Kommentar: Arm dran
■ Die Berliner Grünen wollen Marianne Birthler keinen sicheren Listenplatz geben
Der Osten ist endlich da, wo er hingehört: auf den billigen Plätzen. Die Berliner Grünen haben Marianne Birthler, die einzige Ostdeutsche unter den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, auf Platz vier der Landesliste gesetzt – und damit das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zwischen Ost und West ziemlich genau widergespiegelt. Der Osten ist ein Viertelland, ein Viertelvolk und in jeder Hinsicht in der Minderheit. Platz vier ist das, was ihm zusteht.
Den Grünen kann man zu ihrer ehrlichen Entscheidung nur gratulieren. Vor ein paar Jahren haben sie die Ost-West- Quotierung mit der Begründung aufgegeben, man sei jetzt eine Partei. Diesen Beschluß hat die Partei am Wochenende konsequent umgesetzt. Die Bedenken vor der Wahl, man müsse eine Ostdeutsche auf einen der drei sicheren Listenplätze setzen, weil man draußen sonst einen falschen Eindruck von der Partei bekäme, haben am Ende keine Rolle gespielt. Drei Wessis auf den ersten drei Plätzen – richtig so. Was heißt denn, „draußen“ entstehe ein falscher Eindruck? Die Grünen sind eine typische Westpartei, und sie stehen dazu. Da ist nichts falsch zu verstehen.
Es geht hier nicht darum, immer schön lieb zum Ostler zu sein. Der Osten braucht keine Quote. Aber er braucht Verständnis, er muß ernstgenommen werden, er braucht Politiker, mit denen er sich identifizieren kann. Marianne Birthler ist eine der wenigen grünen Politikerinnen, die diese Kompetenz verkörpert. Man mag politisch von ihr halten, was man will – aber eine Partei, die glaubt, in der Hauptstadt von Ost und West keine einzige Frau und keinen einzigen Mann aus dem Osten zu haben, die sie für fähig halten, in den Bundestag zu ziehen, diese Partei ist arm dran. Der Hinweis, die Grünen hätten eben drei Kandidaten gewählt, die kompetenter als Birthler seien und die sich schließlich auch um den Osten kümmern würden, ist ein Teil des Problems. Vielleicht ist es ja kein Ausdruck höchster Qualität, sich auch um den Osten zu kümmern. Vielleicht ist es Ausdruck von Qualität, wenn sich eine Politikerin nicht in die Schubladen des westdeutsch geprägten Politikbetriebs stecken läßt.
Die Grünen überlassen diese Fragen allein den Lobbyisten und traditionellen Mehrheiten in der Partei. Wer meint, sich das leisten zu können, obwohl er im Osten nur ein paar hundert Mitglieder hat – bitte schön. Aber der letzte macht dann das Licht aus. Jens König
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