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■ Nach dem Rückzug von Rau bleibt bei der SPD nichts so, wie es warEine Zäsur für die Sozialdemokraten

Nach dem Rückzug von Johannes Rau in Düsseldorf geht es um viel. Wenn jetzt nicht das Wahlvolk in Sachsen-Anhalt und bei der Bundestagswahl Wasser in den sozialdemokratischen Wein gießt, dann dürfte sich der Modernisierungsprozeß innerhalb der Partei schneller und radikaler vollziehen als bei der gesamten Konkurrenz. Ein Aufbruch, nicht nach dem Muster von Tony Blair, wohl aber in dessen Sinne. Daß sich Gerhard Schröder die Chance zur Steuerung dieses Prozesses eröffnet, verdankt er keiner phantasievollen, risikobereiten parteiinternen Reformbewegung, sondern den niedersächsischen WählerInnen.

Aus dieser per Plebiszit erzwungenen innerparteilichen Richtungsentscheidung ist eine Dynamik entstanden, die jetzt auch in Düsseldorf den schnellen Wandel ausgelöst hat. Denn ohne den grandiosen Wahlsieg in Hannover wäre das Rätselraten um die Rau-Nachfolge noch längst nicht beendet. Mit Wolfgang Clement kommt ein Mann zum Zug, der seit dem Sturz von Rudolf Scharping (zu dessen Küchenkabinett Clement 1994 zählte) politisch ganz auf Schröders Kurs segelt. Dieser Wechsel bedeutet eine Zäsur – nicht nur für die NRW-SPD.

Das Amt des Ministerpräsidenten in NRW wiegt in der Bundes-SPD schwer – und Clement ist entschlossen, davon Gebrauch zu machen. Auf seine Art, die wenig mit der des Parteipatriarchen Johannes Rau gemein hat. Dabei geht es nicht nur um Stilfragen, sondern um das Ringen für eine andere Politik, die auch mit liebgewordenen Traditionen der SPD bricht. Im SPD-Bundesvorstand kam Clement sich in der Vergangenheit bei Debatten um Wirtschafts- und Ökologiepolitik nicht selten wie eine „singuläre Erscheinung“ vor. Im Kern plädiert der Ministerpräsident in spe für eine größere Risikobereitschaft in Wirtschaft und Politik. Das derzeitige Umweltrecht erscheint ihm geradezu „als ständige Mißtrauenserklärung an die Unternehmen“. Statt die Unternehmen mit Ökoabgaben auf einen neuen Kurs zu zwingen, setzt er auf „partnerschaftliche“ Aktionen, auf einen breiten Konsens, etwa nach holländischem Vorbild. Linke schimpfen ihn deshalb einen „Voluntaristen“, der glaubt mit gutem Willen sich über handfeste Interessen hinwegsetzen zu können. In der Partei fiel er oft glatt durch. Etwa mit seinen – gemeinsam mit Schröder – entwickelten Vorstellungen zum Energiekonsens. Gewinnt Schröder die Wahl, dann ist die Zeit am Katzentisch der Bundespartei auch für Clement passé. Dann kommt an der Achse Schröder–Clement kaum noch jemand in der SPD vorbei.

Anders als Rau wird Clement nicht die Rolle des Ratifizierers spielen, der absegnet, was sich gesellschaftlich längst durchgesetzt hat. Daß er seine Positionen notfalls öffentlich durchzukämpfen versucht – innerhalb der SPD und gegenüber dem grünen Koalitionspartner –, hat er oft genug bewiesen.

Für die Düsseldorfer rot-grüne Koalition birgt der Wechsel Chancen und Risiken zugleich. Zuletzt drohte im Sumpf von Intrigen jegliche politische Initiative zu versacken. Während die Grünen jede inhaltliche Positionierung Clements immer nur als Schachzug im Kampf um den Thron darzustellen suchten, kam innerhalb des Clement-Lagers in der SPD schon fast reflexartig die Dolchstoßlegende auf, sobald auch nur ein Genosse sich als Brückenbauer zu den Grünen outete. Daß diese lähmende Neurose nun ein Ende findet, macht den rationalen Umgang miteinander gewiß leichter. Auch die Lieblingsidee einiger linker Grüner, gegen Clement den totalen Konfrontationskurs zu fahren, um in der SPD nach dem Muster von Hamburg anderen Kräften ans Ruder zu verhelfen, hat sich endgültig erledigt. Fest steht jetzt, eine Koalition gibt es nur mit der Clement-SPD – oder gar nicht.

Diese Klarheit hilft beiden Parteien. Sie bietet ein Fundament, auf dem ein erfolgreicher Neubeginn denkbar wäre. Voraussetzung dafür ist, daß Clement als Ministerpräsident der Koalition die Pose des Alleinherrschers ablegt. Gefordert ist die Bereitschaft, dem kleineren Partner auch auf schwierigen Feldern Luft zum Atmen zu lassen. Ohne solche Kurskorrekturen geht der fällige Neuanfang in Düsseldorf schief – und Kohl hätte vielleicht noch einmal eine Chance. Walter Jakobs

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