: Die Spur führt nach Berlin
14 Jahre nach dem Tod der Londoner Polizistin Fletcher ermittelt Scotland Yard an der Spree: Nicht libysche Terroristen, sondern Gaddafi-Gegner mit Beziehungen zur Berliner Rotlichtszene sollen geschossen haben ■ Von John Goetz und Peter Niggl
Kam die Waffe, mit der vor 14 Jahren die britische Polizistin Yvonne Fletcher in London ermordet wurde, aus Berlin? Mit dieser Frage beschäftigen sich Beamte von Scotland Yard, die seit Dienstag dieser Woche in Berlin mit Vernehmungen beschäftigt sind. Die Ermittlungen werden im Rahmen eines Amtshilfeersuchens des Landeskriminalamtes durchgeführt. Von den Aussagen ehemaliger Mitglieder einer Gruppe um den Reinickendorfer Unternehmer Hilmar H. und durch die Erkenntnisse örtlicher Beamter aus dem „Milieu“ hofft der „Yard“ Aufschluß über den Hintergrund des Mordes an der Polizistin zu erhalten.
Die Londoner Ermittler haben auf verschiedene Presseberichte reagiert, die die bisherigen Tatversionen in Frage stellen.
Am 17. April 1984 war die 23jährige Yvonne Fletcher während einer Demonstration von Gaddafi-Gegnern zum Schutz des Libyschen Volksbüros (Botschaft) in London eingesetzt worden. Während der Kundgebung am St. James Square fielen Schüsse, die unbewaffnete Polizistin wurde tödlich getroffen.
Die damalige britische Regierungschefin Margaret Thatcher reagierte sofort. Sie beschuldigte die Mitarbeiter der libyschen Vertretung, den Mordanschlag verübt zu haben. Die Botschaft wurde geschlossen. Zwei Jahre später, als nach dem Bombenanschlag auf die Berliner Discothek „La Belle“ US- Bomber Vergeltungsanschläge gegen Libyen flogen, war es die Thatcher-Regierung, die als einziger europäischer Verbündeter Washingtons den amerikanischen Kampfflugzeugen die Starterlaubnis für die kriegerische Aktion erteilte. Thatcher selbst sah darin auch eine Genugtuung für den Tod „an unserer Yvonne Fletcher“.
Seit einiger Zeit jedoch ist die Version des Mordes an der Polizistin Fletcher ins Wanken geraten. In der Dokumentarfilmreihe „Dispatches“ des britischen TV-Senders Channel-4 wurden 1996 neue Ergebnisse zu diesem Fall der Öffentlichkeit präsentiert. Zum erstenmal wurde der Autopsiebericht von Fletcher veröffentlicht. Darin werden Einzelheiten genannt, die den bislang von offizieller Seite verbreiteten Thesen eindeutig widersprechen. Die Kugel, die Yvonne Fletcher tötete, hatte aus einem steilen Winkel von oben – etwa 60 Grad – den Körper der Frau durchschlagen. Bei Schüssen aus dem Libyschen Volksbüro hätte der Schußwinkel nur ungefähr 20 Grad betragen können. Dies bestätigte der ehemalige britische Armeearzt Hugh Thomas in der Fernsehreportage.
Tatsache ist, daß bei Schüssen aus dem Botschaftsgebäude auf Gaddafi-Gegner einige der Demonstranten getroffen wurden. Alle diese Verletzungen weisen einen flachen Schußwinkel von zirka 15 Grad auf. Es stellt sich also die Frage: Wer gab die tödlichen Schüsse auf Yvonne Fletcher ab?
Schon ein Jahr nach der Tat in London gab es erste Hinweise aus Berlin, die den ganzen Vorgang in einem anderen Licht erscheinen ließen. Im Frühjahr 1985 war der heute 53jährige Berliner Gerüstbauunternehmer Hilmar H. wegen diverser Straftaten festgenommen worden. H. wurden in den 80er Jahren auch Verbindungen zum sogenannten Berliner Sumpf – den in die Antes-Affäre verstrickten Unternehmern und Politikern – nachgesagt. Seine Verbindungen zum CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer waren sogar Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage. H.s ehemaliger Adlatus Manfred Meyer hatte 1985 den Stein ins Rollen gebracht, der zur Verurteilung von H. führte.
Neben einer Reihe von kriminellen Straftaten wurden auch Verbindungen zu terroristischen Aktionen aufgedeckt. Mit der Inhaftierung H.s wurde bekannt, daß dieser mit einer von schwerreichen exillibyschen Gaddafi-Gegnern gebildeten Terrorgruppe namens „el Burkhan“ (der Vulkan) zusammenarbeitete. Der in Texas lebende Kaufmann Rageb Zatout trat als Repräsentant von „el Burkhan“ auf.
