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Für ein bißchen Silber mehr

■ Um sie vor dem Einschmelzen zu retten, lagern 13 Tonnen DEFA-Filme in der niedersächsischen Universität Oldenburg

Zwei gute Freunde waren sie mal, in frühen DDR-Zeiten, zwei Filmemacher: Roland Steiner und Volker Steinkopff. Arbeiteten beide bei der DEFA, in den staatlichen Filmstudios der DDR. Dann gab es üble Nachrede, Anschwärzen, böses Blut – jeder beschuldigte den anderen, Geschichten hintertragen zu haben. Unverbrüchliche Aversionen sind zurückgeblieben, bis heute. Solche Leute gehen sich aus dem Weg, normalerweise.

Daß Steinkopff und Steiner, mittlerweile im Westen, aber beide an derselben niedersächsischen Provinzuni, der Universität Oldenburg, gelandet sind, darf man schon Ironie der Geschichte nennen. Die DEFA läßt beide auch in Oldenburg nicht los. Und das kam so.

„Aus Gold mach Silber“ nannte der langjährige DEFA-Regisseur Roland Steiner das Verfahren der DDR-Oberen, mißliebige Filme kurzerhand einschmelzen zu lassen. Dann fuhr jedesmal ein Laster, beladen mit Filmkopien, ins sozialistische Bruderland Tschechoslowakei, in die „Kammfabrik“, so hieß das im Jargon der DEFA-Regisseure. Die Filmkopien wurden zu Kämmen umgeschmolzen, soviel wußte auch Roland Steiner, der seit 1968 bei der DEFA war. Was er erst später erfuhr: Wenn die Bezirksfilmdirektionen mal wieder Filme „waschen“ ließen, wollte die rohstoffarme DDR gleich zweimal profitieren. In der tschechischen Kammfabrik wurde aus den Kopien noch der Silberanteil herausgelöst – Kulturgutvernichtung für einen Silbergewinn von zwei Mark pro Filmkopie.

Auch im Herbst 1991 ist ein Laster mit DEFA-Filmen unterwegs. Diesmal in Richtung Westen. Ziel ist die Mediothek der Uni Oldenburg, wo dreizehn Tonnen DEFA- Geschichte archiviert werden. Warum der größte Bestand an DEFA-Filmen – Filmen, die in den staatlichen Studios der DDR in Babelsberg bei Berlin produziert wurden – ausgerechnet in den Archiven einer niedersächsischen Provinzstadt lagert? Schuld daran ist Mediothekar Peter Franzke, Archivar aus Leidenschaft.

Franzke hatte Glück: Denn daß in Zeiten der Haushaltssperren eine Universität 320.000 Mark übrig hat, um dreizehn Tonnen künstlerisch meist wenig bedeutsame Filme zu retten, ist unüblich. Der Archivar schöpfte aus einem Sonderetat in Höhe von sieben Millionen Mark, den die Landesregierung in Hannover zur Verfügung stellte, auszugeben innerhalb eines Jahres. 250 Mark je Schwarzweißkopie, 400 je Farbkopie hat die Uni für die Filme bezahlt – der übliche Preis. Allerdings ohne die Rechte an den Filmen erworben zu haben. Folge: Außer zu wissenschaftlichen Zwecken dürfen sie nicht vorgeführt werden. Die Einrichtung einer Stiftung könnte dem abhelfen. Doch damit die ihrem Namen gerecht wird, müßten veräußerte Senderechte zurück an die Stiftung fallen. Dann könnten die Filme öffentlich vorgeführt werden, ohne daß teure Lizenzgebühren anfielen.

Doch da ist gegenwärtig noch Progress-Film vor, der ehemalige staatliche Filmverleih der DDR, der noch heute unter der Aufsicht der Treuhandnachfolgerin BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) steht. Dort liegen die Rechte, theoretisch.

Volker Steinkopff, ein zweiter, ehemals bei der DEFA angestellter Regisseur, der jetzt Filmpraxisseminare an der Uni Oldenburg anbietet, erzählt von „Nasen wie Leo Kirch“, die zur Wendezeit auftauchten und rochen, daß sich zum Beispiel mit den DEFA-Kinderfilmen im Fernsehen bestimmt noch Kasse machen ließe. Und auch der DEFA-Außenhandel bemühte sich schon vor der Wende, Lizenzen an kassenträchtigen Staatsproduktionen (soweit vorhanden) meistbietend zu verhökern – gern ins NSW, ins nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet. „OibE“, so eines der landesüblichen Kürzel, zogen hier die Fäden, Offiziere im besonderen Einsatz. Effektiv schlossen sie Lizenzverträge mit Filmkaufleuten aus dem Westen, die teilweise noch auf Jahre gültig sind und so kompliziert nachzuverfolgen, daß die seit Jahren angestrebte Gründung einer DEFA- Stiftung auch weiterhin auf sich warten lassen dürfte.

Progress-Sprecher Ralf Schenk ist sich zwar sicher, die Rechtslage jedes einzelnen DEFA-Films sei geklärt, doch warum sich die Stiftungsgründung mittlerweile über Jahre hinzieht, weiß auch der Geschäftsführer des Filmverleihs nicht und verweist auf die Treuhand.

