: Wie Kuckuckseier im Nest der Stadt?
Lübeck, eine Woche nach dem rechten Brandanschlag auf eine katholische Kirche: Die traditionsbewußte Stadt hofft, daß die Täter gefaßt werden – um den Makel einer rechten Hochburg zu verlieren ■ Aus Lübeck Claudia Thomsen
Vor dem Lübecker Rathaus ist Markt. Motto: „Anno dazumal“. Mundgeblasene Pandabären, handgetöpferte Reptilien und Clogs mit Schafwollbezug werden dort feilgeboten. An diesem sonnigen Maiwochenende scheinen die Besucher der Stadt diese Monstrositäten kaum zu interessieren. „Richtig geil“, weiß eine Mitarbeiterin im Infozentrum des Rathauses, seien die Touristen darauf, die frischesten Brandruinen der Stadt zu sehen. „Die hoffen wohl noch auf Leichenteile.“
An der gleichfalls im Altstadtbereich gelegenen Marienkirche flanieren die Besucher jedoch achtlos vorbei. Die evangelische Gemeinde gewährt einer algerischen Familie seit drei Wochen Kirchenasyl. Hiergegen sollte demonstriert werden – von rechts. Doch die von den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) und dem „Bündnis Rechts für Lübeck“ für diesen Sonnabend angemeldeten Aufzüge hat die Stadt verboten. Die vom Bündnis gegen Rassismus angekündigte Gegendemo wird trotzdem stattfinden. Bundesgrenzschützer sind unterdessen weit vor der Stadt damit beschäftigt, Rechtsextremisten abzufangen: Sie sollen draußen bleiben.
Auf Flugblättern, die Donnerstag nacht rund um die abgebrannte katholische Vicelinkirche in Briefkästen des Lübecker Stadtteils St. Jürgen auftauchten, ließ ein „Aktionskomitee für HARIGe Angelegenheiten“ Dampf ab. Offen spekulieren die Nationalsozialisten, ob die Hakenkreuzschmierereien an der Kirchenwand nicht von Linken stammen könnten. Schließlich seien sie daran interessiert, eine Welle der Solidarität für das Kirchenasyl zu mobilisieren. Derart absurde Behauptungen fanden sich sogar in den Kieler Nachrichten abgedruckt.
In Lübeck haben Spekulationen Konjunktur. Warum immer Lübeck? Zufall? Bestimmung? Niemand weiß Genaues. Alle wollen etwas wissen. Aber weil sie nichts wissen, darf behauptet werden. Vor allem, weil von den Tätern wieder einmal jede Spur fehlt.
Günter Harig setzt auf der Suche nach einer Erklärung für die Lübecker Brandanschläge den Beginn der Serie 1994 an. „Mit der ersten Synagoge nach 1945 ging ein Tabu in Flammen auf, das ich für unantastbar gehalten habe“, sagt der Vorsitzende der St.-Marien- Gemeinde. Erst dieser Brand habe die Folgeanschläge ermöglicht. Eine Woche nachdem der Pfarrer seinen Namen zwischen Hakenkreuzen auf der Wand der abgebrannten St.-Vicelin-Kirche lesen mußte, versucht er, „soviel normales Zeug wie möglich zu tun“.
Der Kirchenmann raucht auf eine routinierte Art Kette. Der Brillenträger trägt seine Überlegungen mit einer Mischung aus Lässigkeit und Arroganz vor. Das, was an der Trave passiert ist, versteht er jedenfalls nicht als typisch für Lübeck. Mangelnde Streitlust um die Vergangenheit, Werteverlust und Individualisierung – das seien deutsche Probleme, die der Bewältigung des Themas Asyl im Wege stünden.
In der Lübecker Innenbehörde holt man weniger weit aus. „Es brennt einfach so oft“, sagt Innensenatorin Dagmar Pohl-Laukamp schlicht. Wie „Kuckuckseier“ würden die Taten „in das Nest der Stadt gelegt“, glaubt die Christdemokratin, die nicht weiß, „womit wir das verdient haben“. Auch sie beschwört die besonders liberale Tradition der Stadt, der Thomas Mann die „geistige Lebensform“ auf den Leib schrieb.
Nur schlecht paßt zu dieser Tradition der Makel, eine Bühne rechtsradikaler Anschläge zu sein. Allerorten knallen die schwerwiegenden Blicke der Brüder Mann, Erich Mühsams und Günter Grass' von den Wänden. Ihre Bilder hängen in vielen Kneipen, als wären sie Ausweise genug für eine gute Tradition in Lübeck. Den Erinnerungsstützen kann man nur in der McDonald's-Filiale entkommen, die ausgerechnet an der pittoresken Pfaffenstraße liegt. Sind es Spielverderber, die im Angesicht Bogeys, De Niros und Monroes Fritten und Burger speisen?
Ein wenig außerhalb des „Insel“ genannten Stadtzentrums liegt wie ein grüner Punkt das Drägerwerk. Beim größten Arbeitgeber der Stadt hält man die Brandanschläge für eine „makabre Verknüpfung“, wie Pressesprecher Welf Böttcher sagt. Aber noch sei „nichts bewiesen“, sagt ruhig der Mann, der das „multikulturelle Vorgehen“ seines Betriebes als wesentliches Kriterium der Konkurrenzfähigkeit bezeichnet. Nein, die ausländischen Partner hätten die Brände nicht zur Sprache gebracht, aber man selbst frage sich „voller Beschämung, in was für einer Stadt wir eigentlich leben“.
