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Die Furcht vor dem Monat des Terrors

Vor dem Fastenmonat Ramadan macht sich in Algerien die Angst vor neuen Anschlägen breit. In der vergangenen Woche gab es 250 Tote. Die Regierung setzt auf beruhigende Parolen und mehr Sicherheitsmaßnahmen  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Die Erklärungen, die das algerische Innenministerium dieser Tage verbreiten läßt, klingen, als stammten sie aus den Propagandawerkstätten des Großen Bruders, des Diktators aus Georg Orwells Roman „1984“. „1997 zeichnet sich durch eine deutliche Verbesserung der Sicherheitslage aus“, heißt es in einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur APS, während die Bevölkerung Algeriens fünf Tage vor Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan wie gebannt die alltäglichen Nachrichten von immer neuen Attentaten und Überfällen zu Kenntnis nimmt.

Allein in der vergangenen Woche vermeldeten die Tageszeitungen des seit 1992 vom Konflikt zwischen radikalen Islamisten und der Armee zerrissenen Landes über 250 Tote. Erinnerungen an den letzten Fastenmonat, als über 400 Menschen bei Überfällen und Attentaten ums Leben kamen, werden wach. In der Hauptstadt Algier machen die wildesten Gerüchte die Runde: Die Pkw-Diebstähle hätten drastisch zugenommen und ein 25köpfiges Kommando der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) habe sich im Stadtzentrum installiert.

Die Angst vor einer neuen Welle von Autobomben, die im vorigen Ramadan vor Kinos und Cafés den Tod säten, macht sich breit. Weder zusätzliche Polizei- und Militärpatrouillen im Stadtzentrum und den Vororten noch die seit Monaten andauernden Militäroperationen in der Mitiya- Ebene zwischen Algier und den nahe gelegenen Atlasausläufern können die Menschen beruhigen.

„Die Armee hat den Terroristen einen endgültigen Schlag versetzt“, bewertet die Regierung die Militäroffensive gegen GIA- Hochburgen. Doch wer diesen Erfolgsmeldungen Glauben schenkt, zahlt dafür nur allzuoft mit dem Leben. Mehr als drei Monate nachdem Soldaten das zehn Kilometer vor Algier liegende Dorf Ouled Allel einnahmen, reißen die Todesmeldungen aus dem Ort, der den GIA-Kommandos ab 1995 nach der Vertreibung der Bevölkerung als Hauptquartier gedient hatte, nicht ab. Bevor die bewaffneten Islamisten durch ausgedehnte Tunnelsysteme die Flucht vor der anrückenden Armee antraten, hatten sie noch Zeit genug, viele Häuser zu verminen. Erst am Donnerstag kostete eine dieser Sprengfallen eine neunköpfige Familie das Leben, als sie ihr Haus wieder instand setzen wollte.

Im Wald von Bainem, der sich von den Atlasausläufern bis zum Westrand Algiers erstreckt, operieren die GIA-Kommandos auch nach monatelangen Militärrazzien mit Panzern und Flächenbombardierungen noch überraschend ungestört. In der Ortschaft Bainem, direkt vor den Toren Algiers, überfielen Männer am Mittwoch nach Einbruch der Dunkelheit zwei Hütten. Elf Menschen – drei Männer, drei Frauen, drei Kinder und zwei Babys – wurden bei lebendigem Leibe grausam verstümmelt und dann enthauptet. Dabei waren die Bewohner von Ouled Allel und Bainem nach jahrelangem Flüchtlingsdasein voller Hoffnung in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Die GIA stempelte sie als „Verräter“ ab und ließ sie dafür zahlen.

Viele der Kommandos scheinen sich vor der vorrückenden Armee in andere Landesteile zurückgezogen zu haben. Immer wieder werden Massaker und Attentate aus dem Westen des Landes bekannt, der bisher als sicher galt. Anfang des Monats explodierte eine Autobombe in einer Siedlung des Erdölhafens Arzew. In El Bordj, nahe der marokkanischen Grenze, starben Ende vergangener Woche bei einem Massaker mindestens 30 Menschen, und in der Provinz Tiaret, zwischen Oran und Algier, gab es am Donnerstag laut der Tageszeitung Liberté 120 Tote.

„Wir sind weit von einer Lösung der Krise entfernt“, sagt Abdenour Ali Yahia, Vorsitzender der algerischen Menschenrechtsliga und Mitbegründer des Friedenskomitees, das seit dem vorigen Ramadan vergebens versucht, einen friedlichen Ausweg aus der Krise zu finden. Vor zwei Monaten schöpften der Anwalt und seine Anhänger aus verschiedenen Oppositionsparteien Hoffnung. Die Armee des Islamischen Heils, der bewaffnete Arm der 1992 nach ihrem Sieg bei den ersten freien Parlamentswahlen verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), erklärte einen einseitigen Waffenstillstand, um „die Verfechter der infamen, kriminellen Gewalt, die abscheuliche Massaker an Unschuldigen begehen“ zu isolieren.

„Seither hat sich allerdings kaum etwas geändert. Wir warten vergebens auf einen Schritt seitens der Regierung vom Waffenstillstand zum endgültigen Frieden“, beklagt sich Ali Yahia über Präsident Liamine Zéroual. Der lehnt jeden Dialog zur nationalen Aussöhnung ab. Zwar beantragte die stärkste laizistische Oppositionspartei, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), im Parlament eine Sondersitzung der Volksvertretung zum Thema „Krise und mögliche Lösungen“. Doch der Antrag scheiterte an der Regierungsmehrheit aus der National- Demokratischen Versammlung (RND), die erst im März von Vertretern des Regimes ins Leben gerufen wurde, der ehemaligen Einheitspartei FLN und den gemäßigt islamistischen MSP-Hamas. „Alles deutet darauf hin, daß der langsame Genozid am algerischen Volk im Ramadan einen neuen Höhepunkt findet“, stellt FFS- Sprecher Samir Bouakouir resigniert fest.

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