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Strafverfahren gegen NS-Saevecke eröffnet

Italienisches Militärtribunal läßt Anklage gegen vormaligen SS-Hauptsturmführer wegen Mordes zu  ■ Aus Turin Werner Raith

Im normalen Leben gilt Militärstaatsanwalt Pier Paolo Rivello eher als ruhiger Typ, auch als Anklagevertreter bei Strafverfahren hat er sich nicht als besonderer Hardliner erweisen. Diesmal jedoch, so ein Mitarbeiter, „sieht er drein wie ein neapolitanischer Mastino“: Rivello hat sich nach mehr als einem Jahr neuer Ermittlungen in den Kopf gesetzt, den deutschen Pensionär Theodor Saevecke trotz seines hohen Alters von 86 Jahren noch vor Gericht zu bringen, wegen mehrfachen Mordes im Jahre 1943.

Damals war Saevecke unter dem berüchtigten SS-Standartenführer Walter Julius Rauff Leiter des „Außenkommandos“ von Mailand, das sich vor allem um den Kampf gegen die seit dem Kriegsaustritt der Italiener immer zahlreicheren Partisanengruppen kümmerte. Saevecke soll laut Anklage als Repressalie für ein Attentat auf einen Militärlaster, bei dem der deutsche Fahrer nur leicht verletzt, sechs italienische Passanten aber getötet wurden, 15 Häftlinge aus dem Gefängnis geholt und erschießen haben lassen. Die Leichen waren, laut Anklage auf Saeveckes Befehl, mehrere Tage „zur Abschreckung“ auf der Piazza ausgestellt worden. Die Repressalie war trotz des Attentats durch keinerlei Kriegsrecht gedeckt, weil dabei kein Deutscher oder mit ihnen Alliierter ums Leben gekommen ist.

Einen ersten Erfolg hat Staatsanwalt Rivello nun erzielt: der Voruntersuchungsrichter beim Militärtribunal Turin, zuständig für Kriegstaten in Mailand, hat am Donnerstag abend die Eröffnung des Strafverfahrens zugelassen und die erste Sitzung des Prozesses auf den 20. März 1998 angesetzt. Das Gericht hat mithin die vorgelegten Beweise für hinreichend belastend angesehen, um eine Verurteilung wahrscheinlich zu machen.

Staatsanwalt Rivelli hat angekündigt, daß er, trotz aller Entschiedenheit der Anklage, bis zum rechtskräftigen Urteil auf einen Haftbefehl verzichten wird – Saevecke könnte also durchaus aus Rothenfelde bei Osnabrück, wo er seit Jahren lebt, zum Prozeß nach Turin anreisen und sich verteidigen, ohne daß er fürchten muß, eingesperrt zu werden. Bisher allerdings hat sich der Angeklagte nicht sehen lassen. Lediglich eine Verteidigungsschrift hat er übermittelt, in der er seine Unschuld beteuert.

Der Prozeß wird mit Sicherheit weit über die tatsächlichen Vorfälle hinaus Wellen schlagen – mehr vielleicht noch als der Fall des Erich Priebke, jenes SS-Mannes also, der wegen der Geiselerschießungen in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom Mitte dieses Jahres zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Denn, so sagt Staatsanwalt Paolo Rivello: „Während sich Priebke in Argentinien versteckte, hat Saevecke unbehelligt sein Leben in Deutschland fortgesetzt.“ Und wie. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte Saevecke in der Bundesrepublik eine zweite Karriere. Von 1949 bis 1951 arbeitete er in Berlin für den US-amerikanischen Geheimdienst CIA, dann stieg er im Bundeskriminalamt zum Chef der Hauptabteilung Sicherheit auf und leitete 1962 die Nacht-und- Nebel-Aktion gegen die Büros des Spiegel wegen angeblichen Landesverrats.

Als in den 60er Jahren seine NS- Vergangenheit bekannt wurde, drohte Saevecke, „im Falle eines Prozesses in Italien“ zu enthüllen, „wie viele Juden bei Judendeportationen mitgeholfen haben und wieviel Italiener und auch kirchliche Kreise bei Judenverfolgungen mitgeholfen haben“ – so jedenfalls berichtet es das Buch „Hitler a Milano“ von Luigi Morgomaneri.

Tatsächlich herrscht seither auch in Italiens Presse eine auffällige Zurückhaltung hinsichtlich des Falles – lediglich il manifesto brachte eine ganze Seite im Vorfeld des Prozesses. Das Verfahren wird mit Sicherheit auch die dunklen Seiten der italienischen Kollaborateure in den Mittelpunkt rücken.

Befürchten muß Saevecke von dem Prozeß am Ende ohnehin nichts: Das Grundgesetz verbietet jegliche Auslieferung deutscher Staatsbürger. Unbequem könnte die Sache jedoch für die deutschen Justizbehörden werden – die hatten in den sechziger Jahren das Strafverfahren gegen Saevecke eingestellt und sich auch seither trotz mehrfacher Wiederaufnahmeanträge aus Italien beharrlich geweigert, die Prozeßakten wieder hervorzuholen.

Zeigt Staatsanwalt Rivello, daß das von ihm vorgelegte Material schon lange zugänglich wäre, müssen sich die Deutschen sagen lassen, daß sie die Augen vor den Kriegsverbrechern aus den eigenen Reihen wieder einmal geschlossen hatten. Und daß der Finger auf die Wunde gelegt wird, ist nun sicher: Der Voruntersuchungsrichter hat ausdrücklich mehrere harte Nebenkläger zugelassen. Außer den Angehörigen und den Gemeinden der ermordeten Geiseln ist das auch noch der Nationalverband der Partisanen. Und wo der auftritt, wächst so schnell kein Gras mehr.

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