: Aus Hamburgs Erde gen Mekka blicken
Abschaffung der Sargpflicht ermöglicht Muslimen die Bestattung in Hamburg ■ Von Elke Spanner
Sie sind zwanzig, dreißig Jahre in Deutschland. Sie haben einen Großteil ihres Lebens hier verbracht, doch ihre „letzte Ruhe“finden die meisten Moslems dann doch in dem Land, aus dem sie vor Jahrzehnten kamen. Nicht zuletzt, weil eine traditionelle muslimische Bestattung in Hamburg bisher nur eingeschränkt möglich war. Denn während der Islam vorsieht, daß Tote im Leinentuch begraben werden, legte die Hamburger Bestattungsverordnung eine Sargpflicht fest. Die nun schaffte der Senat gestern ab. Gemeinsam mit dem Ausländerbeauftragten legt die Umweltbehörde den Friedhöfen jetzt Richtlinien für die Umsetzung vor.
Die islamischen BestatterInnen in Hamburg hatten bisher weniger mit Friedhöfen als mit dem Flughafen zu tun. Denn 99 Prozent aller Muslime ließen sich ins Herkunftsland fliegen, weiß Vildane Tüten vom Beerdigungsunternehmen „Uludag“. Dabei hatten sich die beiden größten Hamburger Friedhöfe in Öjendorf und Ohlsdorf schon lange bemüht, Beisetzungen nach den Geboten des Islam zu ermöglichen. So müssen Muslime mit dem Gesicht in Richtung Mecka begraben werden – beide Friedhöfe bieten Flächen, die dorthin ausgerichtet sind. Angehörige müssen die Toten rituell reinigen – in Öjendorf und Ohlsdorf gibt es extra Räume für die rituellen Waschungen.
Was fehlte, war jedoch die Möglichkeit, die Toten nur im Leinentuch zu beerdigen. „Ob Staatspräsident oder Bettler: Alle Muslime sollen nur ein weißes Tuch tragen“, erläutert Tüten. Ihr Körper müsse sich mit der Erde verbinden. Als Kompromiß zwischen religiöser Tradition und Deutschlands starrem Recht verwendete „Uludag“bisher ganz schlichte Holzsärge, „um wenigstens nichts zu verschwenden. Das ist Sünde“. Um den Kontakt zum Boden herzustellen, werde manchmal Erde mit in den Sarg getan. Und Sabine Blum, Sprecherin der Hamburger Friedhöfe, weiß auch von Bestattungen, bei denen der Sarg einen Spalt breit offengelassen wurde.
In den vergangenen 20 Jahren wurden in Hamburg nur 701 Muslime beigesetzt – zumeist Afghanen, die aufgrund des Krieges im Herkunftsland nur schwer ausgeflogen werden können. Der islamische Theologe Mehdi Razwi freut sich, daß der „starke Wunsch vieler Moslems nun respektiert wurde“. Tüten jedoch vermutet, daß sich zumindest noch die nächsten zehn Jahre nicht viel ändern werde. Denn die 1. Generation der MigrantInnen halte noch Verbindung beispielsweise in die Türkei. „Nur jüngere Türken, die auch hier aufgewachsen sind, werden sich hier beerdigen lassen.“
Wenn überhaupt. Denn auf moslemischen Friedhöfen fänden die Toten „ewige Ruhe“, während Gräber in Hamburg nach 25 Jahren neu belegt werden. Und viele Muslime seien unsicher, „wie sich Deutschland entwickelt. Sie haben Angst vor Grabschändern, die ja schon auf jüdischen Friedhöfen die Totenruhe gestört haben“.
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