■ Vorschlag: Werner Schweizers Film „Noel Field, der erfundene Spion“ im Balazs
Ein Ausflug in den siebten Kreis der Hölle, ortskundig organisiert von dem Schweizer Dokumentaristen Werner Schweizer. Sein Film handelt von Noel Field, dem amerikanischen „Quäker-Kommunisten“, der Ende der 40er Jahre zwischen die Mahlsteine des Kalten Krieges geriet. Field hatte während des Zweiten Weltkriegs, als europäischer Repräsentant der Hilfsorganisation „Unitarian Service Committee“ (USC), einer großen Zahl von Flüchtlingen das Leben gerettet – darunter vielen Kommunisten, die nach 1945 in den „Volksdemokratien“ zum Führungspersonal aufstiegen. Es war dieses Engagement, das den sowjetischen Sicherheitsdienst auf den Einfall brachte, ihn zur Spinne im Netz eines amerikanischen Agentenrings zu stilisieren. Eine Konstruktion, die es den NKWD-Leuten erlaubte, alle Kommunisten dingfest zu machen, die jemals mit Field in Kontakt getreten waren. Sie wurden zu Opfern der Schauprozesse, die in Budapest, Ostberlin und Prag abrollten.
Es ging darum, alle Kader zu beseitigen, deren absolute Botmäßigkeit gegenüber Stalin aufgrund ihrer Lebensgeschichte (als „Westemigranten“, selbständig operierende Partisanen gegen die Naziokkupation etc.) nicht gesichert war. Eine schauerliche Prophylaxe, verstehbar nur vor dem Hintergrund des Abfalls Jugoslawiens vom „sozialistischen Lager“ und der Psychose vom nahen Krieg in Europa, der die Sowjetunion verfallen war. Field selbst trat in keinem der Prozesse auf – seine Peiniger befürchteten, daß er in der öffentlichen Verhandlung spontan vom Drehbuch abweichen würde. Doch auch die Amerikaner wollten Field: Die CIA-Leute hielten es für ausgemacht, daß er für die Sowjets arbeitete. Es war gerade die Angst vor einem Kesseltreiben gegen ihn in den USA gewesen, die Field bewogen hatte, nach Osteuropa auszuweichen.
Das Aufzeigen dieses Dilemmas macht die Stärke von Schweizers Unternehmen aus. Ihm ist es gelungen, nahezu alle überlebenden Mitarbeiter, Verwandten und Freunde Fields auszumachen, dazu noch eine Reihe von Opfern der Schauprozesse. In zurückhaltenden, sachkundigen Interviews, aus Selbstzeugnissen und dem Urteil von Wissenschaftlern entsteht das Bild eines moralisch empfindsamen, aber gleichzeitig elitären und menschenscheuen Idealisten. Eines Einzelgängers, der sich nach dem Kollektiv sehnt.
Schweizer ist es glänzend geglückt, aus einer Not (über Noel Field existiert nur wenig Fotomaterial) eine Tugend zu machen: Field gewinnt Kontur in den Berichten der Weggefährten. Liebe, Unverständnis und andauernde Irritation – vor allem im Urteil der wunderbaren Erika Wallach, der Pflegetochter des Ehepaars Field, die ihre Suche nach Noel mit einem halben Dutzend Gulag-Jahren in Sibirien bezahlte. Die alte Dame auf ihrem Landsitz in Virginia ist mit Noel Field nicht fertig. Warum ist er nach seiner Freilassung in Budapest geblieben? Warum hat er die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1956 gebilligt? Warum erwies er sich, nach seiner Freilassung, als so ein gottverdammter, unzugänglicher Dogmatiker? Erika Wallachs Fragen, unsere Fragen.
Trotz seiner mehrjährigen sorgfältigen Recherchen ist es Schweizer doch nicht ganz gelungen, alle wichtigen Quellen zu berücksichtigen. So entging seiner Aufmerksamkeit, was tschechische Historiker seit den 60er Jahren zu Noel Fields Rolle in den Schauprozessen zutage gefördert haben. Für Karel Kaplan geht aus den Dokumenten klar hervor, daß Field seit den dreißiger Jahren im Dienst des sowjetischen NKWD stand, ein Umstand, den Schweizer erst aufgrund eines Briefs des Gefangenen Field an das sowjetische Zentralkomitee entdeckte. Hat der Menschenfreund Field im NKWD nur die konsequente, antifaschistische Kraft gesehen, die es mit Informationen zu versorgen galt? Waren es nur „Arbeitskontakte“, wie Field sie während des Krieges auch zu Allen Dulles, dem Präsidenten des OSS (der späteren CIA), in der Schweiz unterhielt?
Hätte Schweizer die osteuropäischen Quellen zu Rate gezogen, so wäre ihm nie eingefallen, umstandslos Spielszenen aus Costa- Gavras' „Láveu“ zur Illustration der Untersuchungsmethoden östlicher Geheimdienste in seinen Film einzubauen. Costa-Gavras' Film basierte auf den Erinnerungen des ehemaligen tschechoslowakischen Vizeaußenministers Arthur London, eines prominenten Opfers der Schauprozesse. Was bei London nicht steht, bei Costa- Gavras nicht vorkommt und worüber Schweizer nichts weiß: Arthur London arbeitete eng mit dem tschechoslowakischen „Dienst“ zusammen, und er war es selbst, der den entscheidenden Tip über eine angebliche Agententätigkeit Fields für den amerikanischen Geheimdienst weitergab. Bei Licht besehen, nur ein harmloser Brief, aber den sowjetischen Prozeßdrahtziehern reichte er. Kaum hatte London diesen „Baustein“ geliefert, geriet er selbst ins Räderwerk.
Selbst wenn wir diese Quellen berücksichtigen, bleibt das Charakterbild Noel Fields bestehen, wie es Schweizer entwarf. Field balancierte nicht virtuos zwischen den Geheimdiensten, sondern vertraute darauf, daß sein humanes Engagement von diesen Diensten geteilt würde. Ein naiver Menschenfreund eben. Christian Semler
„Noel Field, der erfundene Spion“. CH 1996. Premiere: heute um 20Uhr im Balazs, Karl-Liebknecht-Straße 9; 10., 11. u. 14.4., 18Uhr
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