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Zwischen Volksparkidee und Aktivzone

■ Die neuen Parkanlagen in der Stadt wie der Wuhlepark oder der Park Adlershof, fungieren nicht mehr als grüne Lungen am Rande der Mietskasernen. Sie sind Naturparks mit spezifischen Aufgaben

Kostenloses Volksvergnügen im Park, Treffpunkt, Spiel, Sport und Picknick stehen für die Parkidee der Jahrhundertwende: den Volkspark. Die einfache und multifunktionale Gestaltung der Rasenflächen sowie schattenspendende Baumkulissen lassen die Volksparkidee zwar noch immer vorbildhaft für den zeitgemäßen Park erscheinen. Doch in der Gegenwart bedeutet dies zugleich ein Problem. Wenn alle Teile der Bevölkerung den Volkspark ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend nutzen, erfordert dies die Toleranz der jeweils anderen Hundebesitzer, Frischluftfanatiker oder Grillfreunde. Funktioniert heute ein Park im besten Sinne als Volkspark – etwa der Große Tiergarten oder der Görlitzer Park aus den achtziger Jahren –, wird das Volksvergnügen als Belästigung diskutiert.

„Hier können Familien Kaffee kochen“ war zu Jahrhundertbeginn als Einladung an alle gedacht. Für das „Volk“ aus den Arbeiterquartieren war Rasen betreten erbeten. „Ihren wirklichen Zweck werden die Volksparks erst ganz erfüllen können“, wenn man „das fröhliche Jauchzen der Bevölkerung“ höre, betonte der Landschaftsarchitekt Ludwig Lesser 1920.

Heute ist dagegen von Grillverbot und Nutzungsgebühren die Rede. Die Stadt kommt ihrer Aufgabe, Parks zur Verfügung zu stellen, nur noch unter Stöhnen nach. Beinahe alle neuen Parkanlagen entstehen als „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ für städtebauliche Entwicklungen. Für die „Neuen Wiesen“ im Norden von Weißensee gilt dies ebenso wie für den zwischen Marzahn und Hellersdorf geplanten „Wuhlepark“, für den Park „Hellersdorfer Graben“ mit dem „Rohrbruchpark“, die als Ausgleich für das neue Bezirkszentrum Hellersdorf entstehen, oder für den großen Park auf dem ehemaligen Flugfeld Adlershof, der zum Argument für die zukünftige Wissenschaftsstadt werden soll.

Zwar folgen diese Anlagen noch der Idee des Volksparks, indem sie Grün für die Freizeit der Arbeitenden und Anwohner bieten. Dennoch sieht Nikolai Köhler vom Landschaftsarchitekturbüro Gruppe F, das den Wuhlepark plant, diesen nicht als einen Volkspark. „Schließlich ist die Zeit der Hinterhöfe der Mietskasernenstadt vorbei. Auch die Volksgesundheit steht nicht im Mittelpunkt unseres Entwurfs.“ Zwar steht im Wuhlepark der Aspekt eines großen Spielangebotes auf Wiesen im Vordergrund. Doch neben die Naturvielfalt des Wuhletals treten gezielte Eingriffe, die Loci spectabili, mit spezifischen Funktionen für Skater, Sonnenhungrige oder Ruhesuchende.

Es sind die veränderten Nutzungsanforderungen, die den Park der Gegenwart deutlich von der Volksparkidee der Jahrhundertwende unterscheiden. Auch wenn sich zahlreiche Elemente der Volksparkidee, wie etwa offene Rasenflächen, in heutigen Parkkonzepten wiederfinden – aktuelle Parkgestaltungen müssen durch eine flexible Gestaltung auf aktuelle Bedürfnisse und Interessen reagieren. Lebte nach dem Zweiten Weltkrieg die Stadtparkidee als „Spazierpark“ der Bürger in Form von Gartenschauen noch einmal auf, so stellt der Münchener Olympiapark von 1972 den Wendepunkt in der Parkanlage dar. Die soziale Funktion städtischen Grüns rückte ins Blickfeld. Hinzu kam die Betonung ökologischer Funktionen oder die des pädagogisch wertvollen Naturerlebnisses.

Allein aufgrund der sozialen Bedeutung läßt sich heute kaum mehr ein Park realisieren – gekoppelt mit ökologischer oder repräsentativer Bedeutung gelingt es ab und an. So nennt das Landschaftsarchitekturbüro Kiefer den Entwurf für den Park Adlershof zwar einen „Volkspark für das 21. Jahrhundert“, will damit aber vor allem deutlich machen, daß die Fläche mehr als ein Naturschutzpark werden soll. Anders als im klassischen Volkspark ist in Adlershof die „Aktivzone“ an den Rändern des Parks angeordnet. Flexibel nutzbare, gepflanzte „Kammern“ stellen die Fortsetzung des Stadtgrundrisses im Freiraum dar, während im Inneren des großen Areals den auf Stegen geführten Spaziergängern eine natürliche Entwicklung der Flächen präsentiert wird.

Eine neue Volksparkbewegung läßt sich auf die Parkschöpfungen der Gegenwart nicht aufbauen. Im Gegenteil: Einzelne fragen inzwischen, ob öffentliches Grün noch eine Zukunft hat. Brauchen wir noch Parks? Das ist eine Frage an die Freizeitgesellschaft, die in den Centerpark-Urlaub flieht, Wochenendhäuser pflegt, im Havelpark einkauft oder sich den ZDF- Fernsehgarten ansieht.

Doch diese Frage blendet aus, was am Wochenende trotz aller Alternativen in öffentlichen Parks, in den zeitgemäßen Volksparks, stattfindet. Nämlich schlicht Nutzung und manchmal auch „Jauchzen der Bevölkerung“. Volkspark und Stadtvolk lassen sich – bei aller Neuinterpretation – bis auf weiteres nicht trennen. Thies Schröder

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