: Für die „Prinzipien“ des Atatürk
■ Militärs wollen Politiker bürgerlicher Parteien zwingen, einen einheitlichen Block gegen die Islamisten zu bilden
Obwohl die islamistische Wohlfahrtspartei die stärkste Fraktion in der türkischen Nationalversammlung stellt und seit zehn Monaten auch den Ministerpräsidenten, spielt die Partei im politischen Gesamtspektrum immer noch die Außenseiterrolle. Die „Prinzipien“ des Republikgründers Atatürk, zu denen der Laizismus, die verfassungsrechtlich verankerte Trennung von Staat und Religion gehört, sind Konsens unter allen im Parlament vertretenen Parteien.
Zu offenkundig will dagegen die Wohlfahrtspartei die Religion ins öffentliche politische Leben einbinden. Ausdruck dessen sind die Sprüche Erbakans vom „faschistischen Laizismus“, einem politischen System, das Gläubige unterdrücke. Während es zwischen den bürgerlichen Parteien von rechts bis links, die über zwei Drittel der Parlamentssitze verfügen, zahlreiche politische Berührungspunkte gibt, was die Grundlagen des politischen Systems betrifft, schert die Wohlfahrtspartei aus.
Daß die Partei trotzdem an der Regierung beteiligt ist, ja gar den Ministerpräsidenten stellt, ist einzig und allein der eigenwilligen konservativen Politikerin Tansu Çiller zu verdanken. Die erbitterte Rivalität mit dem bürgerlichen Politiker Mesut Yilmaz ließ die Koalition zwischen dessen Mutterlandspartei und ,Cillers Partei des rechten Weges platzen. Um einer Anklage wegen Korruption vor dem Verfassungsgericht zu entgehen, ging Çiller das Bündnis mit den Islamisten ein, die sie im Wahlkampf noch mit der illegalen Kurdenorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gleichgesetzt hatte. Die Aussicht auf die Regierungsmacht erleichterte es dem Opportunisten Erbakan im Gegenzug, in der Koalitionsvereinbarung auf alles, was der islamistischen Bewegung heilig ist, zu verzichten. So hat nun die Türkei einen Ministerpräsidenten, dem große Teile des Koalitionsprogramms gegen den Strich gehen. Außerdem hat Necmettin Erbakan über die reale Macht nie verfügt; Institutionen wie der Nationale Sicherheitsrat, das Verfassungsgericht und der repressive Justizapparat schieben islamistischen Bestrebungen einen Riegel vor.
Demokratisch nicht legitimierte Institutionen wie das Militär, das 1960 und 1980 putschte und 1971 die Regierung per Putschdrohung stürzte, sind entscheidend an der Ausrichtung des Regimes beteiligt; alle Parteien außer der Wohlfahrtspartei ordnen sich dem unter. Der Konflikt zwischen der Armee und den Islamisten zeigt, daß es den Militärs darum geht, die bürgerlichen Politiker zu zwingen, ihre persönlichen Rivalitäten beiseite zu schieben und einen „Nationalen Block“ gegen die Islamisten zu bilden.
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