■ Noch nie waren die Deutschen so weltoffen wie heute. Längst kennen wir unsere Türken nicht nur aus Untertürkheim, sondern aus Antalya. Die Realität des Nebeneinander ist weniger reizvoll Von Edith Kresta: Deutschland ißt multikulti
Eingeführt als locker-flockiger Begriff für Ausländerintegration, institutionalisiert als Ideal der aufgeklärten, modernen Gesellschaft, erfolgreich vermarktet als gefälliges Konsumgut, gebrandmarkt als gescheiterte Realität: Multikulti, das Rezept einer schönen bunten Mischung, schmeckt fad. Der folkloristische Lack ist ab: Konflikte, Unterschiede und Widerspruche verderben die Lust am Fremden
Multikulti hört sich an wie Müsli“, stellte eine taz-Kollegin unmißverständlich fest. Und wie dieses ist Multikulti abgefrühstückt. Hat sich die hartgesottene Müsli-Fraktion in ihrer Nische zwischen ökologischem Kleingarten und Bio-Kleinvertrieb ein neues Marktsegment inklusive Lebensstil geschaffen, so versandete die Multikulti-Welle zwischen harter Sozialarbeit, binationalen Ehen und Betroffenheit. Multikultis und Müslis sind out. Die weltverbessernden Kleinidyllen sind Schnee von gestern!
Doch wie Öko hat sich auch Multikulti als Chiffre in unseren Köpfen festgesetzt: Sie signalisieren Offenheit, Toleranz und Vielfalt. Und dazu stehen inzwischen fast alle, außer ein paar unverbesserlich Frustrierten mit starker Streuung Ost vielleicht. Ausländerfreundlichkeit ist nicht gerade schick, aber sie ist politisch korrekt und gehört zum Benimmrepertoire jedes einigermaßen erzogenen Mittelschichtsdeutschen wie Mülltrennung auch.
Abwehr gegen Fremde wie im brandenburgischen Gollwitz wird von den Medien abgestraft. Wer Fremde ausgrenzt, wird selbst ausgegrenzt. Wie unverbesserliche Raucher, die das Gesundheitsrisiko noch immer nicht begriffen haben, aus öffentlichen Räumen. Fremdenfeindlichkeit ist nicht gesellschaftsfähig! Die Strategie – Erziehung durch Ausgrenzung – funktioniert! Zumindest oberflächlich.
Nach Zeiten mühseliger Annäherung haben wir es geschafft: die Methamorphose des kleinbürgerlichen deutschen Rassisten zum weltoffenen Genießer. „Noch nie waren die Deutschen so aufgeschloßen gegenüber Praktiken aus aller Welt“, schreibt beispielsweise Focus in seiner letzten Ausgabe. „Die neue Generation ißt multikulturell und ohne Konventionen.“ Heute ißt man/frau nicht nur multikulti, sondern ist auf Mallorca. Längst kennen wir unsere Türken nicht nur aus Untertürkheim, sondern auch aus Antalya. Fremde Länder, fremde Kulturen erfahren wir aus dem Blickwinkel des Touristen. Und der bringt Freude. Wir genießen das Fremde, Exotische. Störende Einflüsse wie Armut, alltägliche Trostlosigkeit, irritierende Wertvorstellungen bleiben außen vor. Wir müssen uns nicht einlassen. So kennen und so mögen wir andere Kulturen.
Und so hätten wir es auch gern zu Hause. Ein bißchen Kreuzberg aus dem Sightseeing-Bus. Multikultur als Konsumvorlage, als spielerische Regression am Feierabend, als belebendes Element auf unseren öffentlichen Plätzen. Ein bißchen Wärme aus der Ferne.
Diese öffnete immer schon die Herzen links-alternativer Kreise. Die Soli- und Multikulti-Bewegung kam weltläufig daher. Frohgemut näherte man sich anderen Kulturen, Normen, anderer Expressivität, Spontaneität und Pünktlichkeit. Bis die anderen Kulturen näher rückten.
