissidenten unmittelbar verantwortlich gemacht. Für Falk ist das ein „skandalöses Vorgehen, das Muslime weltweit mit Wut und Empörung zur Kenntnis nehmen müssen“. Für alle „Brüder und Schwestern in der BRD“ sei es „eine Pflicht, nicht widerspruchslos hinzunehmen, wie die Bundesanwaltschaft den Führer der islamischen Revolution, Ajatollah Said Ali Khamenei, auf abscheuliche Weise beleidigt hat!“ Das ist sie: die Einheit von Politik und Religion.
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