: Die Bewegung in den 90ern
■ Eine „Klammer für die diversen Szenen in der Stadt“: zur 15. Ausgabe des selbstverwalteten Videomagazins AK Kraak
Auf den Straßen türmte sich das Inventar ganzer Häuserzeilen. Während die Bewohner der Hauptstadt der DDR mit ihren VEB-Wandschränken das System auf den Müll warfen, strömten junge Menschen aus aller Welt in die so entstandene temporäre autonome Zone. Neben politischen Aktivisten besetzte die hedonistische Jugend der späten Achtziger Häuser und Wohnungen aus eher pragmatischen Überlegungen. Aber schon bald sah man sich mit der „Berliner Linie“ konfrontiert, die die Besetzer schnell politisierte.
1990 ist vom Hier und Jetzt ungefähr genauso weit entfernt wie die Oktoberrevolution, und wer sich die gesammelten fünfzehn Ausgaben des Videomagazins AK Kraak heute ansieht, hat eine kompakte Geschichte der Bewegung in den Neunzigern vor Augen. Das Magazin entwickelte sich im Lauf der Zeit zu einem halbjährlich erscheinenden Medium, das die eigene Szene von Anfang an distanziert und ironisch beobachtete. Das Magazin mußte sich aus dieser semi-öffentlichen Position schon immer mit der schwierigen Frage auseinandersetzen, wer aus welcher Perspektive für wen spricht und um welche Inhalte es gehen soll. In dem selbstverwalteten Projekt entscheidet außerdem jeder selbst, welchen Beitrag er wie produziert.
Heute definiert sich AK Kraak auf Grund eines nicht mehr allzuleicht festzumachenden gemeinsamen Ziels als „Klammer für die diversen Szenen in der Stadt“ und sieht sich in Nummer 15 mit einem allgegenwärtigen Anziehen der Repressionsschraube konfrontiert.
Neben dem Versuch, im Fall des radikal eine gesamte Redaktion zur kriminellen Vereinigung zu erklären, sind das die Maßnahmen gegen ganze Bevölkerungsgruppen anläßlich der Chaostage, nämlich diejenigen, die gegen eine sogenannte „natürliche Ethik“ verstoßen.
Gleichzeitig werden in den Innenstädten Westeuropas Menschen zunehmend nach ökonomischen und rassistischen Kriterien durch Polizei und Wachdienste selektiert. Aus diesem Grund sind im Rahmen der InnenStadt-Aktion eines breiten Bündnisses verschiedene Projekte geplant. Die Premiere von AK Kraak 15 fand deswegen parallel zur Eröffnung der Filmfestspiele „durch Abschiebe- Minister Kanther“ auf dem Breitscheidplatz statt.
Mit neuen politischen Aktionsformen und einer Ausweitung der Themen haben auch neue Ansätze von Visualisierung Einzug gehalten. In einem Beitrag zur Gentechnologie wird wohl zum ersten Mal in der Geschichte AK Kraaks die Gegenseite nicht nur als knüppelnder Bulle dargestellt, sondern erscheint als fragwürdig argumentierende Öffentlichkeitsarbeiterin, die mit einem Mitarbeiter des kritischen Gen-Ethischen Netzwerks gegengeschnitten wird.
Den nachvollziehbaren Schlagabtausch vermißt man dagegen an anderer Stelle: Der Beitrag über die ziemlich martialische Demo gegen Rechts im sächsischen Wurzen bedarf einiger Konzentration seitens der Zuschauer, er stellt nur implizit die Frage, inwieweit man die Bevölkerung bei solchen Unternehmen ignorieren kann.
Auf eigene Kommentare außerhalb filmischer Ironisierungen wird traditionell meist verzichtet, die Aussagekraft der Beiträge hängt damit oft von den interviewten Beteiligten ab. Das ist andererseits das Gegenteil von Fernsehen, wo jeder Autor zu allem irgendeine Meinung hat, die billig zu haben ist. Was an den dreißig Spiel-Orten passiert, ist der Gruppe genauso wichtig wie die vermittelten Inhalte. Schließlich hat man es mit mündigen Zuschauern zu tun, die statt lethargisch Informationen zu konsumieren auch selbst kommunizieren müssen. Die Ausstrahlung vor weniger als drei Zuschauern ist daher kategorisch untersagt. Ulrich Gutmair
AK Kraak unterwegs:
2.3./3.3. Arcanoa, Zossener Str. 48, 23 Uhr
2.3./3.3. X-Beliebig, Liebigstr. 34,
21 Uhr
5.3. Baobab, Christburgerstr. 3,
20 Uhr
7.3. El Loco, Kreuzbergstr. 43,
21 Uhr
14.3. Yorckstr. 59, HH, 21 Uhr
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