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Der Stromkunde wird König, wenn er nur groß genug ist

■ Bundestag beschließt neues Energierecht, das Großkunden bevorzugt. Kosten für Lieferung von Strom bleiben ungeregelt. Opposition will vor Verfassungsgericht klagen

Berlin (taz) – „Die heutige Entscheidung ist von entscheidender, ich möchte fast sagen historischer Bedeutung“ – so zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) gestern im Bundestag vom neuen Energiewirtschaftsgesetz tief aufgewühlt. Die Regierungskoalition beschloß die Liberalisierung des deutschen Strom- und Gasmarktes.

Im Prinzip kann damit jeder in Zukunft seinen Strom- und Gasversorger frei wählen. Die bisherigen Gebietsmonopole vor allem der Stromkonzerne, aber auch der kleinen Stadtwerke gelten nicht mehr. Sowohl die SPD als auch die Bündnisgrünen kündigten gestern ihren Widerstand gegen den Alleingang der Bundesregierung an. Die Koalition in Bonn ist der Meinung, daß das Gesetz die Angelegenheiten der Länder nicht berührt. Damit wären diese im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. „Sie können davon ausgehen, daß wir uns das nicht gefallen lassen“, sagte der SPD- Abgeordnete Volker Jung. Die Opposition werde ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anstreben. „Dann hängt zwar das neue Gesetz bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts in der Luft“, bedauert Michaele Hustedt, Energiesprecherin der Bündnisgrünen. „Aber wenn die Bundesregierung nicht kompromißbereit ist, bleibt den Ländern nichts anderes übrig.“ Wirtschaftsminister Rexrodt sah gestern nur wenige Chancen für eine Klage: „Innen- und Justizministerium haben das eingehend geprüft.“

Daß die Energiemonopole aufgehoben werden sollen, ist auch bei der Opposition unstrittig. „Das alte Gesetz ermöglichte den Stromkonzernen, jeglichen Wandel in Richtung Umweltverträglichkeit zu verhindern“, so Michaele Hustedt. Allerdings haben ihrer Meinung nach die Stromkonzerne einen Vorsprung im künftigen Wettbewerb: „Wenn neue, heute noch schwache Marktteilnehmer nicht gestärkt werden, steht eine Konzentrationswelle mit neuer Monopolwirtschaft bevor.“ Treffen würde das besonders umweltfreundlich produzierende Stadtwerke und die Erzeuger von regenerativen Energien.

Strittiger Punkt ist auch die Durchleitung fremden Stroms durch das Gebiet der bisherigen Versorger. Dafür wird eine Gebühr fällig. Wenn die Konzerne diesen Obolus zu hoch ansetzen, wird der Strom von entfernten Versorgern so teuer, daß ihn keiner haben will – das alte Monopol wäre zwar per Gesetz aufgehoben, über den Preis allerdings bestünde es weiter.

Die Bundesregierung hat sich geweigert, die Durchleitung per Verordnung zu regeln. Sie baut auf eine freiwillige Vereinbarung zwischen den Kraftwerksbesitzern und der stromverbrauchenden Industrie. Nur wenn es zu keiner Einigung kommt, will Rexrodt eine Verordnung erlassen.

Alfred Richmann, Energiefachmann beim Deutschen Industrie- und Handelstag, sieht die Verhandlungen gelassen. „Selbst wenn es noch ein paar Jahre dauern sollte, bis der Energiemarkt wirklich liberalisiert wird – was ist das gegen die Jahrzehnte, die das alte Gesetz in Kraft war?“ Außerdem baut Richmann auf den Druck der Europäischen Union. Die EU schreibt vor, daß Strom und Gas bis spätestens Februar 1999 freigegeben werden. „Wenn das Energiewirtschaftsgesetz bis dahin nicht umgesetzt ist“, so Richmann, „kann jeder Kunde die Bundesregierung auf Schadensersatz verklagen wegen zu hoher Strompreise.“ Denn mit der Liberalisierung sollen die Preise fallen – nach Meinung des Verbandes der Energieabnehmer um mindestens 20 Prozent.

Für kleine Geschäfts- oder Privatkunden bleibt das Vorgehen unbefriedigend. Ihnen kann es passieren, daß sie sich die Durchleitung erklagen müssen, wenn ihr Energieversorger hart bleibt und eine gesetzliche Regelung fehlt. Reiner Metzger

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