: „Ich hab' natürlich geübt“
Du und dein Abgeordneter: Die ganze Wahrheit über Farid Müller, den ersten schwulen GAL-Parlamentarier. In seinem Wohnzimmer saß ■ Silke Mertins
Beim Anblick des Treppenhauses ist man auf das Schlimmste gefaßt. Halbverputzte Kabel, staubige Treppen, abblätternde Farbe. Während Stufe um Stufe bis in den fünften Stock erklommen werden muß, wünscht man dem zukünftigen grünen Bürgerschaftsabgeordneten Farid Müller von Herzen, der nach Handwerkern schreiende Zustand möge sich nicht in seiner Wohnung fortsetzen. Auf die vielen großzügig geschnittenen, hellen Räume hinter der schäbigen Eingangstür ist man dennoch nicht gefaßt.
„Nein, nein, ich wohne nicht alleine hier“, beruhigt Farid. Sein Mitbewohner – „nicht mein Freund“– ist aushäusig. Wir haben das Wohnzimmer, die Couchgarnitur und den angrenzenden Balkon mit Blick über die Dächer ganz für uns allein. „Was zu trinken?“Farid geht in die Einbauküche, Kaffe kochen. Dann legt er los.
Ach Gott, war das alles aufregend. Auf der GAL-Mitgliederversammlung „den Heten zu erzählen, warum ich schwulesbische Politik voranbringen will“, hat ihn „tierisch nervös“gemacht. Und dann noch die Angst, daß seine Konkurrentin auf Platz acht, ebenfalls Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Lesben und Schwule, „eine gute Rede hält“. Tat sie nicht. Farid flogen die Stimmen zu. „Ich hatte vorher natürlich auch geübt.“Nicht vor dem Spiegel, schwört er, sondern vor den Mitgliedern der LAG.
Wie fing überhaupt alles an? Da muß Farid ausholen und tut es gerne. Damals 1994 bei den Gay Games in New York. Also, da muß er mal schnell die Fotos holen. Diese Massen! So viele auf einmal! 1,3 Millionen Lesben und Schwule auf einen Haufen! War das toll! „Und dann kam ich nach Hamburg zurück, und der Christopher-Street-Day fiel aus. Es gab nicht mal ein blödes Straßenfest.“Doch Herr Müller wäre nicht Herr Müller, wenn er das auf dieser Stadt hätte sitzen lassen. „Das konnte ja schließlich nicht so bleiben.“Man blamiert sich ja praktisch vor aller Welt. Letztes Jahr kamen schon 10.000 Lesben und Schwule zur Parade.
Die Sache läuft, nun will Farid sich das hohe Haus der VolksvertreterInnen vorknöpfen. Die GAL hat in der derzeit zu Ende gehenden Legislaturperiode weder einen gleichgeschlechtlich liebenden, noch einen eingewanderten Abgeordneten in ihrer Bürgerschaftsfraktion. „Aber komischerweise klappt die Stellvertretergeschichte bei der Ausländerpolitik besser.“Bei den schwulesbischer Anliegen mangele es wohl an „innerem Engagement“, ein „Reformstau“sei entstanden. Und so kam die LAG zu dem Schluß, „daß wir es wohl selber machen müssen“.
Betroffenheitspolitik? „Überhaupt nicht“, will Farid davon kein Wort hören, „ich fühl mich nicht betroffen.“Wie, gar nicht schwul? Farid stöhnt. So lustig ist das nun auch wieder nicht. „Es geht knallhart um Interessen“, und er wolle sich „nicht in die weichen Politikfelder abschieben lassen“. Neben Schwulesbenpolitik will er Schwerpunkte bei Medien und Wirtschaftspolitik setzen. Da kennt er sich aus, das ist sein Job.
„Strategisches Verkaufsmanagement“nennt sich die Tätigkeit, mit der Farid sich den Tag vertreibt. Er versucht Unternehmen davon zu überzeugen, daß es sich lohnt, im Radio zu werben. Angefangen hat der Betriebswirt eigentlich im Printbereich, „beim Tango“. Erst zehn Jahre ist es her, als man alles noch von Hand layoutete und „ich meine gestalteten Anzeigen hinterher dazwischen geklebt habe“.
Präsentationen für Kunden, das „kann ich“. Aber eine Rede vor 121 Bürgerschaftsabgeordneten, SenatorInnen und den argusäugigen MedienvertreterInnen halten, da könnten schon die Nerven flattern. Obwohl: „Als ich den Innensenator Hartmuth Wrocklage neulich zur Ausländerbehörde habe herumstammeln hören ...“. Farid schwankt beim Gedanken an die parlamentarische Arbeit „zwischen Aggressivität gegen die, die etwas gegen Leute wie mich haben, und dem Anliegen, offen auf Leute zuzugehen“. Wut auch auf versteckt lebende PolitikerInnen der anderen Parteien.
Immerhin wird Farid bei der SPD mit dem Schwuso Lutz Kretschmann, derzeit Wahlkampfleiter und auf sicherem Listenplatz, einen Mitstreiter haben. Doch ob der viel machen darf ... Farid ist skeptisch. Er rechnet sogar damit, daß es bei seinen eigenen GALiern „Machtkämpfe“geben wird. Von einer grünen Regierungsbeteiligung erwartet er nicht nur eine schwulesbische Behörde – „Ein ,Referat' oder einen Beauftragten hat ja jeder“–, sondern auch die Einführung der „Hamburger Ehe“für Schwule und Lesben. Letztlich käme es zwar auch auf das „Gesamtpaket“an, aber „die GAL kann es sich nicht leisten, mit leeren Händen aus den Verhandlungen herauszukommen“.
Farid selbst hat noch keine Trauringe in der Nachttischschublade. „Ich möchte es aber tun können.“Falls man einmal von dem Für-immer-und-ewig-Gefühl übermannt wird. Denn sehr romantisch fing auch seine eigene Geschichte an. Der großen Liebe wegen ging seine gerade volljährig gewordene Mutter nach Kairo. Als Nasser die Macht übernahm, flohen die Eltern mit ihrem zweijährigen Sohn zurück nach Deutschland. Farids Vater war 1968, als der Sechs-Tage-Krieg ausbrach, nur zu Besuch in Ägypten. Er wurde eingezogen und fiel. Die Mutter heiratete in zweiter Ehe Herrn Müller aus Bremen, der den kleinen Farid adoptierte.
Der heute 35jährige hat nichts gegen den Namen. Ägypten „ist für mich eine fremde Welt“, wo „ich nichts zu suchen habe außer als Tourist“. 1990 war er dort und stellte fest, daß er „weder zu den Menschen, noch zu dem Land eine emotionale Bindung aufbauen“konnte. Viel näher sind ihm die Vereinigten Staaten. „Ach, San Francisco ...“sagt er und seufzt. Zur Not würde er aber auch nach „St. Gayorg“ziehen. Schließlich gibt's hier in Hamburg soviel zu tun. Und so lasset uns denn die Bürgerschaft stürmen.
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