Mehr Fragen als Antworten kursieren auch bei den Institutionen, die sich beruflich mit Brandstifungen zu befassen haben. „Wenn das Zündeln hier zum Breitensport wird, können wir das nicht mehr bewältigen“, sagt Bernd Neumann. Der stellvertretende Leiter der Lübecker Berufsfeuerwehr hofft ebenso wie sein Kollege Manfred Kurz, der die Bekämpfung des Brandes der Vicelinkirche leitete, daß „es sich nicht wieder um so eine Sache handelt“.
Wenn Brandstiftung vorläge, müsse man sich „auf ein unfaires Rennen“ einstellen, wissen die Experten. Bei der Berufsfeuerwehr hält man es für unbewiesen, daß mit dem Schuppen in St. Vicelin auch die angrenzende Kirche abgefackelt werden sollte. Beim vorerst letzten Brand in der Obdachlosenwohnstätte geht man von einer unabsichtlichen Verursachung durch einen Bewohner aus.
Dieser These hängt auch der für die Betreuung der Anlage zuständige Sozialarbeiter Klaus Bode an. Die mit der Aufklärung des Brandes in der Vicelinkirche beauftragte vierzigköpfige Sonderkommission gibt sich verschlossener als die Feuerwehr. Kein Wunder: Die Schlüsselfrage, warum in Lübeck immer wieder Brandstifter davonkommen, richtet sich in erster Linie an die Polizei. Von deren Sprecher ist zu erfahren, daß der Leiter der Soko noch recht unerfahren und deshalb „gern in zehn Tagen“ zu sprechen sei, wenn sich alles beruhigt habe. In noch dichteres Schweigen als die Polizei hüllt sich die Staatsanwaltschaft. Die steht wie keine andere Behörde der Stadt unter Erfolgszwang. Man habe kein Interesse daran, sich mit hastigen Verlautbarungen erneut den Vorwurf fahrlässiger Beweisführung einzuhandeln, ist nur knapp zu erfahren. Jüngst hat die Bürgerschaft die von der rotgrünen Landesregierung ausgelobte Belohnung von 50.000 Mark für die Ergreifung der Täter verdoppelt und damit den Druck auf die Ermittler noch weiter erhöht.
„Es wäre fatal, wenn die Täter nicht gefaßt würden“, sagt Matthias Erz, Sprecher von Bürgermeister Michael Bouteiller. Man habe im Zuge der neuesten Anschläge über eine PR-Kampagne in eigener Sache nachgedacht. Man habe aber davon abgelassen, weil es wichtiger sei, „daß sich die Fraktionen der Lübecker Bürgerschaft nicht auseinanderdividieren lassen“ – trotz unterschiedlicher Meinungen zum Kirchenasyl. Wenn die Bürgerschaft bekräftigt, daß Faschisten in Lübeck keinen Platz haben, seien Imagekampagnen unnötig, ist Matthias Erz überzeugt, der deshalb den „agitatorischen“ und „polarisierenden“ Kurs der Lübecker Nachrichten verurteilt.
In der aktuellen Ausgabe des Lokalblatts plädiert Redakteur Curd Tönnemann dafür, sich im Falle der Brandanschläge zu „Unwissenheit“ und „Ohnmacht“ zu bekennen. Wer dazu nicht die Kraft habe und nach „Feindbildern“ suche, sei entweder dem links- oder dem rechtsradikalen Lager zuzuordnen. „Das macht“ für Tönnemann allerdings „keinen Unterschied. Beide Lager sind gleichermaßen widerlich.“
Die Kundgebung des Lübecker Bündnisses gegen Rassismus beginnt Sonnabend um halb elf. Die Polizisten in den am Rande des Platzes geparkten Wannen mampfen Schinkenbrötchen. Laufende Motoren demonstrieren permanente Einsatzbereitschaft.
Das Büro des Bündnisses gegen Rassismus befindet sich vis-à-vis der neuen Musik- und Kongreßhalle, die im stahlgläsernen Postmodernedekor vor sich hin glänzt. In der „Alternative“ gibt es Ökopuffer mit Apfelmus, abgewetzte Klubsessel und Grünpflanzen in geblümten Kochtöpfen. Christoph Kleine trägt allzeit sein Handy mit sich herum. Jetzt lugt es aus der Brusttasche seines flaschengrünen Jackets hervor. Der Dreißigjährige kann die Frage „Warum immer wieder Lübeck?“ nicht mehr hören. Viel interessanter sei, dem nachzuspüren, weshalb es so schwerfalle zuzugeben, daß es „faschistische Gewalt“ in Lübeck gebe.
„Mit dem Kirchenasyl wurde ein einfaches Zeichen der Menschlichkeit gesetzt, das zuerst die geistigen und dann die tatsächlichen Brandstifter provoziert hat“, versucht Christoph Kleine den jüngsten Kirchenbrand zu erklären. Zum Hintergrund für die Welle rechter Gewalt gehören für ihn neben den Stammtischparolen der Lübecker CDU die „fatalen Zeichen“, die Staatsanwaltschaft und Polizei im „folgenschwersten rassistischen Anschlag der BRD-Geschichte“ gesetzt hätten – er meint den Brand im Flüchtlingsheim an der Hafenstraße.
Damals habe man bewußt „alle Spuren, die auf Faschisten als Täter hindeuten, ignoriert“. Kleine, der die Romane Erich Mühsams schätzt, hält im übrigen Lübeck – was die rechte Szene anbetrifft – „für durchschnittlich“. Das tröstet momentan niemanden, dem die Stadt am Herzen liegt. Bis heute glauben viele Bürger der Stadt Heinrich und Thomas Manns, mit derartiger Durchschnittlichkeit nichts zu tun zu haben.
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