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Pyrrhussieg für Ex-IM

■ Gestern gab das Landgericht Berlin einer Klage gegen den Ch. Links Verlag statt. Gibt es künftig Beschränkungen bei der öffentlichen Auswertung der Stasi-Akten?

Zum Seminar von Gunnar Müller-Waldeck zur DDR-Gegenwartsliteratur im Oktober 1989 waren nur drei Studenten erschienen. Der allgemeine Trubel jener Wochen hatte auch die Universitätsstadt Greifswald erreicht. Müller-Waldeck ist an diesem Tag vom Thema abgewichen und hat uns Studenten ein paar Episoden aus der Geschichte seiner politischen Desillusionierung erzählt. Der parteilose Literaturwissenschaftler – eine Seltenheit im Kollegium – stand in dem Ruf, kein Freund der verknöcherten DDR zu sein. Seine stets gut besuchten Vorlesungen hatten Unterhaltungswert, scheinbar mühelos fügte er Fakten und Zusammenhänge in freier Rede zu Geschichten zusammen – ein Lichtblick.

Als im Zuge der Evaluierung bekannt wurde, daß Müller-Waldeck über Jahre mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) kooperiert hatte, war dies eine jener unguten Nachrichten, an die man sich später im Laufe der Stasi-Debatte beinahe gewöhnt hatte. Der Professor wurde von der Universität entlassen und nahm einen Lehrauftrag an der finnischen Universität Vaasa an, konnte später jedoch gerichtlich die Rücknahme seiner Kündigung erreichen. Dies alles wäre eine von vielen Geschichten, wenn ihre Folgen nicht bis in die Gegenwart reichten. Als Joachim Walther im vergangenen Jahr seine Studie über die Verstrickung von Staatssicherheit und Literaturbetrieb in der DDR vorlegte, fand sich darin unter der Kapitelüberschrift „Dekonspiration“ auch das Fallbeispiel eines Literaturwissenschaftlers, der jahrelang Kontakte zum MfS unterhielt und sich noch zu DDR-Zeiten aus eigener Kraft aus dieser Verstrickung lösen konnte: Müller-Waldeck.

Prompt kündigte der Betroffene Klage gegen seine Erwähnung als IM in dem Buch an und monierte, daß die entsprechenden Passagen kein umfassendes Bild seiner Persönlichkeit ergeben würden. Tatsächlich gibt es auch eine Akte, in der die Stasi belastendes Material über den unsicheren Kantonisten gesammelt hatte. Der Ch. Links Verlag schlug daher vor, die Passagen zu Müller-Waldeck in einer Neuauflage des Buches um entsprechende Informationen zu ergänzen. Der Kläger lehnte die außergerichtliche Einigung jedoch ab und weitete seine Klage auf die Gauck-Behörde aus.

Damit war der Einzelfall zu einer grundsätzlichen Frage geworden, über die das Landgericht Berlin gestern zu entscheiden hatte: Dürfen der Verlag und die Gauck- Behörde als Herausgeberin Informationen über die Stasi-Kooperation eines IM veröffentlichen, oder wiegt das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ höher als das öffentliche Interesse an der historischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit? Die Entscheidung birgt weitreichende Folgen für den publizistischen und wissenschaftlichen Umgang mit den Stasi-Akten. Wird es in Zukunft überhaupt noch ungestraft möglich sein, in die Berichte der Inoffiziellen Mitarbeiter einzusehen und aus ihnen mit Angabe des vollen Namens zu zitieren?

Müller-Waldeck ließ sich durch Johannes Eisenberg vertreten, der sich in der Vergangenheit als Verteidiger der RAF-Aktivistin Susanne Albrecht und als Anwalt von Erich Mielke einen Namen gemacht hat. Eisenberg führte aus, daß es der Klägerpartei nicht um eine Beschneidung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Stasi-Vergangenheit ging, sondern um den Schutz der Persönlichkeitsrechte, die auch für einen ehemaligen IM gelten müßten. Die Klägerpartei ging aufs Ganze: Stasi-Unterlagen sollen nur noch anonymisiert veröffentlicht werden dürfen, wenn kein publizistisches Interesse für die Nennung der Klarnamen geltend gemacht werden kann. Auf diese Weise könne eine „Kopfjagd“ (Eisenberg) verhindert werden. Der Verleger Christoph Links wies hingegen darauf hin, daß die Nennung der Namen gerade Klarheit schaffe und eine Versachlichung der Debatte ermögliche.

Das Landgericht Berlin gab der Klage gestern im wesentlichen statt. Der Name des Klägers darf in Joachim Walthers Buch „Sicherungsbereich Literatur“ im Zusammenhang mit seiner IM-Tätigkeit nicht mehr erscheinen. Für Müller-Waldeck persönlich ist dies ein Pyrrhussieg. Wenn er vorhatte, mit seiner Klage zu verhindern, daß die Geschichte seiner Verstrickung weiter öffentliche Verbreitung findet, hat er genau das falsche Mittel gewählt. Der Ch. Links Verlag und die Gauck-Behörde haben gegen die jetzige Entscheidung bereits Berufung eingelegt. Falls sie damit nicht durchkommen, ist mit einer Flut von Klagen ehemaliger IMs zu rechnen, die für sich dasselbe Recht einforden könnten. Das alles wird vermutlich mehr Staub aufwirbeln, als die anderthalb Seiten in Walthers Buch es je vermocht hätten.

Hier sind zwei Dinge zusammengekommen, die eigentlich nicht zusammengehören: der Anspruch von Müller-Waldeck auf eine gerechte Darstellung seiner Biographie und das Drängen des eloquenten Anwalts auf eine politische Grundsatzentscheidung. Der Schaden für eine ungehinderte Beschäftigung mit der schriftlichen Hinterlassenschaft der Stasi könnte erheblich sein. Für mich war nicht erst das Urteil enttäuschend, sondern schon die Klage. Peter Walther

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