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■ Prozeß: Doping an sich ist nicht strafbar. Das gilt allerdings nicht, wenn Minderjährigen ohne deren Wissen Präparate verabreicht werdenNeid auf die Erfolge der DDR?

„Die Mädchen sollen doch hier schwimmen und nicht singen“, beschied der Trainer Rolf Gläser bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal neugierige Journalisten, die sich nach den seltsam tiefen Stimmen seiner Athletinnen erkundigten. Gläser (58), von der Schwimmerin Christiane Knacke später als „einer der schärfsten Anabolika-Trainer der DDR“ bezeichnet, sitzt beim Berliner Dopingprozeß auf der Anklagebank.

„Es geht hier nicht um Doping, es geht darum, daß hier Revanche genommen wird, weil die DDR im Sport gewonnen hat, weil sie besser war als die alte Bundesrepublik“, sagt Egon Krenz. Der ehemalige Staatsratsvorsitzende, der seit 1983 im Politbüro der SED für den Sport zuständig war, findet sich beim Prozeß vor dem Landgericht Moabit, wie zahlreiche andere hohe Funktionäre des DDR-Sports, gern als Zuhörer ein.

„Die bisherige Anwendung von anabolen Hormonen hat bei zahlreichen Frauen, insbesondere aber im Schwimmsport (...) zu irreversiblen Schäden geführt. Zum Beispiel Vermännlichungserscheinung wie Zunahme der Körperbehaarung, Stimmveränderungen und Triebstörungen“, teilte Manfred Höppner, stellvertretender Leiter des Sportmedizinischen Dienstes der DDR, in seiner Eigenschaft als „IM Technik“ 1977 dem MfS Erfahrungen aus zehn Jahren Dopingprogramm mit. Höppner fungiert im Prozeß als eine Art Kronzeuge.

Wenn es um Doping geht, werden gern diverse Dinge vermischt, und Egon Krenz ist das beste Beispiel dafür, wie man mit einer wilden Melange aus sportrechtlichen, strafrechtlichen, politischen und moralischen Komponenten kaltblütige Karrieristen in verfolgte Märtyrer umdefinieren kann. Dabei hat Krenz recht: Es geht in Berlin nicht um Doping, sondern darum, daß vier Trainern und zwei Sportmedizinern – aufgrund von Strafanträgen von DDR-Sportlerinnen und gemäß dem Recht der DDR – der Prozeß gemacht wird, weil sie Minderjährigen ohne deren Wissen massiv gesundheitsschädliche Präparate verabreicht haben sollen. Es besteht kein Zweifel daran, daß dies gängige Praxis in der DDR war, die Frage ist nur, ob die Taten den Angeklagten im einzelnen nachweisbar sind.

Die offenkundige Strategie der Verteidigung, ihre Mandanten durch Verweis auf Dopinggepflogenheiten in den westlichen Ländern reinzuwaschen, geht somit ins Leere. Doping an sich ist nicht strafbar. Wenn ein Athlet literweise Hustensaft schluckt, um sich mit Ephedrin aufzuputschen, dann verstößt er gegen sportrechtliche Bestimmungen. Ein Fall für die Justiz wird die Sache erst, wenn das Arzneimittelgesetz oder andere Rechte verletzt sind. So wie im Fall des Leichtathletiktrainers Jochen Spilker, der 1994 zu 12.000 Mark Geldstrafe verurteilt wurde, weil er Anfang der 80er Jahren im westfälischen Hamm Sprinterinnen mit Anabolika gefüttert hatte, die auf dem deutschen Markt verboten waren.

