: Kein Gedenken für den getöteten Studenten
■ Kaum jemand weiß 30 Jahre nach dem Tod von Ohnesorg mit der Tat umzugehen
Fast Aug in Aug stehen sie da: Der geprügelte Benno Ohnesorg mit dem Kopf nach unten auf der einen Straßenseite. Ihm gegenüber ein erhabener William Shakespeare. Besonders nah sind sie sich in keiner Hinsicht: Zwischen ihnen staut sich auf acht Spuren der Feierabendverkehr. Shakespeare hat an der Bismarckstraße die älteren Rechte. Die Büste ist ein Geschenk Londons zur 750-Jahr- Feier 1987. Aber es dauerte bis 1990, ehe ein Benno-Ohnesorg- Mahnmal den Platz vor der Deutschen Oper zierte. „Sein Tod war ein Signal für die beginnende studentische und außerparlamentarische Bewegung“, heißt es auf dem Betonsockel, „die ihren Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung besonders in den Ländern der Dritten Welt mit dem Kampf um radikale Demokratisierung im eigenen Land verband.“ Ein „Akt der Unverschämtheit“, wetterte CDU-Hardliner Heinrich Lummer bei der Einweihung der Plastik, die der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka entworfen hat.
Ein paar alte Freunde, Kämpfer und Sentimentalisten werden heute die eine oder andere Blume ablegen, vielleicht ein stilles Zwiegespräch halten. Eine offizielle Gedenkveranstaltung zum 30. Todestag des Erschossenen findet nicht statt. Außer der Plastik erinnert an der öden Straßenkreuzung nichts an alte Zeiten. Die Menschen klettern aus dem U-Bahn- Schacht. Rein in den Supermarkt. Und wieder nach Hause. Ohne Augenaufschlag. Die Oper ist tagsüber verwaist. Für das Gedenken an einen toten Studenten, der zum Märtyrer einer ganzen Bewegung, dessen Name als Symbol für die gewalttätige Unterdrückung Andersdenkender steht, würde man sich eine solidarischere Umgebung wünschen. Kreuzberg vielleicht oder wenigstens Schöneberg.
„Was das für ein Ding ist? Keine Ahnung, steht denn das nicht drauf?“ Die blonde Mittdreißigerin geht samt Plastiktüten unbeirrt weiter. Der 68jährige Opernbesucher mit Jackett, Krawatte, Krückstock und Schnauzbart weiß sofort Bescheid: „Benno Ohnesorg!“ Und dann bricht es im Stile der Springer-Presse von damals aus ihm heraus: „Damit fing der Aufstand von diesen schwachsinnigen 68ern an.“ Fast meint man, es sei erst letzte Woche gewesen. Als würden ihm protestierende Studenten seinen verdienten Wohlstand heute noch madig machen. „Um 20 Jahre haben die uns zurückgeworfen. Aber heute bereuen sie es ja Gott sei Dank.“ Er hinkt davon.
Verständnisvoller ist der ältere Herr in Trainigshose und abgewetzter Lederjacke. „Das hat 'nen irren Wirbel gemacht damals, die ganze Studentenrevolution.“ Viel mehr weiß er auch nicht. Herr K. war 30 Jahre Polizeibeamter – in der DDR. Er zeigt kein Stück Verständnis für den schießenden Polizisten. „Im Westen saß der Colt schon immer ziemlich locker.“ Und, ohne das Gesicht zu verziehen: „In der DDR sind jedenfalls keine Demonstranten erschossen worden. Das haben die Studenten sich damals so gedacht, daß das in der BRD eine Demokratie ist.“
Die Krumme Straße 66/67, in deren Hof der Polizist Karl-Heinz Kurras Ohnesorg erschoß, ist inzwischen abgerissen. Ein weißer Neubau mit viel Beton und wenig Fenstern steht hier. Geblieben ist der Hinterhof, auf den sich heute abend vor 30 Jahren etwa 30 Studenten vor der Polizei flüchteten. Hier fiel der tödliche Schuß, für den der Polizeibeamte Kurras nie geradestehen mußte. Eine festgeschraubte Sitzecke steht da, drei Autos, ein paar Räder. Aber keine Gedenktafel. „Ich hab' es in einem alten Zeitungsartikel gelesen, daß das hier passiert ist“, erzählt Andrea, 21, Mieterin in dem Neubau. „War ein komisches Gefühl am Anfang.“ Mit der Studentenbewegung habe sie nie was zu tun gehabt, „aber wer Benno Ohnesorg war, das weiß man ja wohl.“ Zwei ihrer Nachbarn wissen nicht einmal das. „Kann doch gar nicht sein, ich hab' doch immer hier in der Straße gewohnt“, wundert sich eine. „Tragisch ist das“, nuschelt ein Angestellter Mitte 40.
Drei 16jährige Bayern, für ein Wochenende in die ehemalige Stadt der Studentenbewegung gereist, sind emphatischer. „Mensch, echt, hier war das?“ fragt einer begeistert, schüttelt die Dreadlocks. Er ist der einzige, bei dem es sofort klingelt, als er den Namen Benno Ohnesorg hört. Die anderen ziehen nach. Wo sie schon einmal am Ort des Geschehens sind, wollen sie auch etwas lernen. Wer der Schah war. Und warum er besser nicht hätte kommen sollen, zum Beispiel. Dabei könnten sie das auch woanders erfahren: „68, das machen wir gerade in Geschichte“. Und außerdem war „die Mutter von der Lizzy“ damals dabei. Dem dritten fällt dann schließlich noch etwas ein. Auch wenn es ihm zunächst so schwerfällt, das rauszubringen, wie das Wort „Lysergsaeurediathylamid ...“ auszusprechen: „Au-ßer-par-la-men-ta-rische Oppo-sition“. Was anderes kommt ihm viel flüssiger über die Lippen: „Wer dreimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“ Jeannette Goddar
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