: Für ein paar Mark den Spargel stechen
■ Eine Verordnung des Bundesarbeitsministeriums macht es möglich. Arbeitslose werden zum Ernteeinsatz zwangsverpflichtet - andernfalls droht Sperre des Arbeitslosengeldes. Ein Besuch bei Spargelstechern
Ein Spargelwirtschaftswunder haben wir hier“, freut sich Jörg Linders. Schlunkendorf, eine Dreiviertelstunde Autofahrt vor Berlin, dreißig Häuser, eine Kirche.
Ins Nachbardorf Seddin führt nur ein Feldweg, im Sommer staubig, jetzt im Regen eine matschige Piste. Vom „Aufschwung Ost“ ist hier nur in der Landwirtschaft etwas zu sehen: Endlose Spargelfelder ziehen sich entlang der Straße.
Seit 1992 hat sich die Anbaufläche für Spargel in Brandenburg verdoppelt. Jörg Linders ist Angestellter bei Buschmann-Winkelmann, einer der größten Spargelanbauer Brandenburgs und zuständig für „deutsche, ach nein, inländische Erntehelfer“.
Linders sitzt in einem Zelt am Rande des Spargelfelds, während draußen der Platzregen auf seine 30 Erntehelfer niedergeht: Arbeitslose, die jetzt am „Spargelwirtschaftswunder“ teilhaben dürfen. Zwei Wochen lang hat Linders mit ihnen Spargelstechen in Theorie und Praxis eingeübt, ehe sie in den Ernteeinsatz geschickt werden.
Im Kurs eingeschlossen: ein Motivationstraining. Denn Spargelstechen ist nicht nur harte körperliche Arbeit, sondern auch schlecht bezahlt. Bei 5,85 Mark in der Stunde liegt der Tariflohn in Brandenburg.
Bisher ist die Spargelernte überwiegend in den Händen polnischer Saisonarbeiter. In vier Wochen verdienen sie hier soviel wie in vier Monaten in Polen. Doch seit Februar ist eine Verordnung der Bundesanstalt für Arbeit in Kraft: die Betriebe müssen jetzt 10 bis 15 Prozent einheimische Erntehelfer einstellen. Da sich aber kaum jemand freiwillig für den Knochenjob meldet, werden Arbeitslose von den Arbeitsämtern rekrutiert. Verweigern sie die Arbeit, droht ihnen eine Sperrzeit bei der Arbeitslosenhilfe.
Doch die Spargelbetriebe fürchten die mangelnde Motiviation der Arbeitslosen: „Ich kann nicht einen 55jährigen, der das ganze Leben am Schreibtisch gesessen hat, zum Spargelstechen bewegen“, meint Jörg Linders: „Ich stelle nur Leute ein, die interessiert sind mitzumachen.“
Bei Buschmann-Winkelmann versucht man außerdem, mit Leistungslohn den Arbeitswillen zu steigern. Hat der gestochene Spargel eine gute Qualität, werden bis zu 12 Mark die Stunde gezahlt: „Der Tariflohn ist beschämend“, sagt auch Firmenchef Buschmann. Doch trotz der Zulagen hat man nicht genügend einheimische Saisonarbeiter bekommen. Nach einer Zeitungsanzeige haben sich immerhin noch ein paar Freiwillige gemeldet.
Die Begeisterung bei den Zwangsverpflichteten hält sich jedoch in Grenzen. Tropfnaß tauchen die Erntehelfer schließlich im Zelt auf. Die Anfahrt nach Schlunkendorf über die brandenburgischen Dörfer müssen sie jeden Tag selbst organisieren, die nächste Bahnstation liegt im zehn Kilometer entfernten Beelitz.
Norbert Moedebeck kommt jeden Tag aus Potsdam nach Schlunkendorf. Der 44jährige war „früher“ Heizer im Potsdamer Hans- Otto-Theater. „Früher“, das heißt vor zwei Jahren: „Die Spargelernte ist die erste Stelle, die mir das Arbeitsamt seitdem angeboten hat“, sagt er. Er bezweifelt, daß hier mehr als die 5,85 Mark Mindestlohn drin sind: „Der Boden ist zu hart, da kann man keine Qualität stechen.“ Bruchspargel sei bei einem solchen Boden kaum zu vermeiden. Kontakt zu den polnischen Erntehelfern haben Moedebeck und die anderen deutschen Saisonarbeiter kaum. Sie arbeiten auf verschiedenen Feldern, und in den Pausen verschwinden die Deutschen im Zelt und die Polen in den daneben geparkten Bussen.
Eine Interessenvertretung gibt es für die zwangsrekrutierten Arbeitslosen nicht. Die Industriegewerkschaft Bau hat die Verordnung der Bundesanstalt kritisiert – weil dadurch zu wenig einheimische Arbeitslose vermittel würden.
Sorgen bereiten der Gewerkschaft vor allem vermutete polnische Schwarzarbeiter, die den einheimischen Arbeitslosen die Stellen wegnehmen würden.
Derzeit verhandelt die Industriegewerkschaft Bau in Brandenburg über einen neuen Tarifvertrag. Mit höheren Löhnen sollen die Arbeitslosen motiviert werden: „Wir versuchen mit den Arbeitgebern ein solches Lohnniveau auszuhandeln, daß die Leute nicht nach einem Tag wieder das Handtuch werfen“, sagt der Sekretär der Industriegewerkschaft Bau, Klaus Jeremies. 6,90 Mark Stundenlohn und Leistungsprämien lautet die Gewerkschaftsforderung: „Wer zwei linke Hände hat, schafft weniger, wer Lust und Laune hat, schafft mehr“, so Jeremies.
In Schlunkendorf ist es 12 Uhr mittags, der Arbeitstag ist beendet. Bei schlechtem Wetter wächst der Spargel kaum. Die ausgefallenen Stunden sollen am nächsten Tag nachgeholt werden.
Die Polen steigen in ihre Busse, zurück Richtung Potsdam, die Zeit im Hotel totschlagen. Die deutschen Saisonarbeiter suchen nach einer Mitfahrgelegenheit. Immerhin, einige sind mit dem Auto gekommen, das Warten auf den Bus fällt aus.
Noch bis Mitte Juni geht der Einsatz im Spargelfeld. Dann möchte Jörg Linders die deutschen Saisonarbeiter für die Kirsch- und Apfelernte übernehmen. Im Oktober, nach der Bundestagswahl, werden Norbert Moedebeck und die anderen Erntehelfer wieder in der Arbeitslosenstatistik auftauchen. Martin Reeh
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