Der Unterschied liegt darin, daß in den westlichen Ländern erwachsene Sportler gemeinsam mit skrupellosen Trainern und willfährigen Medizinern selbstverantwortlich entschieden, sich mit Dopingmitteln vollzustopfen, und die Risiken bewußt in Kauf nahmen. In einem Dokumentarfilm über den schwedischen Diskuswerfer Ricky Bruch („Nur von Knackwurst schafft man keine 70 Meter“) gibt es eine Szene, in der in den frühen 80er Jahren eine junge Diskuswerferin ins Trainingscamp kommt. Bruch öffnet seinen mit Medikamenten prallgefüllten Koffer und hält der Athletin zwei Hände voll Tabletten unter die Nase. „Das mußt du jeden Tag schlucken, wenn du es zu etwas bringen willst“, sagt Bruch. Einige Wochen später ist die Diskuswerferin nicht mehr da.

Diese Möglichkeit auszusteigen, hatten Sportlerinnen in einem flächendeckenden staatlich organisierten und kontrollierten Dopingsystem wie dem der DDR kaum. Höppner berichtet der Stasi zum Beispiel über den Fall des 18jährigen Sprinttalents Martina Blos. Diese wollte 1976 das Märchen von den Vitamintabletten nicht mehr glauben, und sie hatte guten Grund dazu. Höppner berichtet dem MfS, „daß diese zum Rasieren gezwungen ist, die Oberschenkel an der Innenseite stark behaart sind und die Schamhaare bereits bis in die Nabelgegend reichen“. Blos erklärte, ihre Karriere beenden zu wollen, und bekam von der Klubleitung des TSC Berlin „die Alternative gestellt, entweder sie bleibt weiterhin im Leistungssport oder es wird ihr jegliche Unterstützung, auch in bezug auf die Ablegung ihres Abiturs in zwei Jahren, versagt.“ Höppner hält sich zugute, dafür gesorgt zu haben, daß Martina Blos trotz Laufbahnende ihr Abiturzeugnis bekam.

Chancen auf Widerstand hatten die Sportlerinnen nur, wenn sie sich kollektiv gegen die Virilisierung durch Anabolika und Testosteronpräparate wehrten, wie die Ruderinnen und Skilangläuferinnen. Mit diesen gab es jahrelang „Probleme“ (IM Technik), weil sie um keinen Preis aussehen wollten wie ihre sowjetischen oder bulgarischen Kolleginnen. Laut Höppner wurde auch in diesen Fällen überlegt, den Widerspenstigen die Präparate „in Getränken oder durch Mischung mit Vitaminspritzen“ ohne deren Wissen zuzuführen. Es gibt keinen Anlaß, die für diese Vorgänge verantwortlichen Trainer und Mediziner in irgendeiner Weise zu entschuldigen, auch wenn sie sich heute gern als hilflose Befehlsempfänger stilisieren lassen. Für sie war es jederzeit möglich auszusteigen, und es gibt etliche, die das – freiwillig oder unfreiwillig – auch taten, dafür allerdings eine exponierte Stellung im sportlichen Olymp gegen einen glanzlosen Posten in den Niederungen der DDR-Gesellschaft eintauschten.

Äußerst unangenehm wird es allerdings da, wo in westlichen Ländern solche Enthüllungen und Prozesse dazu mißbraucht werden, in ungehemmter Kriegsgewinnlermanier nach den Medaillen der DDR zu gieren. Zuletzt taten sich dabei die Schwimmverbände der USA und Australien hervor, die ungeniert die Sauberkeit ihrer Sportlerinnen und Sportler behaupten, obwohl gerade in ihren Ländern Untersuchungskommissionen weitreichende Dopingpraktiken aufdeckten. Hier kommt tatsächlich jener Neid auf die sportlichen Erfolge der DDR ins Spiel, den Egon Krenz, Manfred Ewald und andere Machthaber des DDR- Sports so gern postulieren. Was nichts daran ändert, daß es ausgesprochen wünschenswert wäre, wenn eine weitere Krenz-Äußerung zum Berliner Prozeß eines Tages ihre Erfüllung fände: „Man könnte sich viel Geld sparen, wenn man mich gleich auf die Anklagebank setzt.“ Matti Lieske

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