■ Glosse: Macho statt Mangel
„Multikulti gleich Tanzen und Sex“, schrieb uns ein Leser zu unseren Intertaz-Seiten. Das Wort Multikulti wird auf diesen Seiten in der Tat öfter verwandt. Die Message erreichte uns als Übersetzung aus dem Arabischen per Internet. Und unser Leser, der sich auf den Koran bezog, meinte wohl, daß sich in der multikulturellen Gesellschaft, dem bunten Durcheinander, die Begegnungen auf Tanzen und Sex reduzieren. Hat er nicht irgendwo, irgenwie recht? Sprießen sie nicht überall aus dem Boden, die Afro-Clubs und Salsa-Schuppen? Und weiß man nicht, daß gerade und vielleicht nur noch dort die Anmache funktioniert? Letzte Bastionen der hetero-erotischen Begegnung in Zeiten narzißtischer Techno- und freizügiger Schwulenparties? Immerhin fordert hier der Mann die Frau noch auf und gibt den Takt an.
Alpa jedenfalls, vor vier Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, weiß das Ambiente zu schätzen. Er deklariert es augenzwinkernd als sein Jagdrevier. Und er jagt viel. Deutsche Frauen. Denn, so weiß er, die haben Mangelerscheinungen, sind vernachlässigt vom deutschen Mann. Und selbst der Spiegel wittert hier Bedarf und fragt in einer Spezialausgabe kategorisch: „Der deutsche Mann: Macho oder Memme?“ Alpa tippt auf Memme. Er fühlt sich als Beglücker deutscher Frauen. Die, so betont er, bräuchten ausländische Männer. Definitiv! Der Erfolg spricht für ihn: Alpa schläft selten allein, auch wenn er fast immer allein ausgeht.
Sicherlich ist dies ein Aspekt, der die Debatte um andere Werte, andere Kulturen, Männerdominanz, wie sie ja häufig auf diesen Seiten und in dieser Zeitung stattfindet, erweitert. Genaugenommen um Tanzen und Sex. Und das ist ja, selbst wenn es Spaß macht, nicht unwichtig. Und mag auch so mancher selbstherrliche Türkenmann die eine oder andere zivilisatorische Errungenschaft in der Gleichstellung der Geschlechter mit seinen tollkühnen Auftritten ins Mittelalter zurückdrehen, als Tänzer und Beschützertyp funktioniert er allemal. Und letzteren wünschen sich nach einer brandneuen Umfrage der Zeitschrift Focus immerhin 74,1 Prozent der deutschen Frauen.
Und vielleicht verwirklicht sich die Multikulti-Idee ja überhaupt häppchen- und paarweise auf der Tanzfläche und danach. Begegnung pur. Er bekommt, was er sucht, sie, was sie sich insgeheim wünscht. Wider aller düsteren Prophezeiungen vom unvermeidlichen „Kampf der Kulturen“.
Und vielleicht sollte so mancher frustrierte Pädagoge, verzweifelt über die Realität der multikulturellen Gesellschaft an seiner Schule und anfällig für die Thesen Huntingtons, einfach mal einen Latino- Schuppen aufsuchen. Noch aufschlußreicher wäre dies allerdings für eine Pädagogin. Wir jedenfalls werden die Anregung unseres arabischen Lesers aufnehmen und Tanzen und Sex weiter interessiert verfolgen. Edith Kresta
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