: Wer will nach Tadschikistan?
Ein Verein abgewickelter DDR-Diplomaten laviert zwischen Vergangenheitsaufarbeitung und dem Versuch, sich in die aktuelle Bonner Außenpolitik einzubringen ■ Von Gunnar Leue
Doktor Hans Voß war in seinem Leben oft in wichtiger Mission unterwegs. Er war DDR-Botschafter in Rumänien und Italien, danach seit 1985 Leiter der DDR-Delegation zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Wien sowie bei diversen KSZE- Expertentagungen. Jene zum Mittelmeer 1989 in Palma de Mallorca konnte er freilich nicht mehr bis zum Schluß verfolgen. Nach 14 Tagen mußte er die Koffer packen, da zu Hause gerade die Existenz seines Staates offiziell beendet wurde. Hans Voß fühlte sich von den Ereignissen in der DDR gleichwohl „nicht überrollt“, wie der 66jährige heute sagt. Seit Ende '89 sei ihm „klar gewesen, daß das Ende irgendwann vor der Tür steht. Wohingegen ja viele Kollegen immer noch die Hoffnung hatten, von der neuen Regierung irgendwie weiter gebraucht zu werden.“ Ein naiver Wunsch, sagt er, hätte die Bundesrepublik doch schon vor der Vereinigung am 3. Oktober 1990 die DDR-Dipolmaten bei den KSZE-Verhandlungen am liebsten gegen eigene ausgetauscht. „Aber da hat der de Maizière nicht mitgespielt.“
Heute beschäftigt sich der Exdiplomat wieder intensiv mit dem Bereich „Deutsche Außenpolitik“ – in einem Verein. Der nennt sich Verband für Internationale Politik und Völkerrecht e. V., ist aber mehr als „Diplomaten-Verein“ bekannt, weil ihm ein illustrer Kreis ehemaliger DDR-Botschafter, Gesandter, Konsuln und Mitarbeiter des Außenministeriums angehört.
Die treffen sich regelmäßig in einem Wohngebietsklub im Berliner Bezirk Mitte. Immer vormittags um zehn, denn die meisten von ihnen sind Rentner, Vorruheständler, oder – wenn noch zu jung dafür – arbeitslos. Rund 250 Mitglieder zählt der 1990 gegründete Verein, aber nur 30 bis 40 finden sich gewöhnlich ein, wenn es in Vortags- und Diskussionsrunden um den aktuellen Stand im OSZE- Prozeß, die Nato-Osterweiterung oder um die Situation in der GUS geht.
Der Verein hegt große Ziele, er will sich für die „Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten“ sowie für die „Schaffung einer friedlichen Welt und Durchsetzung der Menschenrechte“ einsetzen. Es klingt wie aus einem Staatsbesuch-Komuniqué, in dem die rauhe Realität nett umschrieben wird. Was insofern angemessen ist, als der Verein selbst in einem widersprüchlichen Verhältnis zwischen seinem Anspruch und der Realität lebt.
Ingrid Muth, die als Journalistin im DDR-Außenministerium einst Argumentationshilfen für die Botschaften mitverfaßte, räumt denn auch ein: „Wir können und wollen keine Außenpolitik machen, aber Erfahrungen vermitteln und dafür sorgen, daß der Friedensgedanke nicht verlorengeht.“ Und sie verweist auf Veranstaltungen wie jene zum deutsch-tschechischen Verhältnis. Natürlich wisse sie auch, „daß es schnurzegal ist, ob es uns gibt oder nicht“.
Den Mitgliedern ist das freilich weniger egal. Die wußten 1990 wie viele Abgewickelte nicht, wohin mit sich und ihrer nicht mehr gebrauchten Erfahrung. Also gründeten sie einen Verein. „Wir wollen kein Nostalgieverein sein“, sagt Ingrid Muth, „sondern uns einbringen.“ Laut Vereinssatzung sogar „in die wissenschaftliche Debatte über die Anforderungen an die deutsche Außenpolitik von heute“.
Das Problem ist nur, daß von den Leuten, die in Bonn an der praktischen Außenpolitik basteln, niemand was einholen will. Der ehemalige DDR-Botschafter in Albanien durfte zwar kürzlich als Wahlbeobachter mit ins Balkanland, aber dazu hätte sich auch jeder andere bewerben können. Ein anderes Vereinsmitglied war in Bosnien, ein weiteres vor kurzem in Tadschikistan. „Na ja, wer will vom Auswärtigen Amt auch schon nach Tadschikistan?“ sagt Hans Voß dazu.
Er wird es wissen, denn ein bißchen kennt er die Bonner AA- Leute schon. Mit einigen West- Kollegen hätte er sich in 80ern, wo doch das Hauen und Stechen nach dem Kalten Krieg längst vorbei gewesen sei, gar geduzt. Und mit manchen träfe er sich noch heute. Zwei ehemalige Westdiplomaten (Namen bleiben ungenannt) sind sogar Mitglied im Verein. Referate hielten zudem der ehemalige Jugoslawien-Botschafter der Bundesrepublik, Horst Grabert, wie auch Günter Gaus, einst Bonns Ständiger Vertreter in Ost-Berlin. Nur aktive AA-Leute lassen sich kaum blicken.
