: Maden entlasten Pastor Geyer nicht
■ 27jähriger Gutachter untersuchte Maden in der Leiche von Veronika Geyer-Iwand: Der Eintritt des Todes und die alibilose Zeit des verdächtigen Ehemanns können übereinstimmen
Braunschweig (taz) – Vorsorglich warnt der Insektenkundler das Publikum: Wer zart besaitet sei, solle besser den Gerichtssaal verlassen. Niemand geht. Seit Wochen wurde im Prozeß gegen den evangelischen Pastor Klaus Geyer die Spannung auf das Gutachten des eigens aus New York eingeflogenen Experten Mark Benecke geschürt. Er sollte gestern darüber Auskunft geben, wann Veronika Geyer-Iwand umgebracht wurde.
Das Fazit des Experten: Wahrscheinlich ist die Pfarrersfrau zwischen Freitag mittag, dem 25. Juli 1997, und den frühen Morgenstunden des 26. Juli getötet worden. Vom Todeszeitpunkt hängt ab, ob der angeklagte Klaus Geyer ein Alibi vorweisen kann. Für rund drei Stunden am Freitag nachmittag hat er keines. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß er in dieser Zeit seine Frau erschlagen hat. Laut Gutachter Benecke ist das nicht ausgeschlossen.
Benecke, der zur Zeit in den USA arbeitet, ist der einzige bundesdeutsche Insektenkundler, der sich auf Kriminalbiologie spezialisiert hat. Er holt weit aus, um seine Methode zu erklären: zeigt Dias von Leichen in verschiedenen Stadien und den dazugehörigen Madenbefall, erklärt die Entwicklungsstufen der Insekten und betont zwischendurch eifrig die Seriosität seiner Herangehensweise, die hierzulande vor Gericht noch selten verwendet wird.
Im Falle Veronika Geyer- Iwand standen Benecke für seine Untersuchung drei Maden von sechs Millimeter Länge zur Verfügung. Sie wurden während der Obduktion von der Leiche genommen und konserviert. Anhand von Gattung, Art und Größe der Maden und unter Beachtung der Wetterbedingungen am Leichenfundort, die das Wachstum der Insekten beeinflussen, bestimmte Gutachter Mark Benecke die sogenannte Leichenliegezeit.
Je länger eine Leiche liegt, desto größer sind die Maden, die sich aus den von Fliegen abgelegten Eiern entwickeln, und desto zahlreicher die verschiedenen Madenarten. Beneckes Meinung nach hat Veronika Geyer-Iwand zwischen 2,9 und 3,5 Tagen tot im Wald gelegen, zurückgerechnet von dem Zeitpunkt, an dem die Maden sichergestellt wurden. Das passierte in der Nacht von Montag, den 28., auf Dienstag, den 29. Juli 1997. Es gebe, so Benecke, zwar eine gewisse Unsicherheit in dieser Berechnung – er konnte die Fliegenart nicht hundertprozentig bestimmen –, aber diese Annahme sei die wahrscheinlichste. Sie deckt sich mit den Untersuchungsergebnissen des Gerichtsmediziners.
Veronika Geyer-Iwand ist am 25.7. 1997 gegen 13.50 Uhr verschwunden. Nimmt man – im Rahmen von Beneckes Angaben – die früheste Todeszeit an, fällt die genau in den Nachmittag, an dem Klaus Geyer kein Alibi hat. Das ist alles andere als die von der Verteidigung erhoffte Entlastung des Angeklagten. Kein Wunder, daß Rechtsanwalt Bertram Börner bei dem Sachverständigen kräftig nachhakte. Ganz genau erkundigte er sich nach der Qualifikation des erst 27jährigen Benecke, nach dessen Erfahrungen und bisherigen Einsätzen als Gutachter. Doch Rechtsanwalt Börner konnte nur wenig an der Reputation des eingeflogenen Experten kratzen. Stolz durfte der diplomierte Biologe und promovierte Mediziner Benecke im Gerichtssaal unter Beifall des Publikums verkünden, daß er alle Examina mit der Bestnote bestanden habe. Bascha Mika
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