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■ Wie sich die Altherrentreffen ähneln: Die RAF redet wie das Politbüro

„Je ne regrette rien“, sang die Chanteuse Edith Piaf. Diese hinreißend vorgetragene Lüge lieben weibliche Teenager und ältere Herrschaften. Manche ziehen auch die Mafiaversion vor, Frank Sinatras „I did it my way“. Doch eigentlich weiß man jen- seits des Kindergartens, daß das gelebte Leben eine Menge mit sich bringt, das man bereuen kann und soll. Nur, wie soll man es sagen? Und wem kann man das offen mitteilen? Der Öffentlichkeit offenbar nicht. Der arme Günter Schabowski hat es versucht, und alle hassen ihn dafür. Er nannte Idee und Ausführung der DDR gut berlinerisch: „Scheiße“. Immerhin. Vor Gericht steht er trotzdem.

Kinder kriegt man nur mit der Androhung unmittelbarer Gewalt dazu, Geständnisse abzulegen. Zu beichten. Selbstkritik zu üben. Das muß man, die Sätze von RAFlern und Stasisten im Ohr, als gesunden Instinkt bezeichnen. Denn obwohl selbstkritische Übungen aus gutem Grund zur politischen Nachkriegskultur Deutschlands gehören, klingt das, was politische Täter nach der Tat sagen, meistens läppisch. Wie hat man Filbingers Schmuddelfassung des Legalitätsprinzips „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“ verhöhnt. Der furchtbare Jurist fand dennoch Nachfolger. Linke. Die verteidigen heute mit dem Satz im Ranzen DDR-Größen.

Die Kämpfer von RAF und 2. Juni brauchen keine Verteidiger mehr. Sie haben ihre Strafen abgesessen. 30 Jahre, eine Generation später, werden sie zu Podiumsdiskussionen eingeladen, doch was sie sagen, klingt so, wie man sich Gespräche bei Kaffeekränzchen der Waffen-SS in den 60ern vorstellt: „Keine schäbige Distanzierung von einer für uns so wichtigen Lebensphase“, sagt Knut Folkerts, der ehemalige Terrorist.

Till Meyer, 2.Juni-Mann, Stasi-IM mit Wirkungsort taz-Redaktion und Buchautor, so wird überliefert, faßt es so zusammen: „Das einzige, was historisch übrigbleibt vom Kampf der RAF, ist der Stolz, dabeigewesen zu sein“. Heiliger Pfarrer Albertz, heiliger Schabowski! Albertz trat zurück, nachdem Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen worden war. Schabowski fand seine eigene Fischmehlfabrik in einer hessischen Lokalzeitung. An beide denkt man mit Respekt, an Till Meyer mit Schaudern.

Ob es die Distanzierung ist, die „schäbig“ erscheint? Oder ob grundsätzlich alle, die überhaupt für sich in Anspruch nehmen, „wichtige Lebensphasen“ erlebt zu haben, diese für sakrosankt halten? Man beginnt zu verstehen, warum es in China als Fluch gilt, jemandem „interessante Zeiten“ zu wünschen. Mechthild Küpper

wird fortgesetzt

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