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■ Kandidatenkür: Ob die SPD mit Lafontaine gewinnen kann, weiß niemand. Doch mit Schröder verliert sie auch, wenn sie gewinntDer Trainingssieger

51 Prozent der Bundesdeutschen wünschen sich den SPD- Kandidaten als Kanzler, nur 44 Prozent würden lieber weiterhin Kohl im Amt sehen. Sogar ein Drittel der Koalitionsanhänger will, daß der SPD-Kandidat eine „wichtige Rolle“ in der Politik spielt. Mit diesem Kandidaten, urteilen viele Kommentatoren, wird die SPD jene Stimmen in der Mitte holen, die sie braucht. Auch die Demoskopen melden Erfreuliches: SPD und Grüne kommen zusammen auf 50 Prozent. Der Machtwechsel steht vor der Tür.

Das war im Frühsommer 1986. Der Kandidat hieß Johannes Rau. Bei der Wahl im Januar 1987 kam die SPD auf desaströse 37 Prozent. Rau war nominiert worden, weil er 1985 die Landtagswahlen in NRW gewonnen hatte.

Auch morgen sollen wieder Landtagswahlen über den SPD- Kandidaten entscheiden. Schröder mag ein anderer Typ als Rau sein – die Szenarien ähneln sich. Die SPD, heißt es in den tonangebenden Medien, muß Schröder küren, der, wie Rau, in der Mitte Stimmen holen kann. Doch der Blick zurück zeigt, gegen dieses Unisono, etwas anderes. Popularität und Wahlchancen sind zwei Paar Schuhe; Koalitionsanhänger mögen Schröders Industriefreundlichkeit schätzen – wählen werden sie ihn deshalb nicht.

Brauchen Sie auch nicht – argumentieren die Schröder-Anhänger, denn es geht um die Unentschlossenen. In der Tat scheint Schröder eher die umkämpften Wechselwähler anzusprechen. Weil die traditionellen Milieus der Parteien in Auflösung begriffen sind, werden die Wechselwähler immer wichtiger. Doch auch dies gilt nur eingeschränkt. Ihr Anteil ist in den letzten 30 Jahren nur geringfügig gestiegen: von 17 auf 22 Prozent. Was gemeinhin als Schröders Vorteil gilt, ist deshalb auch sein Nachteil: Was er an Wechselwählern gewinnt, kann er im eigenen Lager verlieren. Lafontaine hingegen ist zuzutrauen, daß er die eigene Klientel auch an die Wahlurne bewegt.

Ähnlich verhält es sich mit der Bedeutung der Person, die stetig zu wachsen scheint – in dem Maße, in dem die Parteien an Gewicht verlieren. Das scheint für Schröder, den Mann der Medien, und gegen Lafontaine, den Mann der Partei, zu sprechen. Doch trotz des steigenden Einflusses medialer Images gilt: In Deutschland werden, wie Raus Desaster zeigte, noch immer vor allem Parteien gewählt und weniger Personen.

Zudem kann, was Schröder derzeit in so glänzendem Licht erscheinen läßt, sich abrupt gegen ihn wenden: sein medialer Erfolg und seine Popularität. Und seine Fixierung auf diese Größen.

1994 kippte die Stimmung im Sommer: Der stabile SPD-Vorsprung schmolz dahin. Diese Wende wurde damals von einer kleinen ökonomischen Hausse ausgelöst, an die sich heute niemand mehr so recht erinnert. Der Mythos Kohl triumphierte: mal wieder ein unverhoffter Sieg in aussichtsloser Lage. 1987 war es so, 1990 und 1994 dito. Es scheint der deutschen Mentalität zu entsprechen, daß man die Opposition zum Trainingssieger kürt – um dann zähneknirschend die Regierung zu wählen. Die Bundesdeutschen sind Umfragerebellen – und grundkonservative Wähler. Sie haben noch nie eine Opposition in die Regierung gewählt, weder 1969 noch 1983. Irgendwie scheint das deutsche Wahlvolk für politische Wechsel nicht verantwortlich sein zu wollen. Man hätte gern einen anderen Kanzler als Kohl, nur wählen will man ihn nicht.

Auch wenn die Demoskopen mal wieder anderes prophezeihen – die SPD muß auch im Sommer 1998 mit einem Einbruch rechnen, wie tief auch immer. So könnte sich Anfang September die Lage für den Kanzlerkandidaten Schröder dramatisch darstellen: die Koalition im Aufwind, der frühere Liebling der Medien im Sturzflug, zudem nur matt von dem Funktionärskörper der eigenen, ungeliebten Partei unterstützt. So könnte der Siegertyp Schröder in das Räderwerk eines sich selbst beschleunigenden Systems geraten: Wenn die Polls nach unten gehen, schwindet die Unterstützung der Medien, deshalb sinken die Polls usw. Schröder ist für diese Spirale weit anfälliger als Lafontaine. Denn der hemdsärmelige Macher, der zupackt und schnelle Ergebnisse will, wird mit Erfolg identifiziert. Was aber bleibt von Schröder ohne Siegerimage? Wie wird er mit einer skeptischen Presse und miesen Umfrageergebnissen zurechtkommen? Vor allem: wie mit nörgelnden Parteifunktionären, die ihn nur akzeptierten, weil er einen Erfolg versprach, den er nicht einzulösen vermag?

Die Pointe ist freilich eine andere: Ob es für Rot-Grün reichen kann, das hängt kaum vom SPD- Kandidaten ab. Denn wenn PDS und FDP wieder in den Bundestag einziehen, bräuchte Rot-Grün für die absolute Mehrheit immense Stimmengewinne, die so gut wie unmöglich sind. Eine Tolerierung durch die PDS kann sich Rot-Grün nicht erlauben: Rot-Grün ist ein fragiles Reformprojekt von oben, das kaum von gesellschaftlichen Bewegungen getragen wird. Die konservative Propaganda, die die PDS-Tolerierung als Untergang des Abendlandes ausmalen würde, könnte Rot-Grün in eine hoffnungslose Defensive bringen. Doch das Schicksal von PDS und FDP können weder Schröder noch Lafontaine beeinflussen. Falls aber die Weisheit des deutschen Wählerkollektivs PDS und/oder FDP scheitern lassen sollte – dann haben beide realistische Chancen.

Schließlich könnte manchem Kommentator auch jenes Argument in den Sinn kommen, das Schröders Ambitionen am nachhaltigsten dämpft: Rot-Grün wird mit Schröder eine höchst fragwürdige Veranstaltung. Denn der Law-and-order-Mann und Autolobbyist steht für alles, was Grüne zu hassen lieben. Deshalb dürfte Rot-Grün mit ihm eine quälende Hängepartie werden – zumindest wenn sich die Grünen nicht mit der Rolle als Mehrheitsbeschaffer bescheiden, die Schröder für sie vorgesehen hat.

Die SPD hat die Wahl: Lafontaine garantiert ein solides Ergebnis und die Aussicht, daß aus einer (unwahrscheinlichen) rot-grünen Mehrheit eine stabile Regierung würde. Vielleicht wäre der Kanzler Lafontaine auch weniger starr sozialdemokratisch als derzeit der Parteichef Lafontaine, sondern so flexibel, unkonventionell und modern wie in den 80ern. Und Schröder? Im Zweifel steht er für Standortrhetorik, autoritäre Lösungen und ehernen Wachstumsglauben.

Peter Lösche meinte in der taz, daß Schröder der Joker ist, der der Partei zur Macht verhilft. Ausgeschlossen ist das nicht. Wahrscheinlich aber ist er die Niete, die im Hut liegt. Stefan Reinecke

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