Bei der BvS wird mit Informationen gegeizt. Die Privatisierung sei „insofern mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, als es nicht nur um den Verkauf der Geschäftsanteile, sondern insbesondere um eine – zeitlich begrenzte – Übertragung der Verwertungsrechte eines äußerst umfangreichen Filmpakets geht“. Mit der Gründung der Stiftung sei „nach heutigem Kenntnisstand voraussichtlich Mitte 1997 zu rechnen“. Darüber hinaus seien „ständige Abstimmungsgespräche mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Finanzen (...), Vertretern der Filmbestände und des Bundesarchivs erforderlich“.

Tatsächlich geht es darum, ob einer der Investoren, die derzeit mit der BvS wegen des Kaufs von Progress in Verhandlung stehen, bereit ist, die Rechte an den DEFA-Filmen an die Stiftung auch abzutreten – kostenlos. Beim Innenministerium wartet man schon „sehnlichst darauf“, sagt der zuständige Referatsleiter Detlef Flotow. Und: Die BvS tue sich deshalb mit der Gründung schwer, weil der Bund nichts zu verschenken habe und eben auch keine Filmrechte, die sich schließlich auch meistbietend verkaufen ließen.

Wer die Investoren sind, die den staatlichen Filmverleih kaufen wollen, wollte Progress-Sprecher Schenk nicht sagen, immerhin bestätigte er aber den Privatisierungstermin im nächsten Vierteljahr. Ebenso wie Elke Schiewer, Leiterin des Archivs des Filmmuseums Potsdam. Das Filmmuseum hatte sich, als die Bezirksfilmlager aufgelöst wurden, auch 400 DEFA-Filme gesichert. „Niemand kümmerte sich um die Filme“, sagt sie, damals herrschte „völliges Chaos“.

Dem Chaos hat der Archivar der Universität Oldenburg zwar ein Ende gesetzt, doch die „Filme vergammeln einfach“, sagt Regisseur Roland Steiner, der jetzt als Kursleiter in Oldenburg Journalisten ausbildet. Nicht daß er die Arbeit von Franzke nicht zu schätzen wüßte und ihm „Liebe zum Film“ attestiert, bloß: Warum die Filme, die Aufschluß geben könnten über mehrere Jahrzehnte DDR-Geschichte, weit entfernt, wissenschaftlich aufgearbeitet zu werden, bei überhöhten Temperaturen auf Regalen der Mediothek lagern, fragt sich Steiner schon. Die Archivierung bei guten technischen Bedingungen sei „dringlich voranzutreiben“. Und in der DEFA-Stiftung sieht er einen Versuch, „die Menschen von ihrem Werk zu trennen“. Das, obwohl die DEFA- Regisseure auch zu DDR-Zeiten keine Rechte an ihren Filmen hatten.

Immerhin: Daß die Filme erhalten sind statt zu Kämmen geworden, daß sie mittlerweile vollständig gesichtet worden sind und von dem 35-Millimeter-Material Videokopien gezogen wurden, das muß auch Steiner anerkennen. Und auch Archivar Franzke räumt ein, daß die Archivierung der dreizehn Tonnen Filmkopien „eine Nummer zu groß“ für die Uni Oldenburg ist.

Aber wo sind die StudentInnen, die über das DEFA-Material arbeiten wollen? Wo sind die Veranstaltungen, die das filmische Erbe eines untergegangenen Staats öffentlich dokumentieren, fragt sich Roland Steiner.

Nur wenige Interessierte kommen zu einem Kurs im unieigenen Kinosaal, den Kollege Volker Steinkopff anbietet. „Und nächstes Jahr am Balaton“ von Hermann Zschoche steht auf dem Programm, ein harmloser, solide inszenierter Streifen über Jugendliche, die „kontrolliert Dampf ablassen wollten“, wie Steinkopff seinen Studenten erzählt. Ein sozialistischer Blockbuster sei das damals, 1980, gewesen. Der sich aber für „ethnologische Studien über Ost- Befindlichkeiten und realsozialistische Verhaltensmuster immer noch ausbeuten läßt“.

Kein Blockbuster war Roland Steiners „Jugendwerkhof“, eine Dokumentation über einen DDR- Jugendknast von 1981. Drehgenehmigung hatte Steiner keine, dem Werkhofleiter sagte er einfach, „Berlin“ habe grünes Licht gegeben. „Berlin“ war das Zauberwort; nie habe jemand Steiner nach dem Papier gefragt. „Jugendwerkhof“ lief auf dem Leipziger Dokfilmfestival, bekam positive Kritiken. Wie mutig der Regisseur ein „bisher tabuisiertes“ Thema angehen würde! Margot Honecker las die Kritiken zum Frühstück, erzählt Steiner. Kurz darauf wurde die „Zulassung zurückgezogen“; Zensur fand in der DDR ja nicht statt. Dann sollten alle Kopien von „Jugendwerkhof“ vernichtet werden, der Lkw in die Kammfabrik stand schon bereit. Doch so genau hatte man sich die Suche nach den Kopien nicht gemacht, einige wurden schlicht vergessen. „Schlamperei war – in Rußland wie in der DDR – die einzige Rettung“, sagt Steiner.

Doch das ist schon eine andere Geschichte. Alexander Musik

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