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Nur atmosphärisch ist alles im Lot

Hader um Bonner Haushaltslücken: Union offeriert Lösungen, die der FDP nicht passen  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die Spitzenpolitiker von Union und FDP beteuerten gestern, ihre Koalition sei nicht in Gefahr. In der Sache sind sie sich beim Krisengespräch vom Sonntag abend allerdings nicht nähergekommen. Finanzminister Theo Waigel will die Haushaltslöcher in zweistelliger Milliardenhöhe zum Teil durch Steuererhöhungen oder die unveränderte Beibehaltung des Solizuschlages stopfen. Die FDP lehnt dies kategorisch ab.

So blieb es anderen überlassen, die Stimmung anzuheizen: Der bayerische CSU-Fraktionschef Alois Glück betonte, die Lage der Bonner Koalition sei „so ernst und schwierig wie noch nie zuvor“. Zuvor hatte bereits der wirtschaftspolitische FDP-Sprecher, Paul Friedhoff, mit einem Koalitionsbruch gedroht. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle lehnte solche Gebärden gestern dagegen ab.

Die Teilnehmer des viereinhalbstündigen Gesprächs im Kanzleramt beschränkten sich in ihrer Bewertung vor allem auf die Gesprächsstimmung. Waigel betonte, es seien vernünftige Gespräche gewesen. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt lobte, „atmosphärisch sei das Klima der Koalition nicht gestört“. Zu inhaltlichen Fragen teilte Waigel mit: Die Koalitionäre seien sich „in den Analysen sehr nahegekommen“. Über Einigungschancen sagte er allerdings nichts.

FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle setzt voll auf ein Nachgeben der Union. Hoffnungsvoll stimmten ihn die Äußerungen von CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble im Focus. Auf die Frage nach einer Senkung des Solizuschlages hatte Schäuble geantwortet: „Wir haben eine klare Absprache.“ Diese besagt, daß der Solizuschlag 1998 um zwei Prozent gesenkt wird. Schäuble fragte zudem: „Wer sagt denn, daß die Union Steuern erhöhen will?“

Finanzminister Waigel hatte Sonntag abend hingegen bekräftigt, daß er Steuererhöhungen zum Stopfen der Haushaltslöcher nicht ausschließt. Zudem legte er eine Sparvorschlagsliste vor. Gedacht ist an eine Kindergeldkürzung sowie die Streichung von Subventionen für Landwirte und den Bergbau.

Die FDP will jedoch die jeweils zweistelligen Milliardendefizite für die Haushalte 1997 und 1998 vor allem durch eine „Privatisierungsoffensive“ beseitigen. Waigel solle sagen, wieviel Geld er durch Steuererhöhungen einplane, forderte Westerwelle. Diese Summe könne beispielsweise durch Privatisierung einiger der insgesamt 437 Unternehmensbeteiligungen des Bundes aufgebracht werden.

Einig sind sich Union und FDP, auf der Neubewertung der Goldreserven schon vor 1999 zu bestehen, die von der Bundesbank weiterhin vehement abgelehnt wird. Westerwelle betonte allerdings, daß für die FDP nur eine einvernehmliche Lösung mit der Bundesbank in Frage komme. Auch Bundeskanzler Helmut Kohl sprach sich für weitere Gespräche mit der Bundesbank aus. Waigel deutete gestern erstmals Kompromißbereitschaft an. Er wolle in den nächsten Tagen versuchen, mit den obersten Währungshütern in Frankfurt am Main eine Lösung zu finden.

Die Frage sei, von welchem Jahr an eine Neubewertung der Goldreserven durchgeführt werde. Waigel räumte ein, daß ohne eine Neubewertung bereits in diesem Jahr der Gesamtschuldenstand Deutschlands auf über sechzig Prozent des Bruttosozialprodukts steigen würde – womit das Maastricht-Stabilitätskriterium verfehlt würde.

SPD und Grüne erklärten sich gestern dagegen mit der Bundesbank solidarisch. Ihre Fraktionsspitzen Rudolf Scharping (SPD) sowie Kerstin Müller und Joschka Fischer von den Grünen kündigten einen Antrag an, demzufolge sich der Bundestag die ablehnende Stellungnahme der Bundesbank zu eigen machen soll. In einem zweiten Antrag soll der Bundeskanzler aufgefordert werden, Finanzminister Theo Waigel zu entlassen. Auf die Frage, wer denn der Nachfolger Waigels werden solle, gab sich Joschka Fischer ratlos. Aber: „Der müßte sich zumindest im Hütchenspiel auskennen.“

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