Die Gesellschaft lauscht Sarkuhis Worten

■ Mit seiner Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, hat Sarkuhi einen ersten Erfolg erzielt: Iranische Kollegen bitten um seine Ausreise

In Sachen Sarkuhi bleibt das Bonner Auswärtige Amt bei seiner alten Strategie: bloß kein Aufsehen erregen! Der Autor solle sich ruhig verhalten, heißt es aus Bonner Diplomatenkreisen. Wenn Gras über die Sache gewachsen sei, würde er sicherlich ausreisen dürfen. Kampagnen seien aus dem gleichen Grund unangebracht.

Der Betroffene sieht das freilich anders. Sieben Wochen nach seiner Entlassung aus dem Teheraner Evin-Gefängnis ist die Freude der Verzweiflung gewichen. Die Gesundheit durch Folter ruiniert, hat der Schriftsteller Dutzende Male bei Paßbehörden, beim Revolutionsgericht und sogar dem Geheimdienst vorgesprochen, um einen Reisepaß zu bekommen. Doch einmal wird von Sarkuhi verlangt, er solle eine Meldebescheinigung für seine Wohnung vorlegen – obwohl er während der Haft aus finanziellen Gründen seinen Mietvertrag kündigte. Mal soll er seinen alten Paß abgeben, obwohl ihm der bei seiner Verhaftung 1996 abgenommen worden war. Sarkuhis Fazit: „Sie spielen mit mir!“

Angesichts dieser Erfahrung mag der Regimekritiker nicht mehr schweigen. Nach langem Zögern gab er einer iranischen Tageszeitung ein Interview und bat ausländische Kollegen, sich für ihn einzusetzen. Am Dienstag veröffentlichte die Zeitung Dschameah den ersten Teil von Sarkuhis Interview, gestern den zweiten, und heute wird der letzte folgen. „Faradsch Sarkuhi spricht zur Dschameah“, titelte die Zeitung am Dienstag. Eine doppeldeutige Überschrift, denn der Name der Zeitung bedeutet „Gesellschaft“.

Sarkuhi, über dessen Fall in iranischen Medien bisher entweder gar nicht oder verleumderisch berichtet wurde, erklärte am Telefon, das Interview sei natürlich „unter iranischen Verhältnissen“ geführt worden. Dennoch unterscheidet sich Dschameah von anderen iranischen Medien. Ihre Macher verstehen die Zeitung nicht als Sprachrohr einer politischen Gruppierung, sondern fühlen sich der neutralen Berichterstattung verpflichtet – im Rahmen der in der Islamischen Republik gegebenen Möglichkeiten. Immerhin verzeichnet das erst seit wenigen Wochen existierende Blatt eine hohe Auflage von 100.000 Stück. Chefredakteur Maschaallah Schamsolwaesin ist kein Neuling. Bevor er den Job übernahm, leitete er die Zeitschrift Kyan, das Hausblatt des heftig attackierten islamischen Reformdenkers Abdolkarim Sorusch.

Sarkuhis Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, zeigte gestern erste Wirkung. 50 seiner iranischen Kollegen entschlossen sich, in einem Brief an Präsident Chatami um Sarkuhis Ausreise zu bitten. Auch sie sind der Meinung, daß Schweigen dem Schriftsteller nur schadet. Thomas Dreger