■ Abschied von einer Insel? Nach dem Vulkanausbruch im Juni möchte die britische Regierung die Karibikinsel Montserrat unbewohnbar machen. Krankenhäuser mußten schließen, die Bewohner sollen evakuiert werden. Diese aber wehren sich: Keine Po
Abschied von einer Insel? Nach dem Vulkanausbruch im Juni möchte die britische Regierung die Karibikinsel Montserrat unbewohnbar machen. Krankenhäuser mußten schließen, die Bewohner sollen evakuiert werden. Diese aber wehren sich
Keine Postkarte aus Montserrat
Mit den Kolonien hat man nichts als Ärger. „Wir sind praktisch im Kriegszustand mit der britischen Regierung“, sagte ein Regierungsbeamter der zu Großbritannien gehörenden Karibikinsel Montserrat, „aber nicht mit dem britischen Volk. Die Menschen verstehen, wie es wäre, wenn man sie zwingen würde, die Britischen Inseln zu verlassen.“
Die Labour-Regierung ist fest entschlossen, die Insel räumen zu lassen, seit der Vulkan Soufrière Hills im Juni sieben Dörfer begraben und 19 Menschen getötet hat. Von der Hauptstadt Plymouth ist kaum noch etwas übrig. London stützt sich auf einen Bericht britischer Wissenschaftler, wonach ein erneuter massiver Ausbruch bevorstehe, der die ganze Insel zerstören könnte.
Um diesen Bericht ist ein heftiger Streit entbrannt. Die Wissenschaftler, die den Bericht erstellt haben, werfen der Regierung vor, ihn falsch zu interpretieren. Die Gefahr, die von dem Vulkan ausgeht, sei von den Politikern maßlos übertrieben worden, sagte Professor Stephen Sparks von der Universität Bristol. Der Norden der Insel sei völlig sicher.
Hinter der Evakuierungsfreudigkeit der britischen Regierung stecken denn auch andere Erwägungen. Zwar hat man öffentlich erklärt, daß die Insel samt neuer Hauptstadt im Nordteil wieder aufgebaut werden soll. Die US- amerikanische Baufirma Brown and Root teilte jedoch mit, die britische Regierung habe den Bauauftrag für Häuser im Norden gestoppt. Schließlich hat die Labour- Regierung die Ausgabepolitik der Tories komplett übernommen. Es ist allemal billiger, die Menschen aus Montserrat zu evakuieren, als ihnen eine neue Stadt zu bauen.
Christoph Columbus hatte die 106 Quadratkilometer große Insel bei seiner zweiten Reise nach Amerika 1493 entdeckt. Weil sie ihn an die Landschaft um das Kloster Montserrat bei Barcelona erinnerte, gab er ihr diesen Namen. Bei den indianischen Ureinwohnern hieß die Insel Alliouagana, das „Land der stacheligen Büsche“. 1632 kamen die ersten Siedler: irische Katholiken, die von der britischen Regierung als Sklaven in die Karibik verschleppt worden waren und nach ihrer Freilassung vor religiöser Intoleranz der Protestanten nach Monserrat flüchteten. 1648 lebten bereits tausend irische Familien auf Montserrat, aber auch aus anderen britischen Kolonien kamen Siedler auf die Karibikinsel. Noch heute gibt es dort über 300 irische Familiennamen, verschiedene Orte sind nach Städten auf der Grünen Insel benannt.
Neben den Erträgen aus dem Baumwoll- sowie dem Obst- und Gemüseanbau, lebten die Bewohner zum Teil von US-amerikanischen Rentnern, die in ihren Villen das Karibikklima genossen. „Hugo“ machte dies alles 1989 zunichte. Der Orkan richtete schwere Verwüstungen an. Dann kam Soufrière Hills: Der Vulkan erwachte im Juli 1995 zu neuem Leben, seitdem kam es immer wieder zu kleinen und mittelschweren Eruptionen – bis zu jenem fatalen Ausbruch im Juni. 7.000 Menschen haben die Insel in den vergangenen zwei Jahren verlassen. Die übrigen 4.000 sind in die Nordhälfte umgesiedelt worden.
Und dort wollen sie bleiben, solange die britische Regierung die angebotene Entschädigung nicht erhöht. 2.500 Pfund, umgerechnet rund 7.500 Mark, sollen diejenigen bekommen, die die Insel freiwillig verlassen. „Unsere Leute haben alles verloren, was sie besaßen“, sagte David Brandt, der vorigen Freitag als Premierminister vereidigt wurde, nachdem sein Vorgänger Bertrand Osborne aufgrund von Protestdemonstrationen wütender Inselbewohner seinen Hut nehmen mußte. „Die britische Regierung will uns zwingen, zwischen dem Elend und dem Ungewissen zu wählen.“ Nur 16 Einwohner tauchten am Wochenende auf dem Zerstörer der Marine auf, den die Londoner Regierung für die Evakuierung geschickt hatte.
Entwicklungshilfe-Ministerin Clare Short warf den Menschen von Montserrat Geldgier vor und höhnte, daß sie demnächst wohl goldene Elefanten verlangen würden. Einen Besuch auf der Insel lehnte sie ab, dringende Angelegenheiten in Afrika und Asien wären zu erledigen. Statt dessen will sie ihren Stellvertreter George Foulkes schicken, doch der ist auf Montserrat nicht willkommen: Er war es, der den wissenschaftlichen Bericht über Soufrière Hills in ein Horrorszenario umgedichtet hat. Vorgestern hat sich das britische Außenministerium eingeschaltet und erstmal einen Ausschuß mit Vertretern aus sechs Ministerien gebildet. Die Menschen auf Montserrat fürchten jedoch, daß man sie vor vollendete Tatsachen stellen und die Insel unbewohnbar machen will. Eine der beiden Banken hat vorige Woche bereits dichtgemacht, die einzige Versicherung will sämtliche Verträge kündigen, es gibt nur noch eine Apotheke, der einzige Zahnarzt hat die Insel am Wochenende verlassen, und die britische Regierung hat das letzte Krankenhaus geschlossen.
Am 15. September gibt es in London ein Solikonzert für Montserrat. Neben dem karibischen Calypso-Star Arrow treten Eric Clapton, Sting und Paul McCartney auf. Briefmarken der Montserrat-Post mit Porträts von Jerry Garcia, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Elvis Presley sollen ebenso Geld einbringen – falls dann überhaupt noch jemanden Ansichtskarten aus Montserrat schickt. Ralf Sotscheck
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