Vor den dadurch auftretenden Problemen des realen Zusammenlebens schrecken wir zurück. Die sind uns dann „bedrohlich fremd“. Das eint die Lager von links bis rechts. Feministinnen beklagen die Machogewalt von Jungtürken, Politiker die Kriminalität unter Ausländern, und der Spiegel konstatiert gar reißerisch das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft, weil die hier lebenden Ausländer ihre Probleme nicht zu Hause gelassen haben. Die Probleme sind real, so real wie die multikulturelle Gesellschaft; sie sind ungemütlich, weil man sich damit auseinandersetzen muß.
Multikulti ist nun nicht mehr die Abwechslung bringende Spielwiese, sondern eine gesellschaftliche Realität mit Widersprüchen, Mißständen oder einfach nur Unterschieden. So schreckt das Fremde ab. Auch die einst Bewegten: Spontaneität ist aus der Nähe betrachtet leicht chaotisch, Expressivität erschwert den trockenen Diskurs, die Beziehung der Geschlechter in anderen Kulturkreisen erscheint archaisch. Der Wertekodex vieler Immigranten bedrängt die eigenen „zivilisatorischen Standards“ mit mittelalterlichen Anmutungen.
Das Fremde enttäuscht, wo es unsere konsumgeprägten Begehrlichkeiten nicht erfüllt. Es schafft Abwehr, wo es den sozialen Abstieg oder kulturelle Rückständigkeit vorlebt und damit eigene Errungenschaften, Fortschritte in ihrer Absolutheit bedroht.
Multikultur hat zudem in einem Europa der dichter werdenden Grenzen den Ruch von Armut, sozialem Elend. Die Probleme der multikulturellen Gesellschaft sind auch Klassenprobleme. Nicht nur in Asylantenheimen, auch in Stadtbezirken, wo kinderreiche ausländische Familien sich mit dem Lebensstandard der deutschen Kleinfamilie messen müssen. In Großstädten, wo ausländische Jugendliche aufgrund von sprachlichen und sozialen Schwierigkeiten am Schulsystem scheitern, wo die Zuwanderung ausländerstarke Bezirke hervorgebracht hat, in denen soziale Konflikte ethnisch ausgetragen werden. Dort ist der Türke längst der Pole. In den Verteilungskämpfen, die an sozialen Brennpunkten stattfinden, wittern viele den unvermeidlichen „Kampf der Kulturen“, von Kulturen, die es so ungebrochen gar nicht mehr gibt. Die immigrierten Aufsteiger, Unternehmer und Einsteiger werden in der Öffentlichkeit ohnehin kaum wahrgenommen.
Untersuchungen zeigen, daß beispielsweise Türken der zweiten und dritten Generation sich als Deutsche und Türken fühlen oder aber Ausgrenzung hier wie dort spüren. Diesen faktischen Doppelstaatsbürgern wird politisch die doppelte Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt. Sie müssen sich festlegen. Die Politik scheut sich, Rahmenbedingungen für die realen Verhältnisse einer Einwanderungsgesellschaft zu stecken. Praktische Modelle für Schulen mit hohem Ausländeranteil oder für die wachsende Jugendarbeitslosigkeit unter Ausländern werden in Zeiten leerer Kassen völlig verschlafen.
Ausländer haben keine Lobby, denn der folkloristische Lack in der Multikulti- Debatte ist längst ab. Die darunter zum Vorschein kommenden Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Konflikte verderben den Reiz am Anderen. So läßt sich das Fremde schwer benutzen. Es ist sperrig, widersprüchlich, störend. Wildwuchs. Dem erwehrt sich die Öffentlichkeit mit schablonenhaften Zuschreibungen – bei aller Ausländerfreundlichkeit, bei „aller Aufgeschlossenheit für Praktiken aus aller Welt“: Wir genießen die multikulturelle Küche, solange ihre Köche brav im Hintergrund bleiben.s
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