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Erstarrt zu Bronze

„H. Noack“, die wohl berühmteste Bildgießerei Deutschlands, feiert ihr 100jähriges Firmenjubiläum. Künstler gaben sich die Klinke in die Hand  ■ Von Rolf Lautenschläger

Es riecht nach Arbeit, nicht nach Kunst. Sand, Schamottetrümmer und Metallfetzen liegen auf der Erde. Schwere Maschinen brummen, Hämmer schlagen, Schweißgeräte schütten Lichtkaskaden aus. Glühende Bronze zischt blubbernd in Stahlrahmen. Es ist teuflisch heiß, und die Männer am Ofen, hinter silbrigen Gesichtsmasken versteckt, schwitzen. „Wir sind Handwerker“, sagt Hermann Noack IV. Laut sagt er das. Und etwas leiser, dafür aber bestimmt: „Natürlich haben wir zur Kunst ein spezielles Verhältnis. Anders geht das gar nicht.“

Das spezielle Verhältnis zur Kunst findet sich in den Werkhallen sowie auf dem Hof der „Bildgießerei Noack“. Aus Schweiß und Getöse hat sich dort ein Heer künstlerischer Modelle und Bronzeabgüsse namhafter Provinienz angesammelt, das wie ein Schatz aus Königsgräbern herumsteht: Moore-Plastiken, archaische Lüpertz-Figuren, der neue Hajek- Obelisk, Kolbe-Kopien und Teile von Grabreliefs. Dazwischen thronen ein röhrender Hirsch und ein „Gehender“, Körper, Köpfe und Figuren. Am Eingang zum kleinen Hof in der Varziner Straße in Friedenau steht der letzte Großauftrag: Willy Brand von Rainer Fetting – der Bronzeriese für die SPD- Zentrale. Sie alle bilden Erstarrungen einer Metamorphose, die als Gipsmodell beginnt und in Bronze endet.

Das Modell werde erst in einen Wachs- oder Sandmantel gepackt, so daß eine Negativform entsteht, erklärt Noack IV. Aus dieser wird eine zweite Positivform, „der Kern“, geformt, der etwas kleiner wird als der Mantel. Den Sandmantel mit Kern legt man dann in einen Formkasten und läßt die flüssige Bronze in den Zwischenraum fließen. Nach der Erstarrung klopfen die Handwerker den Sand ab und heraus kommt der Rohguß, der ziseliert, geglättet und schließlich mit Säuren chemisch patiniert wird. „An einer Skulptur arbeiten wir manchmal Wochen und Monate, je nachdem wie aufwendig die Abgüsse sind. Willy Brandt dauerte etwa zwei Monate“, sagt Hermann Noack IV.

Den neuen Bronzeriesen steht auf dem kleinen Werkhof der wohl berühmtesten Bildgießerei der Bundesrepublik eine alte Skulpturengeneration gegenüber, die zugleich die Geschichte der 100 Jahre alten Gießerei sowie ihrer Auftraggeber erzählt.

An „Treibgut“, das sich in den Jahren angesammelt hat, finden sich eine Bronzestatue aus der Nazi-Zeit, ein Breker-Kopf, zerteilte Monumentalplastiken, üppige Barockdamen und ein verkleinerter „Alter Fritz“ als Kopie. „Wir haben viel gemacht, was in Berlin und auch anderswo herumsteht“, betont Noack IV., „Bronzestatuen für den öffentlichen Raum, für Künstler und natürlich auch Restaurierungen“.

Daß Noack IV., der mit seinem Vater Hermann Noack III. den 100 Jahre alten Familienbetrieb leitet, da flapsig untertreibt, liegt in der Gewißheit des Erfolges. Den Noackschen Gußstempel tragen nicht nur die Quadriga, die Viktoria am Großen Stern, die Denkmäler, Wisente und die Amazone im Tiergarten oder die „Berliner Bären“ an Autobahnen und Brücken.

Als kongenialer Partner erwies sich die Gießerei besonders für Künstler, die ihre Modelle in Bronze verwandeln ließen. In der Werkstatt gingen Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck, Käthe Kollwitz und Bernhard Heiliger, Georg Kolbe, Edward Kienholz, Graham Sutherland oder Joseph Beuys ein und aus. Henry Moore ließ seine gesamten Goldgiganten hier formen. „Die Blütezeit der englischen Plastik“, so der junge Noack, „brachte uns nach dem Krieg einen Löwenanteil der Aufträge.“ Die Firma beschäftigt heute 25 Mitarbeiter. 1977 waren es noch 45.

Das Konzept des Firmengründers, Hermann Noack I., ab 1897 gemeinsam mit Künstlern zusammenzuarbeiten und die Bildhauer an sich zu binden, ist bis heute zwar Programm. „Hochzeiten der Gießerei gab es bei uns aber noch durch andere Auftraggeber“, sagt Noack III., der trotz seiner 66 Jahre Stahlträger über den Hof wuchtet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete die Gießerei besonders für die sowjetischen Besatzer. Der Rotarmist im Tiergarten entstand ebenso bei Noack wie die Skulptur in Treptow. „Die Russen wollten die Werkstatt erst demontieren“, erzählt der Alte. „Dann haben sie uns regelrecht unter Schutz gestellt.“

Zu einem Kriegsgewinnler anderer Art avancierte die Bildgießerei Noack in den 50er Jahren deshalb, gingen doch eine Fülle von Aufträgen für Restaurierungen und die Erstellung von Kopien ein. Zerschossene Skulpturen mußten ausgebessert, verschollene Plastiken ersetzt werden. Statuen wie der Große Kurfürst, der 1945 in der Havel versenkt worden war, konnte Noack II. erneuern und mit Patina wieder glänzen lassen.

Große Bronzestatuen verließen den Handwerksbetrieb noch in den 60er und 70er Jahren, als der Bund viel Geld für die Kunst im öffentlichen Raum ausgab. Noack IV.: „Dann machten die Jungen Wilden, Lüpertz und andere, noch viel. Was jetzt kommt, nenne ich die Zeit der künstlerischen Orientierungslosigkeit. Die Kunst hat keine bestimmte Zielrichtung, der Markt ist verunsichert – und das merken wir auch.“

Ab 15. Juni zeigt das Georg-Kolbe-Museum eine Ausstellung „100 Jahre Bildgießerei H. Noack“. Di. bis So. 10 bis 17 Uhr

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