Bei den Ermittlungen zu den Aktivitäten H./el Burkhan konnte nachgewiesen werden, daß auf dem Firmengelände des Unternehmens in Reinickendorf für el Burkhan Waffen präpariert und mit selbstgebauten Schalldämpfern versehen wurden. Am 28. Februar 1984 hatte der Angestellte der Firma H., der Techniker Helmut N., drei in einem Auto versteckte Pistolen von Berlin nach London transportiert und sie dort Rageb Zatout übergeben. Mit einer dieser Waffen wurde Ende August 1984 der libysche Geschäftsmann Giahour in London erschossen. Der Verbleib der beiden anderen Pistolen ist nicht bekannt.
Daß eine dieser Handfeuerwaffen für den Mord an Yvonne Fletcher benutzt wurde, scheint immer wahrscheinlicher. Aussagen von Manfred Meyer, die dieser schon in seinen ersten Vernehmungen 1985 zu den Hintergründen des Fletcher-Mordes zu Protokoll gegeben hatte, wurde offenbar keine Aufmerksamkeit geschenkt. In einem Beitrag des ARD-Magazins „Panorama“ antwortete der Intimus des Hilmar H., Manfred Meyer, im Juni vergangenen Jahres auf die Frage, ob die Mordwaffe aus Berlin gekommen sei: „Wir haben ganz offen darüber gesprochen, daß es unsere Waffe war. Das ist unser Ding, so haben wir gesprochen damals.“ Der Fletcher-Mord paßte zweifelsfrei ins Konzept der Gaddafi-Gegner.
Das Regime in Tripolis sollte international isoliert werden. Morde gehörten zum Konzept von el Burkhan und seiner Berliner Helfer.
Am 21. Januar 1984 war in Rom der Chef des dortigen Libyschen Volksbüros, Ammar el Taggazi, ermordet worden. Unmittelbar danach ging im Londoner Büro der Nachrichtenagentur AP ein Bekenneranruf ein, bei dem sich el Burkhan mit der Tat brüstete. In London konnte sich el Burkhan ganz offensichtlich vor unliebsamen Ermittlungen sicher fühlen. Die Spuren der Tat in Rom führten ebenfalls nach Berlin und wurden sehr ernst genommen. Der später von der Mafia ermordete Richter Giovanni Falcone reiste selbst zu Ermittlungen an die Spree – jedoch ohne Ergebnisse.
Auch ein Anschlag auf einen Vertreter Libyens in Wien wird el Burkhan und seinen Berliner Mittelsmännern zugerechnet. Doch auch die österreichische Polizei kam zu keinem greifbaren Ergebnis. Völlig unbehelligt blieb Rageb Zatout.
Obwohl durch zahlreiche Unterlagen belegt war, daß der el- Burkhan-Mann Zatout in Corpus Christi (Texas) eine Firma mit dem Namen Nine Stars Corporation betrieb, zeigten sich die US-amerikanischen Behörden unwissend. Weder die Rechtshilfeersuchen des Oberstaatsanwalts Clemens-Maria Böhm noch die anderer Ermittlungsbeamter hatten Erfolg. Böhme bestätigte in der Fernsehsendung „Panorama“, daß er „keine Antwort auf (sein) Rechtshilfeersuchen bekommen“ hat.
Wie im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen Hilmar H. und seine Mittäter bekannt wurde, waren dem Gerüstbauunternehmer von el Burkhan Anfang der achtziger Jahre zehn Millionen US-Dollar für den Fall geboten worden, daß er die Ermordung Gaddafis organisieren könne. Zehn Millionen US-Dollar waren nach damaligem Umrechnungskurs zirka dreißig Millionen Mark. H. hatte damals versucht, einen Bordellbesitzer für diesen Mordauftrag zu gewinnen. Von diesem Bordellbesitzer stammten auch die Waffen, die im Februar 1984 im Auftrage H.s nach London geschafft wurden.
Wie der Puffbetreiber vor Journalisten bestätigte, war bereits zu diesem Zeitpunkt ganz offen darüber gesprochen worden, daß in London „etwas laufen sollte, was Gaddafi sehr schadet“. Zu den Zielen der Gruppe el Burkhan meinte Hilmar H. bei einem Gespräch mit Kripobeamten im Juni 1985: „Herrn Zatout schwebte es vor, daß wieder ein libysches Königreich, wie es vor 1969 in Libyen herrschte, gebildet werden sollte.“
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