: Wissenschaft oder Beruf
■ Universitäre Paradoxie: Die Studenten leiden an der Praxisferne der Universitäten, doch verteidigen sie das humboldtsche Bildungsideal
Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre erhoben werden. Und zwar für beide Seiten: Für die technokratischen „Reformer von oben“ wie für jene, die allzu beharrlich glauben, ausschließlich für die kritische Rolle der Universität kämpfen zu müssen.
Damit kein Zweifel aufkommt: Die deutsche Universität leidet nicht nur am Verlust ihrer intellektuellen, ihrer kritischen Potenz. Ihr Manko ist auch und vor allem, daß sie alle 1,8 Millionen Studierenden zu Professoren ausbilden will. Das verstößt gegen das legitime Interesse von 80 Prozent der StudentInnen.
Der das nüchtern und unaufgeregt konstatiert, heißt Hans Werner Rückert und arbeitet als Diplompsychoanalytiker an der Freien Universität (FU) Berlin. Das Interview mit Rückert ist eines von zehn „Streitgesprächen zur Hochschulreform“, die ein Autorenkollektiv mit so interessanten Personen wie dem Philosophen Jürgen Mittelstraß, dem intellektuellen Tausendsassa Michael Daxner sowie den ost-westlichen StudentenvertreterInnen Jochen Geppert und Jana Schütze geführt hat.
Auf 178 Seiten handelt „unternehmen universität“ alle Aspekte ab, die in der aktuellen Debatte eine Rolle spielen: Soll eine Uni wie ein oder als Wirtschaftsbetrieb geführt werden? Welche Rolle spielen Frauen an den Hochschulen? Was hat Uni noch mit Gesellschaft zu tun? Etc.
Rückert aber informiert aus einer grob vernachlässigten Perspektive: Wer studiert da eigentlich in der Massenveranstaltung namens Universität? Und was wollen die streikenden Studenten eigentlich? Rückert kann diese Fragen direkt von der Couch beantworten. Er arbeitet in der psychologischen Studienberatung der FU.
Nur der erste Befund des 47jährigen Psychoanalytikers kann beruhigen. Nein, die Verhältnisse an der Universität sind noch nicht so schlimm, daß sie krank machen. „Man kommt nicht weiter, wenn man sagt, die Mißstände an den Unis seien so pathogen, daß sie Neurosen erzeugen. Die in der Universität erlebten Krisen, die der Aufnahme, des Sich-Durchwurstelns, des Geprüftwerdens wie des Hinausgeworfenseins seien prinzipiell wichtig. Das Studium, so Rückert, „ist vielmehr eine spätadoleszente Lebensphase, in der sich etwas umwälzt, neuordnet, und in der neue Fähigkeiten entwickelt werden“. Selbst die Wirtschaft erwarte, daß die von ihr Angeheuerten Krisen meistern können.
Die gute Nachricht, „daß die Studierenden generell psychisch gesünder sind als der Durchschnitt der Bevölkerung“, kann allerdings kaum beruhigen. Folgt ihr doch die schlechte Nachricht, daß nicht wenige der KommilitonInnen leiden.
Dazu zählen viele Frauen. Sie treffen in der Universität auf ein männlich dominiertes Gebilde (96 Prozent der C 4-Professoren sind Männer) und ein männlich strukturiertes Prinzip: Wissenschaftlichkeit. Während Studenten sich ihm in der Regel aktiv zupackend stellen und ihre Zweifel „herunterwürgen“, geht es Studentinnen häufig ganz anders. Bei ihnen wandelt sich der Zweifel eher in Selbstzweifel. Doch die werden an der Uni nicht honoriert. Im Gegenteil. Denn der nicht nur methodisch wichtige Impuls, das Neue zunächst einmal nicht zu verstehen und dies sich wie den anderen fragend einzugestehen, ist im Seminar „verpönt“. Wolf Wagner hat das bereits vor zwanzig Jahren treffend in seinem gleichnamigen Buch als Uni-Bluff gekennzeichnet.
