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An ihrer Spucke sollt ihr sie erkennen

■ Freiwillige genetische Massenfahndung nach einem Kindermörder weist den Weg: Bundesinnenminister Manfred Kanther verlangt die sofortige Einrichtung einer Gen-Datei von Straftätern. Streit um gesetzliche Regelung

Freiburg (taz) – Im Mordfall der elfjährigen Christina Nytsch will die Polizei jetzt „systematisch“ an die Gentest-Verweigerer herantreten. Bis zum Abschluß der größten Massen-Gen-Untersuchung der deutschen Kriminalgeschichte haben sich nach Polizeiangaben nur „deutlich mehr als 12.000 Männer“ beteiligt. Zu den freiwilligen Tests waren 18.000 männliche Einwohner der Region Cloppenburg im Alter zwischen 18 und 30 Jahren aufgefordert. In Bonn wird unterdessen das Spektakel um den Massen-Gentest genutzt, um die Einrichtung einer zentralen Gen-Datei voranzutreiben.

„Gleich nach Ostern“ will Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) nach einem Bericht der Welt am Sonntag den Aufbau einer zentralen Datei beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden anordnen. In der Datei sollen die DNA- Profile (auch „genetischer Fingerabdruck“ genannt) von verurteilten Straftätern zentral gesammelt werden. Damit würde die Identifizierung von Rückfalltätern erleichtert. Im Mordfall Nytsch hätte diese Datei vermutlich keine Vorteile gebracht. Zwar soll der Täter bereits vor zwei Jahren in derselben Gegend ein Mädchen vergewaltigt haben, er konnte damals aber nicht identifiziert werden.

In der Wiesbadener Zentraldatei sollen nicht nur die DNA-Profile von Sexualstraftätern gespeichert werden. Nach einem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums können auch die Gen-Daten anderer Straftäter, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, zentral gesammelt werden. Als Verbrechen gilt jede Straftat, für die im Gesetz eine Mindeststrafe von einem Jahr vorgesehen ist. Innenminister Kanther ist das zuwenig: Er möchte auch Einbrecher und andere mittelschwere Kriminelle erfassen.

Außerdem ist Kanther grundsätzlich gegen eine gesetzliche Regelung der Gen- Datei. Er will es bei einer Verwaltungsvorschrift belassen. Kritiker befürchten, daß der Umfang der Datei dann allzuschnell ausgeweitet werden könnte, und fordern eine gesetzliche Regelung. Ein Gesetz wünschen auch Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP), der CDU-Rechtspolitiker Horst Eylmann und der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob.

Auswirkungen auf genetische Massenfahndungen wie jetzt in Cloppenburg hätte ein solches Gesetz allerdings nicht. Die Gentests werden bisher ohne spezielle „Eingriffsermächtigung“ durchgeführt – schließlich war bis jetzt ja alles freiwillig. Das kann sich aber noch ändern. „Das Ganze macht natürlich nur einen Sinn, wenn wir 100 Prozent erfassen“, erklärte gestern ein Polizeisprecher in Cloppenburg. Über die örtlichen Medien will man nun die Männer erreichen, die „über Ostern verreist“ waren. Und was passiert mit echten Verweigerern? „Die werden persönlich angesprochen, und dann prüfen wir sorgfältig, wie wir weiter verfahren“, sagte der Polizeisprecher zur taz.

Der Berliner Rechtsanwalt und Grünen-Politiker Christian Ströbele erklärte im taz-Interview eine „massenhafte Zwangsuntersuchung“ sei nach derzeitiger Rechtslage unzulässig. Tatsächlich sind Zwangstests heute nur gegen Verdächtige möglich, wobei der Verdacht nicht allein darauf gestützt werden darf, daß eine „freiwillige“ Teilnahme am Gentest abgelehnt wurde. Letzteres betonte das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren. Christian Rath

Bericht und Interview Seite 2,

Kommentar Seite 12

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