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„Wir waren Meister in der Agitprop“

■ Jüdische Emigranten berichten, wie sie 1939 in London die FDJ gründeten

Einen bisher kaum beachteten, aber brisanten Aspekt der DDR- Zensur fördert die kürzlich erschienene Dokumenten- und Erinnerungssammlung „Das war unser Leben“ zutage. Der Band versammelt die Memoiren verdienter FDJ-Mitglieder, die im Londoner Exil (nicht etwa in Moskau!) 1939 die „Freie Deutsche Jugend“ gründeten. Sie versuchten, durch Beitritte zur britischen Armee oder Arbeit in der Rüstungsindustrie zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus beizutragen.

Kommunisten- und „Gründerzeit“-Nostalgie liegt über den Beschreibungen der Kaminabende im FDJ-Heim, der Schneeball- Agitation per Damenwahl auf Tanzveranstaltungen, der Begegnung mit kommunistischen „Helden“ in den Lagern, in welche die britische Regierung die deutsch-jüdischen Jugendlichen als „politische Feinde“ 1940/41 internierte. Neugierig macht der Satz in der Einleitung: „Da die Führung der DDR das Erscheinen von Schriften zur Geschichte der FDJ in Großbritannien zu verhindern verstand (...), ist ihre bemerkenswerte Geschichte in der Literatur über die deutsche Emigration bis heute nicht dargestellt worden.“ Ausgerechnet die FDJ-Historie war verschweigenswürdig in den Augen des Politbüros?

Also weiterlesen: Den zumeist alleinstehenden Jugendlichen jüdischer Abstammung bedeutete die Mitgliedschaft in der frischgegründeten FDJ mehr als die bloße Teilhabe an einer politischen Ideologie. Der Zusammenhalt dort ersetzte die verlorenen Familien, half im Überlebenskampf, bot Raum zur Entfaltung künstlerischer Begabungen und half den jungen Leuten, sich eine Perspektive für die Zukunft (Ausmerzung des Faschismus, Wiederaufbau eines „besseren Deutschlands“) zu geben. Nicht zuletzt aufgrund der engen Kontakte nach Moskau blieb die Politik natürlich zentral. „Wir waren Meister in der Agitprop“, schreibt Horst Schalscha, der 1945 nach Frankreich ging.

Für die Mehrzahl der AutorInnen stand fest, nach Kriegsende in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu gehen. Die den Aufsätzen folgenden Biographien zeigen, daß fast alle Exil-FDJler hier Karriere machten. Daß der Neuanfang in der DDR, insbesonders die Zeit zwischen 1949 und 1956, für jüdische, vorher in „kapitalistische“ Staaten emigrierte Kommunisten häufig problematisch war, geht weder aus den Memoiren noch den biographischen Notizen hervor. Kein Wort über die Verhaftungen jüdischer SED- Mitglieder, keine Silbe über die Anklagen, Exil-Juden hätten automatisch dem „zionistischen“ Israel und damit den Amerikanern in die Hände gearbeitet. Statt dessen widersprüchliche Stellungnahmen zum Zusammenbruch des DDR- Sozialismus: „Hätte ich gewußt, wie dieses Experiment ausgeht, ich wäre wohl nicht nach Deutschland zurückgekommen. Gewiß trauere ich den vergangenen 40 Jahren nicht nach; es war eine objektive, zwingende, geschichtliche Notwendigkeit, daß diese Periode zu Ende ging. Aber dennoch glaube ich, daß die vergangenen 40 Jahre nicht völlig umsonst waren“, schreibt Ursula Herzberg. Verhalten aber dennoch: Hier spricht eine, die sich selbst betrogen hat.

Damit landen Leserin und Leser wieder bei der Einleitung. Weshalb lag der DDR-Führung daran, die tatsächliche Gründungsgeschichte der FDJ zu verschweigen? Von Juden im westlichen Ausland gegründet – war dies der DDR- Führung wirklich fast vierzig Jahre lang peinlich? Welche Rollen durften oder mußten die jüdischen KommunistInnen überhaupt spielen im realexistierenden Sozialismus? Diese Fragen wirft „Das war unser Leben“ zwar auf, liefert jedoch keine befriedigenden Antworten – ein Anspruch, den das Buch sich allerdings auch nicht gestellt hat. Eine historische Lücke soll im Sinne der Oral history gefüllt werden und eröffnet dabei interessanterweise eine andere geschichtliche Black box, deren wissenschaftliche Ausleuchtung gerade erst begonnen hat. Die Berichte der ZeitzeugInnen – kritisch gelesen – bieten hier gerade im Verschweigen, im Widerspruch und zwischen den Zeilen einen verschlungenen Zugang. Eva Behrendt

A. Fleischhacker, H. Stöcker (Hrsg.) „Das war unser Leben, Erinnerungen und Dokumente zur Geschichte der Freien Deutschen Jugend in Großbritannien 1939–1946“. Verlag Neues Leben, Berlin 1996, 288 Seiten, 36 DM

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