: „Jelzin unterzeichnet das Beutekunstgesetz nicht“
■ Der russische Beutekunstexperte Grigori Kozlow über das Urteil des Verfassungsgerichts
taz: Was bedeutet die Entscheidung des Verfassungsgerichts?
Grigori Kozlow: Dieses Urteil war zu erwarten, ist aber nicht so schlimm. Denn es wird nicht die letzte Entscheidung zur Beutekunst sein. Das jetzige Urteil bedeutet, daß Jelzin das Gesetz unterschreiben muß. Dann hat er das Recht, das Gesetz erneut dem Verfassungsgericht vorzulegen, wobei es diesmal um eine Überprüfung des Inhalts des Gesetzes auf Verfassungsmäßigkeit geht und nicht mehr um das Procedere.
Ist damit der Streit um Formalien endgültig beigelegt?
Nein, und ich glaube auch nicht, daß Jelzin das Gesetz jetzt unterschreiben wird. Er wird das Procedere noch einmal vom Verfassungsgericht untersuchen lassen. Dafür gibt es gute Gründe. So wurde im Föderationsrat nicht, wie vorgeschrieben, persönlich in Moskau, sondern per Brief abgestimmt. In der Duma stimmten Abgeordnete per Knopfdruck für ihre nicht anwesenden Kollegen ab. Davon gibt es Videos. Auch das verstößt gegen das Recht.
Es ist zu erwarten, daß Jelzin, wenn nötig, das Gesetz vom Verfassungsgericht auch inhaltlich überprüfen lassen wird. Wie stehen die Chancen, daß das Gesetz dann Bestand hat?
Die Chancen dafür stehen schlecht. In diesem Gesetz gibt es zu viele problematische Punkte, die internationalem Recht widersprechen. Das betrifft den Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit aus dem Jahre 1990, der noch zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik abgeschlossen wurde. Dort ist in Artikel 16 geregelt, daß die Kunstgüter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion gebracht wurden, zurückgegeben werden müssen.
So wie es im Moment ausssieht, wird sich das Verfahren noch lange hinziehen...
Das wollen in Moskau die Beteiligten auch gar nicht anders. Dort ist derzeit niemandem an einer schnellen, eindeutigen Entscheidung gelegen. Alle wollen das Verfahren so lange wie möglich hinauszögern. Das gilt sowohl für die Befürworter wie auch die Gegner des Gesetzes. Wenn sich Jelzin durchsetzt, wird es einen Aufschrei in Rußland geben. Wenn auf Betreiben der Befürworter das Gesetz in Kraft tritt, müssen sie die Verantwortung für die Folgen übernehmen, d. h. für eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Interview: Barbara Oertel
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