: Blockflötenfabrikant pfeift aufs Chefsein
Gar nicht so leicht, sich selbst zu enteignen: Bernhard Mollenhauer beteiligt seine Mitarbeiter, will seine Firma jetzt verkaufen, um sie wieder zurückzukaufen. Für die Revolution von oben erntet er aber nicht nur den Dank der Angestellten ■ Aus Fulda Hannes Koch
Der Herr Fabrikbesitzer steigt hinab. Die Schöße seines grauen Arbeitskittels wehen, als er die Treppe vom Büro im ersten Stock zur Werkstatt heruntereilt. Hier unten steht die Werkbank aus dunklem Holz, übersät mit den Kerben der Jahrzehnte. Sie wartet nur auf ihn. Bernhard Mollenhauer atmet ebenso kurz wie tief durch, greift zur Feile und beginnt, die silbernen Klappen einer Blockflöte zu bearbeiten. Hier nimmt er einen halben Millimeter weg, dort bringt er eine winzige Bohrung an. Nur so wird der individuelle Klang des komplizierten Instruments später auch den höchsten Anforderungen eines Konzertflötisten genügen: Bald schon häuft sich auf Mollenhauers Werkbank ein kleiner Berg von Silberspänen.
Bernhard Mollenhauer ist der Inhaber der 1822 gegründeten Holzblasinstrumentenfabrik in Fulda. Wann immer er Muße findet, entflieht er den Formularen und Statistiken seines Büros. Der Duft des Holzes und der warme Klang der Instrumente locken ihn mehr als Bilanzen und Verträge. „Als kleiner Junge habe ich schon neben den Gesellen gesessen“, erinnert sich der 53jährige Kleinunternehmer. Jeden Handgriff habe er damals durch vielmaliges Betrachten in sich aufgesogen. „Die Werkstatt war mein Spielplatz, und so wird es bis zum Ende bleiben“, lacht er, wobei sein einsteinmäßiger Haarkranz um seine Pläte auf und ab wippt.
Mitunter sieht Mollenhauers Werkbank aus wie ein Sandkasten, den eine lustige Kinderschar gerade heimgesucht hat. Seine vielen Feilen und Bohrer läßt er gern herumliegen, kreuz und quer und überall. Wenn die Kollegen abends aufräumen, sortieren sie halt auch die Utensilien ihres Chefs wieder ein. „Das steckt noch drin in ihm“, zuckt einer mit den Schultern. „Aber er kann sich das leisten, er ist ja der Chef.“ Chef? Das will er gar nicht mehr sein. Schon gar keiner nach altem Muster.
Seit einigen Jahren eignet Mollenhauer sich wieder mehr und mehr handwerkliche Fähigkeiten an. Auch Flötenunterricht nimmt er wieder, um Klang und Spielweise aller Exemplare des Sortiments selbst im Detail beurteilen zu können. So ein Flötensortiment reicht von den Anfängermodellen (27,30 Mark) mit Plastikmundstück bis zum 70.000 Mark teuren Liebhaberinstrument mit Goldklappen. Die Macht in der zweitgrößten Flötenfabrik der Bundesrepublik – 1996 wurden 70.000 Instrumente verkauft – freilich teilt der handarbeitende Chef freiwillig.
Seit vier Jahren obliegt die Führung des Betriebes mit 30 Mitarbeitern einem vierköpfigen kollegialen Gremium aus Geschäftsführer, Vertriebs- und Produktionsleiter sowie Mollenhauer selbst. „Irgendwann fing er an zu fragen, wie wollen wir dies und das machen, wie jenes?“ erinnert sich der 34jährige Geschäftsführer und Exbetriebsrat Jochen Kunath.
Neben dem Führungsquartett sollen auch die normalen Beschäftigten mitbestimmen. Durchaus auch in eigener Sache: Wünscht jemand eine Lohnerhöhung, tritt die Lohnkommission zusammen, in der der Geschäftsführer, ein Betriebsrat, der direkte Vorgesetzte des Antragstellers und einer seiner Kollegen sitzen. „Das Klima hier ist wahnsinnig offen“, sagt Rudolf Frank, Mitglied der dreiköpfigen Mitarbeitervertretung. Er beantragte kürzlich kurzerhand eine Gehaltserhöhung um 450 Mark – stattgegeben. Obwohl ihm die Ausbildung als Drechsler fehlt, leitet er nun die Abteilung, in der die Drechselmaschinen aus den ursprünglich rechteckigen Holzrohlingen runde Flöten schneiden.
Da wippt der einsteinmäßige Haarkranz
Am Wirtschaftsplan des Unternehmens mit all seinen Einnahmen und Ausgaben und Investitionen wirkt auch der Betriebsrat mit. Im Versammlungsraum mit seinen pastellrosa gestrichenen Wänden, dem Holzboden und der türkisfarbenen Ofenbank um den Kamin herrscht dabei meist aufgeräumte Stimmung. Zum Streit zwischen Kapital und Arbeit kommt es nur selten, denn die bis in die letzte Einzelheit erläuterten Zahlen entfalten ihre eigene Wirkung.
Im vergangenen Jahr wies die Firmenbilanz einen Gewinn von schmalen 120.000 Mark aus. Daß da nicht viel zu verteilen war, sahen alle ein. „Wir sind gereift“, schätzt Betriebsrat Frank, „und stellen keine utopischen Acht-Prozent- Forderungen mehr.“ Drei Prozent sollen reichen. Mit Ausnahme der einen Höherstufung hat auch die Lohnkommission bislang alle Anträge abgeschmettert. Die demokratische Einbindung der Belegschaft wirkt – kostensenkend.
Mollenhauers neueste Idee ist die weitreichendste: Er will sein Privateigentum an dem Traditionsbetrieb quasi komplett annullieren. Damit würde das Unternehmen, so nennt er es, nur noch „sich selbst gehören“. Juristisch soll das so ablaufen: Mollenhauer verkauft die Firma formal an den anthroposophisch angehauchten, in Stuttgart ansässigen „Verbund Freie Unternehmensinitiativen“, in dem die Blockflötenfabrik bereits Mitglied ist.
Der Verbund mit seinen 20 Betrieben und rund 300 Beschäftigten – vor allem Naturkosthändler und Verlage – würde die Musikalienwerkstätten sofort an Mollenhauer zurückverkaufen. Allerdings mit einer entscheidenden vertraglichen Bedingung: Weder der Inhaber noch seine Erben dürften den Betrieb an Investoren verkaufen. Solange der Verbund existiert, wäre die Flötenfabrik dem kapitalistischen Markt entzogen, auf dem Käufer und Verkäufer Unternehmen wie „Äpfel und Birnen handeln“, wie Verbund- Steuerberater Christian Czesla das empört nennt. „Wir neutralisieren das Kapital“ – eine Art humanistische Gegenwehr zur Ideologie des Shareholdervalue.
Kapitalist Mollenhauer liebäugelt mit dem Verbund, weil er „fundamentale Kritik am Privateigentum“ und an der Marktwirtschaft übt. Gegen den alles beherrschenden Egoismus der Profitmaximierung will er die sozial verantwortliche Einbindung in das Netz des anthroposophischen Verbundes setzen. Für ihn ist die außergewöhnliche Firmenpolitik nicht nur ein Mittel, seinen Betrieb am Markt zu halten und gegen feindliche Übernahmen, etwa durch den größeren Konkurrenten Moeck aus Celle, zu schützen. Es ist auch ein Akt des persönlichen Selbstschutzes. „Ich bin kein Ellenbogentyp“, sagt er.
Chef zu sein im harten Marktkampf empfand er immer als große Belastung. Von seiner Familie wurde er eher in die Führungsrolle hineingedrängt, als daß er sich danach gesehnt hätte. Jetzt kann er, so weiß Geschäftsführer Kunath, „zum ersten Mal frei entscheiden“, wann er an Flötenklappen feilen will, statt Verhandlungen mit Kaufhausketten zu führen, die doch nur den Preis der Instrumente drücken wollen, um aus Mollenhauers Musikliebe klingende Münze zu machen.
Persönlicher Schutz: „Ich bin kein Ellenbogentyp“
Die Belegschaft freilich betrachtet die Revolution von oben mit gemischten Gefühlen. Rudolf Steiners Lehre sei doch manchmal „etwas weltfremd“, findet Betriebsrat Frank, „und der moralische Anspruch sehr hoch“. Vor einiger Zeit noch ging der Chef den Arbeitern mit seinem missionarischen Eifer schwer auf die Nerven. Kein Tisch war gut genug, wies er nicht die von den Anthroposophen so geschätzten unregelmäßigen Formen auf.
Der rasante Marsch zur Unternehmenskultur des organischen Miteinanders hat zwar an Geschwindigkeit eingebüßt, doch auch heute stoßen „die da oben“ die Belegschaft mitunter „vor den Kopf“, wie Betriebsrat Markus Berdux berichtet. Vor allem der jugendliche, bunte T-Shirts tragende Geschäftsführer Jochen Kunath entpuppt sich als Heißsporn. „Meine Hose piept“, sagt er, wenn das Handy in seiner hinteren Jeanstasche klingelt.
Es kommt vor, daß er im Sommer sein Wohnmobil um vier Uhr morgens vor dem Betrieb parkt und dann den ganzen Tag über immer drei Stufen gleichzeitig nehmend durch die Firma springt. Unlängst klopfte er auf einer seiner Hetzjagden mal eben eine Notiz an die Pinnwand, auf der die Einführung flexibler Arbeitszeiten angekündigt wurde. Doch die derart autoritär vorgetragene Botschaft „Arbeitet selbstverantwortlich!“ überforderte gerade die älteren Beschäftigten und erzeugte Unmut.
So machte sich mancher Beschäftigte Gedanken, wie er seine tägliche Flötenproduktion schaffen solle, wenn der Nachschub von Kollegen ausbleibe, die schon um 15 Uhr nach Hause gingen. Inzwischen liegt die flexible Arbeitszeit wieder auf Eis.
Trotz aller Ideologie der Kollegialität – der Interessengegensatz zwischen Kapitalbesitzer und Werktätigen bleibt auch bei Mollenhauer bestehen. 1996 wollte die Geschäftsleitung wegen schlechten Umsatzes das Weihnachtsgeld streichen. „Das haben wir nicht mit uns machen lassen“, sagt Betriebsrat Berdux. Im Prinzip jedoch scheinen die meisten Beschäftigten mit den Bemühungen ihres Chefs einverstanden zu sein. Nicht nur, weil die Löhne im Vergleich zu anderen Betrieben gut im Rennen liegen und die Spreizung der Gehälter gering ausfällt. Bei Mollenhauer verdienen Chef und Geschäftsführer nur gut doppelt so viel wie die Arbeiter mit den niedrigsten Löhnen – eine den meisten anderen Unternehmen sehr befremdliche Gleichmacherei.
Wenn Bernhard Mollenhauer spätnachmittags die Feile niederlegt, setzt er sich für die Heimfahrt eine ausladene Schlägermütze auf den Kopf, die ihn wie einen verwegenen Renaissancekünstler aussehen läßt. Früher, erzählt er, habe ihn schon mal die Idee umgetrieben, sich völlig aus der Firma zurückzuziehen. Und in der Werkstatt seines Landhauses nur noch ästhetisch wertvolle Liebhaberinstrumente herzustellen. Doch diese Gedanken hat der Herr Flötenbauer bald wieder verworfen: „Meine Lebensaufgabe“, sagt er, „ist es, zu arbeiten, damit die Gemeinschaft funktioniert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen