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Mannweiber unerwünscht

taz-Serie: 100 Jahre Schwulenbewegung (Teil 4): Ausstellung „Goodbye to Berlin?“ ohne Lesben  ■ Von Constanze von Bullion

Hasset die Männer und die Ehe!“ schrieb Helene von Druskowitz 1907 und: „Fordert die Teilung nach den Geschlechtern und die Konzentrierung der gesamten weiblichen Tätigkeit auf die eigene Stadthälfte.“ Die Frau war völlig durchgeknallt. Fanden zumindest die Psychiater, die der Philologin eine „Paranoia“ attestierten. Jahrelang sperrten sie die lesbische Querulantin in die Klapsmühle. Es half nichts. Die Druskowitz verzehrte sich weiter nach der Operndiva Therese Malten und träumte von einer Welt ohne Männer. Jetzt wird ihr Traum wahr, die Männer verabschieden sich. Allerdings aus der schwul-lesbischen Gemeinde der Hauptstadt. Bei „Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“ bleiben die Herren unter sich – und radieren die Lesben aus dem Geschichtsbuch.

„Hobbyforscher“ nennt sich der Mann, der beschlossen hat, daß Lesbengeschichte nichts verloren hat zwischen 1.400 historischen Exponaten der Jubiläumsschau. Manfred Herzer vom Schwulen Museum Berlin hat „schlechte Erfahrungen mit diesen Frauen gemacht“. Die hätten „kein Interesse gezeigt“ an seinem Projekt. Auch sei er „nicht sicher, ob es überhaupt je eine Lesbenbewegung gab, da bin ich inkompetent“.

Es hätte jemanden gegeben, der kompetent ist. Die Politikwissenschaftlerin Christiane Leidinger betreibt „Queer Studies“ und bietet an der Humboldt-Universität Seminare zur Geschichte der Lesben an. Sie findet es „völlig unsinnig, die Lesben aus der homosexuellen Bewegung auszugrenzen“. Und weiß, wovon sie redet.

Magnus Hirschfeld hat sich Zeit seines Lebens mit Frauen befaßt. „Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“ gehört zu den Standardwerken des Nervenarztes, der vor 100 Jahren das „Wissenschaftlich-humanitäre Komitee“ gründete. Hirschfeld kämpfte gegen die Kriminalisierung homosexueller Männer, indem er aufklärte – nicht nur über seine eigenen Bettgenossen. In den literarischen Salons der Intellektuellen, bei Kaffeekränzchen mit behüteten Bürgerstöchtern und in verqualmten Hinterzimmern von Berliner Tanzlokalen beobachtete er immer wieder Weibsbilder, die ganz und gar nicht dem Ideal der liebenden Gattin entsprachen.

„Viele haben eine rauhe, tiefe Stimme, derbe männliche Gesichtszüge, schmale Hüften“, schrieb Hirschfeld über die Lesben. Es handle sich um „Mannweiber“, die „in der Art zu sprechen, zu trinken und zu rauchen etwas ausgesprochen Viriles aufweisen“. Neben diesen Frauen entdeckte er eine zweite Spezies: die „homosexuellen ,Weibchen‘“. Sie scheuten, schrieb er, „weder Korsetts noch hohe Absätze und erscheinen in ihren Gefühls-, Geschmacks- und Gedankenäußerungen so durchaus weiblich, daß sie niemand für homosexuell halten würde“. Einen ganzen lesbischen Kosmos bastelte sich Hirschfeld zusammen. Eine Welt, wo „kräftige, geistesstarke Weiber“ die „jungen, echt weiblichen Mädchen“ umgarnten.