Immerhin erschien jüngst Dr. Bernd Fischer, von der Kinkel-Behörde als Protokollchef des Berliner Senats abgestellt, um einen Vortrag über die Geschichte der Diplomatie in Berlin zu halten und die frohe Kunde zu übermitteln, daß er dies mit ausdrücklicher Zustimmung des Regierenden Bürgermeisters Diepgen täte. Fischer findet es „vernünftig“, daß die alten DDR-Kollegen nicht ausgegrenzt würden, schließlich kämen da „Personen mit großem Wissen über die Welt zusammen, mit denen man gern auch mal kommuniziert“.
Mit dem Anspruch des Vereins hat der AA-Angestellte Fischer ebenfalls kein Problem: „Es ist gut, wenn sich möglichst viel in Deutschland vorhandener Sachverstand in die deutsche Außenpolitik einbringt.“ Daß man auf ihre Erfahrungen ruhig zurückgreifen solle, ist Balsam für die Ohren der Diplomatie-Veteranen. Ein ehemaliger DDR-Protokollchef fühlt sich denn auch zum Dank für den „sachlichen Vortrag“ Fischers gedrängt. Wird man doch sonst mehr als Ostalgieverein frustrierter Altkader abgestempelt.
Um dem Verein diesbezüglich nicht noch mehr zu schaden, hatte beispielsweise Oskar Fischer, letzter DDR-Außenminister unter Honecker, lange mit seiner Mitgliedschaft gezögert. Er kommt auch selten zu den Veranstaltungen.
Anders Heinz-Dieter Winter, Fischers Vize in den 80ern. Als Nahostexperte beteiligt sich der Ex-DDR-Botschafter in Syrien aktiv am Vereinsleben und an der Vergangenheitsaufarbeitung der DDR-Diplomatie. „Außenpolitik war immer Parteipolitik“, erklärt er im Rückblick und räumt ganz nebenbei mit der Legende von der totalen Hörigkeit gegenüber dem großen Bruder auf: „Trotz der engen Konsultationen mit der UdSSR war die DDR kein abhängiger Befehlsempfänger.“
Zugleich beklagt er in einem Vortrag über die Nahostpolitik der DDR die vertanen Chancen der neuen BRD für ein ausgewogenes Verhältnis zu den arabischen Staaten und Israel. Daß die von den DDR-Diplomaten geleistete Arbeit mit dem Ende der DDR absolut für die Katz war, spürt die alte Ostelite bis heute. Vereinschef Prof. Bock, Chefunterhändler der DDR bei der KSZE-Konferenz in Helsinki 1975, gesteht: „Manche in Bonn haben doch Probleme mit uns.“
Bei denen gelten sie als Ewiggestrige, die ihren Karrierebruch nicht verschmerzen. Das ärgert auch Ingrid Muth. Sie räumt jedoch ein, daß die Vergangenheitssicht der Mitglieder sehr verschieden ist. So sähen einige im ehemaligen Präsidenten Gorbatschow nur den Verräter, der dem Klassenfeind zum Sieg verhalf. Und nicht jeden interessiere die Selbstbefragung, die Ingrid Muth als Grundlage für die Existenz des Vereins bezeichnet: „Warum haben wir eigentlich so gehandelt?“
Eine Mitgliederumfrage, die sie für ein Forschungsprojekt der VW-Stiftung zur Geschichte und Funktion der DDR-Außenpolitik durchführte, offenbarte jedenfalls erstaunliche Selbstreflexionen. Nicht einmal jeder zehnte empfand seinen Job im Vergleich zur sonstigen DDR-Bevölkerung als privilegiert.
Was freilich nicht verhinderte, daß sie nach der Vereinigung in den großen Topf mit den besonders „Systemnahen“ kamen, die dafür mit Rentenkürzung zu büßen haben (wogegen sich die Ex-diplomaten mit Protestresolutionen an den Bundestag auflehnten). Es war die zweite elementare Demütigung der einstigen Elitebeamten nach dem totalen Karrierebruch. Von den 1.786 Angestellten im Auswärtigen Dienst der DDR, die sich „mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 im Wartestand“ befanden, hatten sich 468 (inklusive technischer Mitarbeiter) beim Bonner AA um eine neue Stelle beworben. Eingestellt wurden zehn.
Nirgendwo in Osteuropa ist die Berufsgruppe infolge des Machtwechsels so komplett ausgetauscht worden. Woher sollten da die Neuen auch kommen?! Da ist es für die Ex-DDR-Diplomaten oft um so bedrückender, daß in etlichen Berliner Botschaftsaußenstellen weiterhin viele Exkollegen tätig sind, die früher noch enge Verbündete im diplomatischen Einsatz für die Sache des Sozialismus waren.
Aber die Bruder- Genossen von einst sind nicht überall vergessen. Wo persönliche Bindungen weiterbestehen, sind die Ostdeutschen auch heute gern gesehene Gäste auf Empfängen, zum Beispiel in der russischen Gesandtschaft. Inzwischen gibt es sogar das Angebot vom Berliner Senatsprotokoll, bei Staatsbesuchen ostdeutsche Ex- botschafter künftig einzuladen. Als nämlich Nelson Mandela vor einiger Zeit Berlin besuchte, wollte er sich ausdrücklich mit den Ostlern treffen, aus alter persönlicher Verbundenheit.
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