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Als der Rechtsstaat zum Atomstaat wurde

Vor 20 Jahren wurde der Atomwissenschaftler Klaus Traube schlagartig berühmt: Der „Spiegel“ enthüllte einen Lauschangriff gegen ihn. Vom Manager in der Atomindustrie wandelte sich Traube in den 70ern zum einflußreichen Kritiker. Jetzt setzte er sich zur Ruhe. Fast  ■ Von Petra Thorbrietz

Auf der Straße würde man ihn vermutlich nicht erkennen. Der Mann, der einst als „extremes“ Sicherheitsrisiko dieser Republik galt und dessen „Affäre“ den früheren Justizminister Werner Maihöfer zu Fall brachte, ist ein älterer Herr geworden. Eine Tatsache, die er nicht verbirgt: „20 Jahre ist das jetzt her?“ fragt der 69jährige Wissenschaftler zerstreut, während er die Papiere auf seinem Schreibtisch ordnet. „Das ist eine Eigenschaft des Alters, daß die Zeit mit zunehmenden Jahren immer schneller vergeht.“

Anfang März 1977 war Klaus Traube mit einem Schlag berühmt geworden. Der Spiegel hatte enthüllt, daß der damalige Geschäftsführer der Firma Interatom, einer Tochter der Siemens- und AEG- eigenen Kraftwerksunion (KWU), auf Druck des Verfassungsschutzes aus seiner Führungsposition entlassen und danach auch noch illegal abgehört worden war. Traube hatte über eine befreundete Rechtsanwältin Kontakte zu einem RAF-Terroristen gehabt, der bei einem späteren Überfall auf die Opec 1975 in Wien verhaftet worden war.

Als leitender Angestellter verfügte er nicht nur über wichtige Detailinformationen zu Atomreaktoren, sondern hatte, so lautete der Verdacht, auch Zugang zu spaltbarem Material, das er „politisch motivierten Gewalttätern“ zugänglich machen konnte. Über die Bekanntschaft hinaus wurden ihm jedoch keinerlei belastende Aktivitäten nachgewiesen.

Also nahm der Verfassungsschutz Zuflucht zu einem absurden Flickenteppich an Verdachtsmomenten: den ungeklärten Beziehungen des Managers zu verschiedenen Frauen, darunter zu seiner geschiedenen Ehefrau, die, so ein Überwachungsbericht, als Persönlichkeit „schwer abzuschätzen und einzuordnen“ war.

Dem ominösen „Matratzenlager für circa zehn Personen“ im Obergeschoß seines Hauses in Overath, das auch sonst in seiner ungezwungenen Ausstattung in keiner Weise den Vorstellungen des Verfassungsschutzes vom standesgemäßen Ambiente eines Managers entsprach. Und seiner politischen Vergangenheit: Noch kurz vor Kriegsende war Traube als halbwüchsiger Sohn eines jüdischen Zahnarztes, der sich 1936 das Leben genommen hatte, in ein KZ eingewiesen worden. Später war er zeitweilig Mitglied der Kommunistischen Jugend, und seine Mutter engagierte sich bei dem kommunistisch dominierten Verein der Verfolgten des Naziregimes (VVN).

Radikalenerlaß und Terroristenwahn waren in jenen Jahren der Hintergrund der immer härter werdenden Auseinandersetzungen um die Atomenergie. Das Baugelände des schleswig-holsteinischen Kernkraftwerks Brokdorf wurde 1976 paramilitärisch befestigt, es kam zu bürgerkriegsähnlichen Schlachten zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Berichterstattung darüber führte zu einer Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Die CDU forderte eine Überprüfung der ihrer Meinung nach „kernenergiefeindlichen“ Filme des NDR. Schleswig-Holstein kündigte schließlich den gemeinsamen Staatsvertrag mit der Hansestadt Hamburg und dem Land Niedersachsen. „Viele Dinge kulminierten damals in Brokdorf“, sagt der SPD-Abgeordnete Freimut Duve, Herausgeber einer zeitkritischen Buchreihe beim Rowohlt-Verlag, in der Traube sein erstes atomkritisches Buch veröffentlichen sollte. „Im Frühjahr 1977 versammelten sich dort 60.000 Menschen, es gab Bombendrohungen, die Stimmung war explosiv.“

Robert Jungk, der im Pariser Exil lebende Biograph der Atomforschung („Heller als tausend Sonnen“), wollte Zeuge dieser Revolution sein. Mit Duve zog er ins platte Land nördlich von Hamburg und hielt dort, angesteckt von der Volkswut, eine flammende Rede gegen den „Atomstaat“. „Am nächsten Tag rief mich der Spiegel an, ob ich ihnen den Text besorgen könne“, erinnert sich Duve. „Damals wußte ich nicht, daß die Redaktion schon die Unterlagen über die Bespitzelung von Klaus Traube besaß.“ Mit dem nächsten Titel ließ das Magazin dann den nuklearen Sprengsatz steigen: „Lauschangriff auf Bürger T. – Atomstaat oder Rechtsstaat?“

„Hohe Energiequantitäten deformieren die sozialen Beziehungen ebenso unvermeidlich, wie sie das physische Milieu zerstören. Energie-Anwendung vergewaltigt die Gesellschaft, bevor sie die Natur zerstört“, hatte der Philosoph Ivan Illich wenige Jahre zuvor geschrieben. „Bürger T.“ machte seine abstrakten Thesen plötzlich für jedermann anschaulich. Erst aus der Presse erfuhr Traube das ganze Ausmaß der Verdächtigungen, die gegen ihn erhoben worden waren, und er wehrte sich vehement gegen Bespitzelung und Verleumdungen.

In wenigen Wochen änderte sich sein Leben radikal. „Durch die falschen Beschuldigungen ist Traube von einem klaren Befürworter abgekippt zu einem klaren Gegner“, bedauert Willi Math, Atomwissenschaftler am Kernforschungszentrum Karlsruhe. „Ich hatte schon immer Probleme mit der Industriewelt“, sagt dagegen Klaus Traube mit sanftem Lächeln. „Einfach, weil ich links sozialisiert war.“

Seine Rolle als Märtyrer und Held der Anti-Atom-Bewegung dagegen sieht der melancholische Professor eher relativ: „Meine Einstellung zur Kernenergie war lange Zeit völlig ungebrochen. Wir waren euphorisch, was die friedliche Nutzung des Atoms anging. Die Warnungen vor Katastrophen oder vor den politischen Konsequenzen hielt ich für überzogen. Skeptisch wurde ich erst, als ich merkte, wie uns die Kosten davonliefen.“ Immer noch mit Stolz spricht Traube deshalb von den 17 Jahren, die er als Manager in der Atomindustrie verbrachte. „Ich fand meinen Beruf wahnsinnig interessant. Deshalb ist es mir auch schwergefallen, auszusteigen.“ Der studierte Maschinenbauer arbeitete zunächst bei der AEG und war dort als Direktor des Fachgebiets Kernreaktoren für die Entwicklung und Planung neuer AKWs zuständig.

Nach Aufenthalten in den USA und der Schweiz kam er zur Interatom und sollte dort ab 1971, „als ich schon dachte, es kommt nichts Neues mehr“, den Bau des schnellen Brüters in Kalkar vorantreiben. Desjenigen Reaktortyps, der mehr spaltbares Material produzieren sollte, als er verbraucht, und der deshalb wie kein anderer die „Plutoniumwirtschaft“, die innen- und außenpolitischen Risiken der Atomenergie, symbolisierte. 1991 wurde die Sieben- Milliarden-Mark-Ruine schließlich als unwirtschaftliches Objekt aufgegeben.

„Die Verwandtschaft zwischen ziviler und militärischer Nutzung wurde uns nur langsam klar“, sagt Traube heute. „Die ersten Protestaktionen gegen Kernkraftwerke machten konservative Lebensschützer, mit denen ich nicht gerade sympathisierte. Als Linker dachte ich, die Atomenergie würde Umweltprobleme und Arbeitslosigkeit beheben, uns aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit führen. Doch dann kam 1972 der Bericht des Club of Rome über die ,Grenzen des Wachstums‘. Das war für mich ein wichtiger Einschnitt.“

Die wachsenden Zweifel wurden durch den jähen Rausschmiß verstärkt – der Atomexperte wurden zum erklärten Gegner jeder Großtechnologie. Als Leiter des Bremer Instituts für Kommunale Energiewirtschaft und Energiepolitik (BIKE) beschäftigte er sich bis Ende letzten Monats vor allem mit alternativen Energien.

„Klaus Traube war sehr wichtig für die Anti-Atom-Bewegung“, sagt zum Beispiel Wolfgang Neumann von der Gruppe Ökologie in Hannover. „Er hat den Initiativen wichtige ökonomische Argumente geliefert, aber er hat auch ganz neue Kreise der Bevölkerung gewonnen. Er hat sich zum Beispiel energiepolitisch sehr stark in der SPD und auch in verschiedenen Enquetekommissionen des Bundestages engagiert.“

Klaus Traube, der „in einer rot-grünen Liaison“ mit einer Politikerin lebt, wie er sagt, hat die Solidarität zur SPD, bei der er seit über 20 Jahren Mitglied ist, nie aufgegeben. Auch wenn sie „durch Dilettantismus in der Parteiführung“, sagt er grimmig, die Mehrheiten für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Straßen verspielt habe, für die er sich als Energieforscher an der TU Berlin und später als Sozialwissenschaftler an der Gesamthochschule Kassel besonders eingesetzt hat. Und obwohl sie bei den jüngsten Geheimverhandlungen mit der Regierungskoalition nicht den Ausstieg aus der Atomenergie durchgesetzt hat, den er schon x-mal vorgerechnet hat.

Er hofft immer noch, daß die SPD den Energiegesetzentwurf von Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) zu Fall bringen und damit verhindern wird, daß „der Ökostrom aus Wind oder Kraft-Wärme-Kopplung in Zukunft tot ist“. Obwohl die SPD-Regierung in Hamburg seinem dringenden Appell nicht gefolgt ist und einen Teil der Stadtwerke an die Preussag verkauft hat, was zur weiteren Konzentration auf dem Energiemarkt führt. „Ich stehe der SPD mit kritischer Sympathie gegenüber“, schiebt der Energieforscher solche Widersprüche vom Tisch. „Meine Kritik äußere ich intern und nicht öffentlich.“

Klaus Traube – ein Rebell mit Beißhemmung. Über seine ehemaligen Kollegen in der Atomwirtschaft mag er nichts Böses sagen, auch wenn diese in den 70er Jahren mit Slogans wie „Ohne Atomenergie gehen die Lichter aus“ den Untergang des Abendlandes propagierten und die AKW-Gegner dafür verantwortlich machten. Traube weiß, daß damals nicht Versorgungslücken gestopft, sondern riesige Überkapazitäten in der Stromversorgung aufgebaut wurden, die heute jedes Energiesparen behindern. Aber er sagt: „Was die Autoindustrie aufgeführt hat, als es um das Tempolimit ging, war viel härter als mein Umgang mit der Atomwirtschaft. Da habe ich ganz andere Sachen erlebt.“

Der Atomstaat, vor dem sein Freund Robert Jungk damals in Brokdorf warnte, ist seiner Meinung nach nicht Wirklichkeit geworden. Der auf ihn noch illegal verübte, aber inzwischen per Gesetz festgeschriebene „Lauschangriff“ habe „schließlich mit Atom nichts zu tun“, so winkt er ab, und die Plutoniumgeschäfte des BND seien nur eine aktuelle Variante „des jämmerlichen Bildes, das der Verfassungsschutz in meiner eigenen Affäre geboten hat. Ein Indianerspiel.“ Sanfte Töne eines sanften Energiepolitikers. Nach über sechs Jahren als Direktor des Bremer Energieinstituts zog sich Traube jetzt in den Ruhestand zurück. Nicht ganz. „Wissenschaftlich gibt es für mich noch eine Menge zu tun.“ Besonders beim BUND engagiert sich der Wissenschaftler nun. Die sachliche Auseinandersetzung mit Volkswirten, Physikern und Ingenieuren hält er ohnehin für wichtiger als die emotional geführten Debatten in der Politik oder in der Anti-Atom-Bewegung. Bricht da nicht wieder der Glaube an die Allmacht der Experten durch, welcher die Atomenergie überhaupt erst möglich machte? „Ich habe immer wissenschaftlich-ökonomistisch argumentiert und nicht leidenschaftlich wie zum Beispiel Robert Jungk“, sagt Traube. „Aber wir waren Freunde, und wir haben an einem Strang gezogen.“

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