Daß hinter dem Modell ein angestaubtes Muster heterosexuellen Denkens steckte, ging Lesben schon damals auf die Nerven. „Die Liebe des Dritten Geschlechts. Revolution und Erlösung des Weibes“ hieß die Schrift, in der Johanna Elberskirchen das Männchen-Weibchen-Schema in Frage stellte. „Wir sind alle Bisexuelle, alle Zweigeschlechtliche, und je nach Entwicklung fähig, zweigeschlechtlich zu empfinden und zu lieben“, schrieb die Wissenschaftlerin. Daß Homosexualität „nicht verbrecherisch und nicht verrückt“ sei, war für sie so selbstverständlich wie die eigene homosexuelle Identität. „Sind wir Frauen der Emanzipation homosexuell“, blaffte die Dame 1904, „nun dann lasse man uns doch. Wen geht's an? Doch nur die, die sich mit ihrer Abnormität abzufinden haben wie die anderen mit ihrer Normalität.“

Ein solches Outing war in Frauenkreisen selten. Zwar wußten alle, daß prominente Feministinnen wie Käthe Schirmacher und Klara Schleker ein Paar waren, daß Pazifistinnen wie Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg ein Leben lang zusammenblieben. Doch was sich da unter der Bettdecke tat, wurde tunlichst verschwiegen. Manche fürchteten, auch die lesbische Liebe könnte unter Strafe gestellt werden. Andere verweigerten jede Abspaltung von der Frauenbewegung.

Nicht ohne Grund. Denn Fundamentalkritik an Ehe und Familie wurde von den Feministinnen schnell als Verrat im Kampf um Gleichberechtigung gesehen. Als Anita Augspurg erklärte, die Ehe bedeute für die Frau „eine unwürdige Aufgabe ihres Namens und ihres Selbstbestimmungsrechts“, verprellte sie damit Helene Stöcker. Die Vorsitzende des „Bundes für Mutterschutz“ stritt zwar für Aufklärung und freie Sexualität. 1911 unterschrieb sie auch eine Petition gegen die Ausweitung des Paragraphen 175 auf die Lesben. Aber sie vergaß nicht zu erwähnen, daß die „Liebe zwischen Mann und Frau“ noch immer „das Höchste und Erstrebenswerteste“ sei.

Helene Stöcker war übrigens gut befreundet mit Magnus Hirschfeld. Wie Johanna Elberskirchen saß die resolute Lehrerin im „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“. Zehn Jahre hatte es gedauert, bis die erste Frau ins „Obmännerkollegium“ des homophilen Vereins gewählt wurde. Doch den Vorschlag, eine eigene Frauensektion zu gründen, hatten die Hirschfeld-Jünger schon 1907 abgeschmettert. Weil man eine Zusammenrottung männerhassender Frauen fürchtete? Oder weil Lesben von den Schwulenfreunden nicht ernst genommen wurden?

Es wäre Aufgabe der Ausstellung gewesen, solche Fragen zu stellen. Statt nur anzumerken, daß in Hirschfelds Komitee „die Frauen eine einflußlose Minderheit blieben“, hätte man untersuchen können, warum das so war. Hätte man die uralten Querelen zwischen Schwulen und Lesben thematisieren können, das Mißtrauen gegen frauenfeindliche Männerbünde und männerfeindliche Emanzen. Mitten in der Gegenwart wäre man damit gelandet. Doch genau das wollten die Aussteller vermeiden.

Historikerinnen sollten nicht ran an die Stellwände. Lieber hat man ein paar Alibifotos prominenter Frauen neben Meister Magnus geklebt. Schade nur, daß ihre Namen vertauscht sind, Helene Stöcker zum Beispiel ist die mit den hochgesteckten Zöpfen. Auch durch die 20er Jahre fegt der ganz grobe Besen. Da soll „Marlene Dietrich im Frack“ herhalten für den ganzen Sub von kessen Vätern und verruchten Tänzerinnen, für Lesbenpornos in schwulen Zeitungen und für schwule Redakteure in lesbischen Illustrierten. Es muß eine mühselige Fusselarbeit gewesen sein, das gemischt homosexuelle Publikum der Pariser Boheme nach Geschlechtern zu trennen und sorgfältig jedes Foto auszusortieren, auf dem Gertrude Stein oder Djuna Barnes zu sehen sind. Oder Aufnahmen von US-Demos zu finden, wo möglichst wenig Lesben neben den Schwulen marschieren.

Der Mief vergangener Zeiten ist eingezogen in die Akademie der Künste. Das schwule Berlin feiert sich selbst – in standesgemäßem Korpsgeist. „Hasset die Männer“, hätte Helene von Druskowitz gesagt. „Haßt uns ruhig“, hätten die Hobbyforscher geantwortet. Hauptsache, das Denkmal steht.

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