Zu den Leidenden gehören auch die AssistentInnen. Eingeklemmt zwischen den eigenen Ansprüchen an die Promotion und den vielfältigen und miserabel bezahlten Dienstleistungen für die Professoren, geraten sie in „zerrüttete Doktorvater-Doktortochter- Verhältnisse“. Sie erleben das aufstiegsbedingte Mobbing oder erfahren, daß ihnen Großes in Aussicht gestellt und wenig davon eingehalten wird. Zudem ist die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter dem aktuellen Kürzungsdruck am stärksten ausgesetzt. Wer von denen steht eigentlich noch für den großen Generationswechsel bereit, der mit der Emeritierung von 60 Prozent der Professorenschaft um das Jahr 2006 herum einsetzt?
Vielleicht nicht leidend, aber doch unbefriedigt sind schließlich 80 Prozent der Studierenden, die sich auch zur Erlangung konkreter beruflicher Qualifikationen und Fähigkeiten an den Hochschulen eingeschrieben haben. Sie kommen in eine Anstalt, die qua geistesgeschichtlicher Herkunft wie überkommener Studienstruktur Wissenschaftler, Gelehrte, Professoren ausbildet.
Die Enttäuschung, die Studierende aufgrund dieser Orientierung durchmachen, ist gewaltig. Sie wiederholt sich Jahrgang für Jahrgang. Die Universitäten wissen auch 30 Jahre nach ihrer Öffnung für breite Bevölkerungsschichten keine konzeptionelle Antwort auf die Frage nach den Berufs- und Schlüsselqualifikationen zu geben.
Das Paradoxe, das vollkommen Unverständliche ist nun, daß sich ausgerechnet die Studierenden vehement dieser Antwort verweigern. Der Psychoanalytiker Rückert gerät geradezu aus der Fassung, als ihm seine Interviewer die „Zweiteilung“ der Studiengänge in einen berufsqualifizierenden und einen wissenschaftlichen Abschluß ausreden wollen.
Die technokratischen „Reformer von oben“ wollen im neuen Hochschulrahmengesetz (HRG) das Studium mit einem Bachelor nach drei Jahren beenden. Und das Magister- sowie Postgraduiertenstudium davon abtrennen. Die Studierenden sind zumeist gegen die Einrichtung eines solchen Schmalspurstudiums. Rückerts Interview zeigt, daß beim Pingpong zwischen den Bachelor-Fans und den Humboldt-Fetischisten beide recht haben: „Einerseits habe ich ein Interesse, mich weitgefächert zu informieren und staunend zu entdecken, was es alles gibt, und auf der anderen Seite taucht irgendwann die Frage auf: wovon leben?“
Für die hochschulpolitische Debatte läßt sich daraus ein beinahe lapidarer Schluß ziehen: Die Uni muß, erstens, eben auch ausbilden. Das heißt in der Regel grundlegende Techniken wissenschaftlichen Arbeitens und gleichzeitig den Zugang zu einem Fach vermitteln. Dabei muß die Uni ihre Kunden, vor allem die weiblichen, offenbar viel ernster nehmen. Mit allen ihren Selbstzweifeln. Hans Werner Rückert meint dazu, daß die Universität von ihrem hohen Roß heruntergeholt werden müßte.
Die Universität muß zudem den weiteren Weg in die Wissenschaft für jene offenhalten, die ihn gehen wollen. Die Frage ist, ob der gesamtgesellschaftliche Diskurs diesen Konsens herstellen wird. So überzogen manchmal der Anspruch der Anhänger des humboldtschen Bildungsideals ist, so unterrepräsentiert ist diese studentische Stimme.
Erst wenn dieser Aspekt, getragen vielleicht von der derzeit aktiven Protestbewegung, in die Reformdebatte eingebracht wird, läßt sich aus kritischer Perspektive eine Zweiteilung des Studiums wirklich rechtfertigen. Auch der an der Wissenschaft Gefallen findende Bachelor-Absolvent muß die Chance und die Unterstützung erhalten, das anzustreben, was Max Weber „Wissenschaft als Beruf“ genannt hat. Christian Füller
„unternehmen universität. Zehn Streitgespräche zur Hochschulreform“. Verlag Akademische Schriften, Frankfurt/Main 1997, 178 S., 26 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen