: Feuchte Hände und nobles Ambiente
Schwimmbad und Kamin im Haus. Handelt es sich um legale Methoden, Steuern zu sparen, oder geht es um Steuerhinterziehung? Über diese Frage verhandelt das Landgericht Mannheim. Angeklagt ist ein honoriger Bauunternehmer ■ Von Hilmar Höhn
Warum auch sollte Hans-Peter Unmüssig das Bedürfnis haben, fotografiert zu werden? Und dann auch in der weiten, düsteren Halle des Mannheimer Landgerichtes? Wo er nun einige Tage in einem fensterlosen Saal verbringen und sich den bohrenden Fragen dreier Richter und eines Staatsanwalts stellen muß.
Die hören sich in etwa so an: „Nun erklären Sie uns das mal, Herr Unmüssig“, beginnt der Vorsitzende Richter am Landgericht Mannheim, Kubitz, gewöhnlich seine Fragen. Dann senkt er den Kopf, schaut über seine schmale Brille hinweg zum Angeklagten. Kubitz ist freundlicher Natur, weswegen in seinem Mienenspiel auch manchmal ein Anflug von Humor zu erkennen ist.
Dem Angeklagten Hans-Peter Unmüssig, der mit seiner Frau Barbara von Frankenberg-Unmüssig und seinem Steuerberater auf der Anklagebank Platz genommen hat, hätte man nicht zugetraut, daß er diese Zusprache braucht, um locker zu werden. Denn Unmüssig ist ein erfolgreicher und geachteter Bauunternehmer in Freiburg. 600 Arbeiter und Angestellte verdienen bei ihm ihr Geld. Von seiner Bautätigkeit leben auch ungezählte kleinere Baufirmen.
Hans-Peter Unmüssig, Sproß Freiburger Adels, galt in seiner Heimatstadt und im nahen Umkreis bis vor kurzem also als honoriger Mann. An seinem guten Ruf hat sich eigentlich auch nichts geändert. Nur eine Kleinigkeit vielleicht, es ist diese Spur von Unsicherheit beim ersten Auftritt des Hans-Peter Unmüssig im Gericht. Da schreitet am frühen Morgen des 24. November ein kleiner Mann, graue Haare, mittellang, in dunkelblauem Mantel durch die Vorhalle des Mannheimer Landgerichts. Eilig geht er zu Anwalt Michael Streck. Bemerkenswert dabei ist, daß der mächtige Unternehmer Unmüssig, Ehemann und Vater dreier Kinder, sich die Hände reibt und kurz vor dem Handschlag mit seinem Anwalt die rechte Handfläche mehrfach über den Stoff des Mantels zieht. Feuchte Hände machen keinen guten Eindruck.
Es geht um was. Immerhin droht ihm wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall Haft. Sicher ist das freilich nicht, die vier Verteidiger des Angeklagten, die Richter, die beiden Schöffen und der Staatsanwalt haben die Anklageschrift durchgeackert und sind seit dem 2. Dezember dabei, Zeugen zu vernehmen. Eine Anklageschrift, die deswegen von so großer Bedeutung ist, weil sie Einblick in das Privatleben deutscher Besserverdiener eröffnet.
Die Taten des Angeklagten stammen aus der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Heute ist es dank lukrativer Sonderabschreibungsmodelle für Schiffe oder Immobilien in Ostdeutschland für Einkommensmillionäre ein Kinderspiel, die Steuerlast legal gegen Null zu drücken. Unmüssig hingegen hatte Pech. Er war durchaus erfinderisch darin, das zu versteuernde Einkommen möglichst niedrig anzugeben. Aber dummerweise sind versteckte Gewinnausschüttungen, verschobene Gewinne und unter Decknamen geführte Wertpapierdepots strafbar.
An dieser Stelle soll das Ergebnis der Rechenkunststücke des Herrn Unmüssig und seines Steuerberaters vorgestellt werden: 1985. Einkommen laut Steuererklärung Unmüssig: 45.000 Mark. Die Staatsanwaltschaft geht von knapp 2,5 Millionen Mark aus. 1986. Einkommen laut Unmüssigs Steuererklärung: 610.000 Mark. Staatsanwaltschaft: fast zwei Millionen Mark. 1987. Unmüssig: 517.000 Mark. Staatsanwaltschaft: 1,4 Millionen Mark. 1988. Unmüssig: 1,6 Millionen. Staatsanwaltschaft: 2,6 Millionen. Und so jedes Jahr fort bis ins Jahr 1991. Macht in sieben Jahren eine Steuerersparnis von rund 3,5 Millionen Mark. Dazu kommen einige hunderttausend Mark an hinterzogener Gewerbe- und Mehrwertsteuer. Vielleicht ist die Frage, warum Unmüssig seine Haushaltshilfe und die seiner betagten Mutter über die Firma abrechnete, angesichts der geringen Summe zu vernachlässigen. Aber um diese Vermengung von Privat und Geschäft geht es beim Prozeß vor der 5. Wirtschaftsstrafkammer in Mannheim. Wer private Ausgaben von seiner Firma bezahlen läßt, hinterzieht Steuern, belehrt der Richter den Bauunternehmer.
Unmüssig hat sein Privatkonto überhaupt sehr ungern belastet. Und deswegen hat er seiner Frau zu verstehen gegeben, sie solle Rechnungen für den Ausbau der 1984 erworbenen Villa Herzberg in Freiburg-Günterstal so bei der Firma einreichen, daß der Eindruck gar nicht entstehen könne, es handele sich um Einkäufe privater Art. Und das ging so: Barbara von Frankenberg-Unmüssig ist von Beruf Innenarchitektin und in dieser Funktion unter anderem für das Haus Unmüssig tätig. So orderte die Innenarchitektin für die Privatvilla einen Stil-Kamin, einen Kachelofen und einen Brunnen, bezahlte und sandte der Unmüssig Schlüsselfertigbau GmbH eine Rechnung in entsprechender Höhe, allerdings mit dem Vermerk „für Haus Eiche“, womit ein Wohnkomplex gemeint ist, in dem das Ehepaar sicher nicht residiert.
Solche Patzer sind schwer einzugestehen. Baukaufmann Unmüssig hat sich in seinem Zeugenstuhl zurückgelehnt und fingert mit mißgelauntem Blick an einem Kugelschreiber herum. Während seine Frau zum Richtertisch vorging, den Kopf leicht senkt und beteuerte, niemals habe sie Steuern hinterziehen wollen. „Mit meinem heutigen Kenntnisstand hätte ich das nicht gemacht.“ Am Ende macht auch Hans-Peter Unmüssig eine Einlassung in diese Richtung, ja, er räume die „Kostenverschiebung“ ein.
Was in einem Fall bewiesen ist, muß im nächsten nicht gelten. Also bestreitet Unmüssig, beim Umbau des Ferienhauses, welches seine Schwester von der Mutter gekauft hatte, ähnlich verfahren zu sein. Die Steuerfahnder aber sind der Meinung, das gleiche Spiel entdeckt zu haben. Demnach kaufte Barbara von Frankenberg-Unmüssig im Auftrag ihrer Schwägerin Material und Handwerkerleistungen ein. Doch von den Rechnungen wanderte nur ein Teil offiziell mit „Ferienhaus Hug, Todtnauberg“, deklariert in die Buchhaltung der Unmüssig Schlüsselfertigbau.
Rechnungen für über 800.000 Mark verteilte Hans-Peter Unmüssig dagegen auf andere Projekte seines Bauunternehmens. Die Steuerfahnder stutzten. Sollte da wieder eine steuerpflichtige Privatentnahme getarnt werden – also das Geld für die Renovierung des Familien-Ferienhauses?
Der Bauunternehmer Unmüssig, Ende der 80er Jahre, zum Zeitpunkt des Todtnauberg-Projekts über zehn Jahre im Baugeschäft, aber will sich verrechnet haben: Ohne den Rat eines Statikers habe er der Schwester ein Angebot unterbreitet. 500.000 Mark würde der Ausbau kosten. Doch dann wurde die Sache immer teurer. Weil etwa der Firstbalken auf dem Kamin ruhte, der entfernt werden sollte. Um den Balken abzustützen, gruben Arbeiter im Keller ein Loch für ein Fundament. Aber an der Stelle tat sich eine Quelle auf. Irgendwann war bei der Bauherrin die Schmerzgrenze erreicht, 800.000 Mark dürfe das Haus kosten, mehr nicht.
Damit steckte Unmüssig in einer Falle, in die man als Bauunternehmer geraten kann, wenn man Pauschalleistungen anbietet. Hans-Peter Unmüssig (Kürzel: pu) war die Sache peinlich. Wenn das seine Bauingenieure mitbekommen hätten, totgelacht hätten die sich, sagt er. Die Peinlichkeit will er sich erspart haben, indem er seinen Buchhalter anhielt, die Kosten für das Ferienhaus anderen Objekten aufzulasten. Steuern, sagt „pu“, habe er nicht hinterziehen wollen. Weil ihm aber die Angelegenheit selbst irgendwie pikant vorgekommen sein muß, verwahrte er belastende Unterlagen in Sachen Todtnauberg in einem kleinen braunen Koffer im heimischen Schlafzimmer. „Sie werden lachen“, hat er dem Richter gesagt, „manchmal arbeite ich da auch.“ Und dann hat Unmüssig selbst gelacht.
Überhaupt mag man ihm alles glauben. Wie er auf der Anklagebank sitzt und immer schwer durchatmet, wenn ihm wieder so ein Vorwurf gemacht wird. Damit kommt man zu einem weiteren Fallkomplex, der „pu“ mehrfach durchatmen läßt. Es geht um die Bebauung „Zähringer Platz“ in Freiburg. Wieder so ein Fall von Überschneidung von Privatleben und Geschäft. Hier machte Unmüssig gleich mehrfach Gewinn – mit der Bebauung für gut vier Millionen Mark. Und aus einer Million Mark, die er für das Grundstück 1982 bezahlt hatte, wurden am Verkaufstag im September 1985 fast 3,2 Millionen Mark, die auf sein Konto bei der Deutschen Bank Baden-Baden überwiesen wurden. 2,2 Millionen Mark verschwanden auf Privatkonten, eine Million floß an die Schlüsselfertigbau-GmbH zurück, „um mein Konto dort auszugleichen“. Das Grundstück sei immer Privatbesitz gewesen, der Verkauf deswegen frei von Steuern. Der Staatsanwalt hält dagegen, wer mit Grundstücken geschäftlich handele, könne nicht auch noch als Privatmann Boden kaufen und verkaufen. Wichtig an dieser Episode ist die Art, mit der sich Unmüssig vor Gericht in Rage redet. Ohne ihn hätte die Stadt niemals auf dem Zähringer Platz bauen können, „ich bin der Herrscher des Verfahrens“, ruft Unmüssig in den Gerichtssaal. „Ich bin derjenige, der sich nicht erpressen lassen muß!“
Schwierig werden könnte es mit den Beweisen. Der Staatsanwalt dürfte das spätestens in der zweiten Dezemberwoche gemerkt haben. Seitdem müssen die von Unmüssig beschäftigten Subunternehmer als Zeugen aussagen. Und es zeigt sich, wie schädlich sich die zeitliche Distanz zwischen dem Prozeß und dem Beginn der Ermittlungen vor fünf Jahren auf die Qualität der Aussagen auswirkt. Die meisten der Zeugen konnten sich selbst an frühere Aussagen nur schwach erinnern.
Der Zeuge Sch. ist so jemand. Am 25. April 1994 hatte der Freiburger Malermeister gegenüber den Steuerfahndern des Finanzamts ausgesagt, daß „die Rechnungen auf Wunsch des Herrn Peter Unmüssig wegen des (privaten, der Aut.) Schwimmbades über andere Bauobjekte abgerechnet worden wären“. Nun räumt Sch. zwar ein, diese Manipulationen durchgeführt zu haben, aber nicht Unmüssig habe sie verlangt, sondern ein Bauleiter seiner Firma. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, warum er sich auf solche Verschiebungen eingelassen habe, antwortet Sch.: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, über die muß man reden.“ Als der Richter wissen will, ob er derzeit von der Firma Unmüssig Aufträge habe, nickt Herr Sch.: „Ja“, sagt er.
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