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■ H.G. HolleinGanz Ohr

Das Haus, in dem ich Miete zahle, hat sehr dünne Wände. Was einerseits einen hohen Grad sozialer Nähe, um nicht zu sagen Kontrolle, zur Folge hat, andererseits bisweilen quälend offene Fragen hinterläßt. Man wüßte zum Beispiel doch gern, was die Mitbewohner über uns dazu bringt, alle paar Tage mit nie erlahmendem Enthusiasmus Gegenstände von offenbar panzerschrankschwerem Gewicht von einem Zimmer ins andere zu wuchten. Manchmal finden sich allerdings auch Erklärungen für die nachbarliche Phonetik, die durchaus verzichtbar wären. Als wir nämlich einmal unseren Vormieter auf das explosionsartige Schneuzen des unteren Mitmieters ansprachen, lautete der Bescheid schlicht: „Nö, der hat bloß chronische Blähungen.“Daß Kommunikation keine Einbahnstraße, aber trotzdem voller Mißverständnisse ist, beweisen gelegentliche, wissende Blicke im Treppenhaus. Wenn etwa die Frau, mit der ich lebe, mitten in der Nacht unsere mondsüchtige Katze mit einem verzweifelten „Laß mich endlich schlafen, du Mistvieh!“niederzubrüllen versucht, ist am nächsten Morgen in den Augen der Nachbarin unter uns unschwer der Vorwurf des unersättlichen Wüstlings zu lesen. Ich versage mir bei solchen Gelegenheiten den Hinweis, daß sie ihrerseits am vergangenen Heiligabend die Bescherung mit ihrem Freund auf eine vernehmliche und ganz und gar unfromme Art begangen hat. Einhelliges Bedauern löste in diesem Zusammenhang der kürzlich erfolgte Auszug des jungen Pärchens von nebenan aus. Ihr überaus arhythmisches Quietschen und Quieken ließ sich auch bei bestem Willen keiner gemeinsamen Erfahrung zuordnen und wird nun wohl für immer vom Mantel des Mysteriösen umweht bleiben. Ich muß gestehen, daß mich angesichts des bevorstehenden Frühlings und lauer Nächte bei offenem Fenster das Wissen um die kommunale Akustik intimer Begegnungen mit gewissen Hemmungen erfüllt. Zwar ist es durchaus kurzweilig, mit einer Tüte Popcorn neben der Gefährtin auf dem Bett zu liegen und über die Aktivitäten jenseits der eigenen Schlafzimmerwände zu mutmaßen, ich finde nur, die Gefährtin müßte dabei nicht unbedingt auf die Uhr blicken und am Ende ein beiläufiges „Da kannst du mal sehen“folgen lassen.

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