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Strahlung ohne Kontrolle

■ Für neues Handy-Netz sollen 25 Stationen installiert werden. Keiner fühlt sich zuständig für eventuelle Folgen durch Elektrosmog. Gesundheitsverwaltung: "Politisches Versäumnis"

Irgend jemand stieg Norbert Möller aufs Dach. Techniker gingen so selbstverständlich durch die Luke nach oben, als sei es ihr Haus. Möller beobachtete die Montage eines meterlangen Eisengestells. „Und dann kamen Schaltschränke.“ Schließlich fand Möller einen Zettel im Flur seines Schöneberger Mietshauses, doch der beruhigte ihn wenig: Was auf dem Dach installiert wurde, sei eine Sendestation des neuen Handy-Netzes E2. Seither fürchtet Möller die ungebetenen Handwerker um so mehr. Bringen sie gefährlichen Elektrosmog?

25 solcher Basisstationen für das neue Mobilfunknetz E2 sollen in einem Pilotprojekt bis Mitte September in der Stadt installiert werden. Es ist das vierte Netz nach D1, D2 privat und e-plus. Betrieben wird es von der Münchner Viag Interkom, der British Telecom und der norwegischen Telenoir. 1998 sollen erste Telefonate möglich sein. Laut Viag-Sprecher Michael Rebstock könne man derzeit nicht sagen, wo Techniker wem aufs Dach steigen. „Das geht jetzt erst Schlag auf Schlag“, sagte er. Bis Ende April sollen in Berlin 300 Sendestationen stehen.

Für den Mieter Möller Anlaß zur Sorge: „Wir wollen ein amtliches Schreiben, daß auf unserem Dach keine gefährliche Strahlung entsteht.“ Doch er hat keine Behörde gefunden, die ihm so eine Bescheinigung schicken könnte. Er fragte das Schöneberger Umweltamt um Rat. Doch das verwies in einem Brief nur auf diverse Verordnungen. „Näheres ist uns leider nicht bekannt“, erfuhr Möller.

Der Grund des behördlichen Unwissens: Nachdem das Bundespostministerium dem Netzbetreiber im Februar eine Lizenz erteilt hatte, konnte dieser ohne weitere Genehmigung die Standorte für seine Sender suchen. Zwar muß das Bundespost- und Telekommunikationsamt den 12-Watt-Sendern bescheinigen, daß ihre Strahlung innerhalb vorgeschriebener Grenzwerte liegt — allerdings erst wenn der Betreiber die Sender schon errichtet hat.

„Die Betreiber schaffen Tatsachen“, kritisiert Jan Rosseck von der Senatsverwaltung für Gesundheit. Für ihn ist es ein „politisches Versäumnis“, daß die Behörden nicht genauer wissen, wo in ihrer Stadt derartige Sender strahlen. Ein Elektrosmog-Kataster existiert nicht. Ein über ABM-Mittel finanziertes Projekt in Pankow wurde nicht fortgesetzt. „Ich weiß gar nicht, wo die neuen Anlagen installiert werden“, klagt Rosseck. Dabei gebe es Grund genug, die hochfrequenten Sender im Auge zu behalten.

In der wissenschaftlichen Diskussion wird nicht ausgeschlossen, daß sie die Hirnströme beeinflussen, das Gewebe erwärmen oder auch Krebs mitverursachen können. Doch auch Befindlichkeitsstörungen könnten durch den sogenannten Elektrosmog verursacht werden. „Wieviel tausend Leute in der Stadt an Kopfschmerzen und Schlafstörungen leiden, ist nicht zu recherchieren“, sagt Rosseck. Sendeanlagen möchte er als Ursache nicht ausschließen.

Auch das zuständige Bundespostamt kann keine Auskunft über die Zahl der Basisanlagen der Mobilfunknetze geben. Das könne nicht recherchiert werden, gibt Sprecher Werner Hugentobler zu. Die Anlagen werden zwar kurz vor ihrer Inbetriebnahme bei den Umweltämtern der Bezirke angezeigt. Deren Fachaufsicht hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt und Technologie. Doch ihr Sachbearbeiter Rainer Lüdker sieht keinerlei Notwendigkeit, die Bürger über die Sendeanlagen in der Stadt zu informieren: „Es wird Ihnen ja auch keiner Angaben darüber geben, wie viele Hunde es in der Nachbarschaft gibt.“

Für Irene Wagner sind solche Vergleiche blanker Hohn. Die Sprecherin des Arbeitskreises Elektrosmog des BUND hält die Grenzwerte für die Basisstationen für „Instrumente, die den Bürger machtlos machen“. Mietern wie Norbert Möller rät die Umweltschützerin: „Er sollte ausziehen, um sich aus dem Gefahrenbereich herauszuhalten.“ Basil Wegener

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