■ Die Zahl rechtsradikaler Übergriffe erreicht Rekordniveau: Neudeutsche Arbeitsteilung
„Jedes Urteil findet seinen Vollstrecker.“ Der Spruch stammt nicht aus einem Buch mit asiatischen Weisheiten, sondern aus dem Erfahrungsschatz eines brandenburgischen Jugendarbeiters, dem bei der Suche nach den Motiven für die Gewalttätigkeit seiner überwiegend haarlosen Klientel eines aufgefallen ist: Geprügelt und gejagt werden diejenigen, gegen die Papa und Mama zu Hause vorm Fernseher giften und geifern, weil sie angeblich Arbeitsplätze wegnehmen, Sozialhilfe schmarotzen, selber kriminell sind oder ihre Kinder kriminell werden lassen.
Kein Generationenkonflikt spielt sich hier in den neuen Bundesländern ab, sondern eine Arbeitsteilung zwischen Alt und Jung in einer sozialen Bewegung gegen Flüchtlinge und Immigranten. Vater Staat in Gestalt von Amtsträgern und Behörden in Ost und West sitzt mit im Wohnzimmer und am Stammtisch: Er plant, wie in Bayern, die Abschiebung von Eltern straffällig gewordener Jugendlicher; er fordert, wie in Berlin, „Ausländerquoten“ in Schulklassen und will die Innenstadt von Obdachlosen und Junkies „säubern“. Wenn der deutsche Nachwuchs die Sache mit dem „Säubern“ selbst in die Hand nimmt, dann allerdings heften sich Spezialtrupps der Polizei an ihre Fersen. Kein Wunder, daß da Verwirrung in den jungen Köpfen entsteht. Die viel beklagte Orientierungslosigkeit der Jugend erscheint plötzlich in neuem Licht.
Gewalt ist eigentlich ein Wahlkampfthema, nach dem sich Kampagnenmanager die Finger lecken, weil es Emotionen auslöst und schnell mit populistischen Forderungen zu besetzen ist. Vorausgesetzt, die tatsächlichen oder vermeintlichen Täter taugen zur Stigmatisierung und Ausgrenzung, was nach Ansicht der bundespolitischen Elite von Kanther bis Schröder auf Ausländer, nicht aber auf Rechtsradikale zutrifft.
Also muß man das Thema den Wahlkampfstrategen mit einem ganz anderen Slogan schmackhaft machen: Arbeitsplätze schaffen! Ein neuer Dienstleistungssektor wartet darauf, wachgeküßt zu werden: Trainingskurse für Zivilcourage in jeder Ortschaft; mobile Konfliktmediatoren in jedem Bundesland; Rhetorikkurse für Schröder, damit er lernt, wie man mit derselben Macho-Pose, mit der er Bild statt „Kriminelle Ausländer raus“-Sätze diktiert wie: Jeder, der hier lebt, hat die gleichen Rechte und Pflichten. Das kostet Geld? Wie wär's mit einer einjährigen steuerlichen „Abgabe für die Zivilgesellschaft“ (Zivi-Zuschlag) von, sagen wir, monatlich zehn Mark. Wer, wie bayerische Kabinettsmitglieder, weiterhetzt, zahlt mehr. Andrea Böhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen