: Geschichte in 54 quietschgelben Kisten
■ In Schöneberg zeigt das erste Jugendmuseum Historisches einmal ganz anders. Von Omas Fotos am Strand in Binz bis Rosa Luxemburg und Jimi Hendrix
Am Anfang ist Omas Fotoalbum: Als Oma Kind war, war Oma am Strand in Binz. 1928 rückte Oma zu ihrer ersten Fahrstunde an. Es folgen die Akten von Lehrer Brachvogel, der Ende der 20er Jahre sein Unwesen an seiner Schöneberger Schule getrieben hat. Am Schluß ist alles offen: Kiste 51 muß noch gefüllt werden. „Kindheit im Jahre 1997“ steht an ihr geschrieben. Ideen können hinterlassen werden. Auch die Frage „Wann werde ich erwachsen?“ ist noch nicht beantwortet.
54 quietschgelbe Kisten sind es insgesamt. Zusammen bilden sie Schönebergs soeben eröffnetes Jugendmuseum. Dabei ist der Name irreführend: Nicht Jugend soll hier ausgestellt werden – sieht man einmal von ein paar Plastiktüten mit ausrangierten Barbiepuppen und deren Klamotten ab; statt dessen soll Geschichte für Jugendliche verständlich und interessant gemacht werden.
Der Anschaulichkeit wegen nimmt die Ausstellung dann auch Schöneberg als Ausgangspunkt für den Ritt durch die Geschichte. Und wie hat man früher gelebt? Die Reichen vorn, die Armen hinten. In einer der Kisten findet man das klassische Inventar eines Hinterhauses: die abgewetzte Spüle, die ausgelatschten Schuhe. Das Verbotsschild: „Umherstehen vor der Haustür sowie unnützer Aufenthalt auf Hof, Flur und Treppe ist streng verboten.“ Und eben ein paar schicke Utensilien aus dem geräumigen Vorderhaus für den Herrn und die Dame.
Eine Kiste ist Rosa Luxemburg gewidmet – die über zehn Jahre in Friedenau gelebt hat. Es folgt das Thema „Leben unter dem Hakenkreuz“, das sich über mehrere Kisten verteilt. Dort wird nicht nur Material ausgestellt – von „Mein Kampf“ bis zur Reichseierkarte. Hier hängt ein Telefonhörer. Nimmt man ihn ab, erklingt die Stimme einer Halbjüdin, die schildert, wie sie sich nach 1933 verstecken mußte. Mit den Kindern, die das Band mit der Zeitzeugin aufgenommen haben, beginnt ein Gespräch über Krieg und Verfolgung.
Nach den Alliierten nähert man sich der Neuzeit vieler Schöneberger Eltern, die offensichtlich tatkräftig mitgewirkt haben an dem neuen Museum: der Studentenbewegung der 60er Jahre. „Ihr Ziel war eine freie, gerechte Gesellschaft ohne hohle Autoritäten und falsche Moral“, heißt es da solidarisch. Rudi Dutschke, Benno Ohnesorg, der Vietnamkrieg. Doch auch die Kiste der Hausbesetzer ist auffallend wohlwollend, auch wenn es da fälschlicherweise heißt: „Heute gibt es in Berlin keine besetzten Häuser mehr.“
Daneben sind all die Gegenstände drapiert, die sich in einem anständigen linken Schöneberger Haushalt im Überfluß auf dem Dachboden finden lassen: der unvermeidliche Flokati, die alten Platten von den Beatles bis zu Hendrix.
Das Mitmachprinzip bewährt sich offensichtlich: Im Raum nebenan hocken ein paar Zwölfjährige und basteln an dem Inhalt weiterer Kisten. Der letzte Teil des Museums ist im Keller: Besonders Neugierige können hier ins Archiv hinabsteigen, in alten Schulakten blättern oder archäologische Fundstücke bestaunen. Jeannette Goddar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen