■ Normalzeit: Räuberpistolen
Der Justizpressesprecher Dr. Reiff rechnet mit einer Anklageerhebung nicht vor dem Frühsommer, obwohl das Verfahren gegen die Rockerbande „Born To Be Wild“ (BTBW) beschleunigt bearbeitet werde. Noch immer sitzen neun Clubmitglieder in U-Haft, „ihr Chef ist jedoch inzwischen haftverschont worden“.
An einer Brandmauer in Prenzlauer Berg steht groß „Wohnraum statt Schönbohm“. Der gefeierte NVA-Integrator entpuppt sich zunehmend als Multikulti-Terminator. So jedenfalls sehen es die nicht verhafteten Rocker von „Born To Be Wild“, die sich als sein jüngstes Opfer wähnen. Man kennt aus der Presse die Kämpfe zwischen den skandinavischen „Hells Angels“ (die sich in Berlin „Phönix“ nennen) und den „Bandidos“, die es hier nicht gibt, dafür jedoch die „Born To Be Wild“.
Letztere veranstalten regelmäßig „Rockertreffen“ in Biesenthal und betreiben zwei Clubhäuser, eins am Stadtrand. Um diesen BTBW-Sumpf endgültig auszutrocknen, ließ die Berliner Staatsanwaltschaft sie 17 Monate lang beschatten und abhören.
Sogar als zwei BTBW-Rocker mit ihren Bräuten nach Holland aufbrachen, wurden sie überwacht. Auf der Rückreise verhaftete man sie an der ehemaligen Grenze wegen Drogenschmuggels – fand aber nichts, statt dessen behalf man sich, so urteilen jedenfalls die BTBW-Anwälte, mit einigen vagen Zeugenaussagen aus Amsterdam.
Unterdessen hatte hier ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, vermummt und mit schußsicheren Westen sowie Scharfschützen auf den Dächern, in einer ersten Ost-West-„konzertierten Aktion“ mit dem SEK Brandenburgs (wegen des Clubhauses am Stadtrand) zugeschlagen. Sie durchbrachen die Clubhaustüren mit einem solchen Schwung, daß sie prompt an den in einem Raum zusammensitzenden Rockern vorbeistürmten. Diese riefen sie jedoch zurück – und wurden daraufhin erst einmal alle an die Wand gestellt.
Sieben Rocker kamen in U-Haft, zwei hatte man zuvor schon aus dem Verkehr gezogen. Einer der nicht verhafteten, der „Colonel“, er betreibt einen Tätowierladen, erzählt, daß man sie als „kriminelle Vereinigung“ anklagen wolle und ihnen „räuberische Erpressung“ vorwerfe. Das sei „aber alles Quatsch, und unsere Anwälte sind auch ganz optimistisch. Erst seit diesem ganzen Rummel mit unserer Verhaftung darf ich in den Kneipen hier umsonst essen und trinken! Anscheinend ist ein schlechter Ruf also gar nicht so schlecht für uns.“
An dieser Rufschändung beteiligte sich schändlicherweise auch die dem Senator Schönbohm immer öfter zuarbeitende Berliner Presse: Als die Einsatzleitung den Fotografen einen Tisch mit den beschlagnahmten Waffen der gefährlichen „Born To Be Wild“-Erpresser – „die mafiaähnlich vorgehen“ – zeigte, hielten sie einfach voll drauf und sandten das Zeugs anschließend weg wie nichts.
Dabei handelte es sich bei dem dort z.B. präsentierten „Kleinkalibergewehr“ um eine nutzlose Schmuckknarre zum An-die- Wand-Hängen und bei der „Russen-Handgranate“ um ein simples Tischfeuerzeug! Sehr lustig! Aber die acht Rocker sitzen noch immer in U-Haft. Das ist überhaupt nicht mehr komisch, Herr Schönbohm!
Bei dem BTBW-Rocker „Colonel“ handelt es sich im übrigen laut Bert Papenfuß um einen ehemaligen Ostberliner Punker, den die DDR-Justiz bereits in den achtziger Jahren abgegriffen und in den Knast gesteckt hatte. Er kam dann in den Westen frei und lebte zunächst in Kreuzberg. Anfang 1990 floh er jedoch wieder nach drüben – nach Prenzlauer Berg, wo er 1993 den schon erwähnten Tätowierladen eröffnete. Es gibt inzwischen einen Dokumentarfilm über diesen Unbeugsamen. Helmut Höge
wird fortgesetzt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen