■ Wirtschaftsprofessoren fordern Verschiebung der Währungsunion: Ersatz für Demokratie
Rund 60 Prozent der Bundesbürger sind gegen den Euro. Kommen wird die neue Währung trotzdem. In knapp einem Vierteljahr werden die EU-Regierungen voraussichtlich die meisten EU-Mitglieder in die Währungsunion aufnehmen und damit die tiefgreifendste Entscheidung seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft treffen.
In Großbritannien und Dänemark haben sich die Regierungen die Sorgen ihre Bürger zu eigen gemacht und wollen erst mal dem Euro-Club fernbleiben. Die Sozialisten in Paris überlegten zumindest, lieber mehr Geld für Arbeitsplätze auszugeben, statt immer nur für den Euro zu sparen. In Deutschland dagegen scheint es zu genügen, daß sich der Kanzler die europäische Einigung zur Lebensaufgabe gemacht hat. Die Drei-Komma-null-Debatte über das Haushaltsdefizit ist der einzige politische Diskurs, den Kohl und sein Adlatus Theo Waigel zulassen. Euro-Dissidenten wie Edmund Stoiber (CSU), Kurt Biedenkopf (CDU) oder Henning Voscherau (SPD) haben allenfalls die Möglichkeit, sich in der Presse zu äußern.
Jetzt haben sich Bürger mit wirtschaftlichem Sachverstand ebenfalls direkt an die Presse gewandt, um eine Verschiebung der Währungsunion zu fordern. An wen sonst sollten sie sich wenden? Der Brief von 155 Wirtschaftsprofessoren an die Presse soll die politische Debatte ersetzen, die das Parlament nicht führt. Die Professoren führen die Diskussion fort, die im vergangenen August 53 Wirtschaftswissenschaftler begonnen haben, die sich im Manager Magazin für die fristgemäße Einführung des Euro stark gemacht haben. Die vor vier Wochen beim Bundesverfassungsgericht eingelegte Anti-Euro-Klage ist ebenfalls nichts anderes als eine Art Politik-Ersatz.
Im Ausland wird mit Befremden verfolgt, wie wenig die deutschen Parteien die weitverbreitete Euro- Skepsis zur Kenntnis zu nehmen scheinen. Aber wie sollten sie, wo doch innerhalb jeder Partei Euro- Befürworter und -gegner zu finden sind. Auch das Wahlvolk sammelt sich dummerweise nicht entlang der Parteilinien für oder gegen den Euro, so daß sich keine Partei bemüßigt fühlt, sich zum Fürsprecher der einen oder der anderen Seite zu machen.
Auch wenn die 155 Wirtschaftsprofessoren vielleicht bei einigen Bundesbankern auf Sympathie stoßen, werden sie einsehen müssen, daß sie mit ihrer Initiative zu spät kommen. Nur noch knapp drei Monate muß der Kanzler die Euro-Skepsis aussitzen, dann ist der Euro-Zug endgültig auf die Schienen gesetzt. Nicola Liebert
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