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Der Konflikt zwischen der Armee und dem islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan hat die innenpolitische Polarisierung in der Türkei verschärft. Der Rücktritt zweier Minister deutet auf einen Koalitionsbruch hin. Aus Istanbul Ömer Erzeren

Opportunisten auf dem rechten Weg

Die islamistisch-konservative Regierungskoalition in der Türkei steht nach zehn Monaten vor der Auflösung. Am Samstag gaben zwei Minister, die der konservativen Partei des rechten Weges angehören, ihren Rücktritt bekannt. „Diese Regierung schadet dem Regime und der Demokratie“, erklärte Industrieminister Yalim Erez nach einem Gespräch mit seiner Parteivorsitzenden Tansu Çiller. Gesundheitsminister Yildirim Aktuna weigerte sich gar, der Einladung Çillers zu folgen, und gab seinen Rücktritt schriftlich bekannt. Die Koalition, so Aktuna, zerstöre „Grundprinzipien der Verfassung der Türkei“.

In Fernsehen und Presse attackierten die beiden Minister am Wochenende den islamistischen Koalitionspartner und Außenministerin Tansu Çiller, die um jeden Preis die Koalition fortsetzen möchte. Beide Minister, die großen Einfluß in der Partei des rechten Weges haben, wollen in den nächsten Tagen in den Parteigremien eine Entscheidung zur Aufkündigung der Koalition herbeiführen. Industrieminister Yalim Erez spielte in seiner Partei die entscheidende Rolle, als Çiller vor vier Jahren zur Parteivorsitzenden gekürt wurde.

Offene Kritik am Militär war für Erbakan stets tabu

Gleich nach Bekanntwerden des Rücktritts der beiden Minister wurde der Koalition ein weiterer Schlag versetzt. Auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, der unter Vorsitz des Staatspräsidenten Süleyman Demirel tagte, gingen die Militärs zum Angriff über und forderten von Ministerpräsident Necmettin Erbakan die Erfüllung des bereits vor zwei Monaten beschlossenen Maßnahmenpaketes gegen „regimefeindliche, reaktionär-islamistische Strömungen“. Ein zu gründendes Komitee im Kabinett soll über die Umsetzung wachen und dem Sicherheitsrat, in dem die Generäle den Ton angeben, Bericht erstatten.

Der schwelende Konflikt zwischen der Armee und dem islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan hat die innenpolitische Polarisierung verschärft und dazu geführt, daß viele Abgeordnete der Partei des rechten Weges klammheimlich ein baldiges Ende der Koalition herbeisehnen. Es bedurfte des persönlichen Einsatzes der Parteivorsitzenden Çiller – die im Wahlkampf Erbakan als „Gefahr für das politische System“ abgestempelt hatte –, um die Koalition mit den Islamisten einzugehen.

Während für den Islamisten Erbakan die Koalition mit Çiller die einzige Chance darstellte, Ministerpräsident zu werden, konnte sich Çiller durch die Koalition zahlreicher unangenehmer parlamentarischer Untersuchungsausschüsse wegen Korruption und Mafia-Connections entledigen. Die Untersuchungsausschüsse waren der Grund dafür, daß Çiller dem Islamisten Erbakan das Tor zur Macht öffnete. Viele bürgerlich-säkulare Wähler verzeihen ihr das nicht. Das Ende der Koalition könnte somit den baldigen Niedergang der politischen Karriere der windigen Politikerin einleiten.

Ministerpräsident Erbakan hat mittlerweile die Gefahr, die der Koalition droht, gesehen. Offene Kritik am Militär war für Erbakan stets ein Tabu, das unangetastet blieb, um die Koalition nicht zu gefährden. Vor zwei Monaten unterzeichnete Erbakan die Erklärung des Nationalen Sicherheitsrates, in welchem Maßnahmen gegen „fundamentalistische Bestrebungen, die die Verfassung bedrohen“ gefordert werden. Unter dem Druck der Militärs akzeptierte Erbakan auch die Forderung nach einer Verlängerung der Grundschulpflicht von fünf auf acht Jahre, die der Schließung zahlreicher religiöser Schulen gleichkommt. Von seiner eigenen Basis gedrängt – islamistische Zeitungen bezeichneten die Schließung als „Mord“ und „Massaker“ –, versuchte Erbakan den Beschluß zu verwässern, während Çiller die verlängerte Grundschulpflicht zur Bedingung für die Fortführung der Koalition machte.

Um die krisengeschüttelte Koalition zu retten, lenkte Erbakan am Samstag auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in der Frage der Grundschulpflicht erneut ein. Doch dieser Konflikt ist nur die Spitze des Eisberges. Zahlreiche Auftritte von Politikern der Wohlfahrtspartei, zuletzt auf der Pilgerfahrt nach Mekka – wo ein Abgeordneter der Partei Erbakans den Schwur leistete, für die Scharia (das islamische Rechtssystem) zu kämpfen –, erregten den Unwillen der Militärs.

Ein Koalitionsbruch könnte Çillers Karriere beenden

Zum Eklat kam es, als vergangene Woche General Osman Özbek in einer Rede in der Stadt Artvin Ministerpräsident Erbakan angriff: „Mit der ganzen Sippschaft“ sei Erbakan zum saudischen König gefahren, um dort eine „Polit- Show“ zu veranstalten. „Ich habe 13 Jahre gegen die PKK gekämpft. Jetzt werde ich gegen diese Leute kämpfen“, donnerte Özbek. Erbakans Versuch, gegen den General ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, stößt auf eine Mauer. Generalstabschef Ismail Hakki Karadayi beeilte sich festzustellen, daß man sich nicht in die „inneren Angelegenheiten der Armee“ hineinpfuschen lasse. „Antirepublikanische Entwicklungen“ könnten „nicht hingenommen werden“. Auch Verteidigungsminister Turhan Tayan von der Partei des rechten Weges sprach ganz im Sinne des Generalstabschefs.

Dennoch, als Drahtzieher eines möglichen Regierungssturzes wollen die Militärs nicht erscheinen. Immer wieder werden Lippenbekenntnisse abgelegt, wonach das Parlament die einzige legitime Instanz sei, die Regierung der Türkei zu bilden. Die direkte Intervention des Militärs ist indes auch gar nicht nötig. Denn die Polarisierung zwischen Generalität und Wohlfahrtspartei spaltet die Fraktionsreihen der Partei des rechten Weges ohnehin. Wie lange Tansu Çiller ihre Fraktion auf Koalitionskurs halten kann, ist ungewiß.

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